Braunschweig. Eine Trennung der Eltern bedeutet für Familien eine große Belastung. Welche Optionen und Ansprüche es gibt – und was für die Kinder am besten ist.
Manchmal ist die Liebe genauso schnell weg, wie sie ins Leben getreten ist; manchmal ist eine Trennung ein langer Prozess. Klar ist dabei: Sobald Kinder im Spiel sind, wird die Sache fast immer kompliziert, sei es in Sachen Unterhalt, Umgang oder Sorgerecht.
In der Region Braunschweig-Wolfsburg variieren die Zahlen der Scheidungen pro Kopf, gemessen an der Bevölkerungszahl der ab 18-Jährigen, zwischen 1,6 (Landkreis Gifhorn) und rund 2,6 (Wolfsburg) pro 1000 volljährige Einwohner für das Jahr 2022. Im Landkreis Goslar liegt die Vergleichszahl bei rund 1,8, in Salzgitter bei 1,9, in den Landkreisen Peine, Helmstedt und Wolfenbüttel bei 2 und in Braunschweig bei rund 2,2. Das geht aus den Zahlen des Landesamtes für Statistik hervor.
Beraterinnen: So bringen Sie die Trennung Ihren Kindern bei
Für alle Fragen, die Eltern in dieser Situation umtreibt, gibt es in Braunschweig seit fast 40 Jahren die Beta (Beratungsstelle für Eltern in Trennungssituationen und Alleinerziehende) des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Braunschweig. Beta-Leiterin Martina Walter-Frost sowie die Sozialpädagoginnen Luisa Eichstädt und Celine Schenkewitz erzählen im Interview, worauf es ankommt.
Wen sprechen Sie mit Ihrem Beratungsangebot an?
Martina Walter-Frost: Bei uns sind alle Eltern – und damit auch Alleinerziehende – willkommen, in allen Stadien der Trennung. Die betroffenen Kinder können bei uns in die Beratung oder unsere Kindergruppe für die Altersgruppe der 8- bis 12-Jährigen kommen.
Wie läuft die Beratung ab?
Walter-Frost: Mit einer Stunde haben wir relativ viel Zeit für unsere Beratungsgespräche. Wir bieten nicht nur ein Gespräch an, sondern führen auch mehrere. Zwischen den Terminen passiert oft sehr viel bei den Familien – die Beratungen wirken nach, weil Trennung in verschiedenen Phasen verläuft. Unser Angebot ist seit Kurzem kostenlos und spendenbasiert. Ideal ist es, wenn beide Elternteile in die Beratung kommen. Oft kommen aber auch einzelne Elternteile. Da sind es dann meistens die Frauen, 2022 waren 69 Prozent der Einzelberatungen mit Frauen.
Celine Schenkewitz: Zu uns kommen alle Eltern in Trennungssituationen, egal, an welchem Punkt sie sich befinden. Wir beraten vom Trennungsgedanken über den Trennungsprozess bis zu Sorgerechts- und Unterhaltsfragen, Umgangsregelungen, Scheidungsverfahren; wobei wir zu rechtlichen Fragen nicht beraten dürfen. Wir arbeiten jedoch mit zwei Rechtsanwältinnen zusammen, die Rechtsberatungen anbieten.
Luisa Eichstädt: Ganz oft hören wir erst mal zu und geben den Gedanken der Eltern Struktur. Es hilft häufig, mit jemandem zu reden, der eine professionelle Distanz hat. Es spielen ja viele Emotionen hinein – Angst, Trauer, Wut –, sodass es nicht so einfach ist, die Gedanken zu sortieren. Dabei können wir helfen, zum Bespiel durch Techniken, die jeweilige Situation zu visualisieren.
Wie sieht die typische Familie aus, die zu Ihnen in die Beratung kommt?
Eichstädt: Die gibt es eigentlich nicht.
Junges Ehepaar, Haus, zwei Kinder?
Eichstädt: Sie sprechen eine stereotype Familie aus der gehobenen Mittelschicht an. Zu uns kommen aber auch alle möglichen anderen Familien.
Schenkewitz: Da ist das Kind zum Teil erst unterwegs, oder die Eltern sind schon seit 20 Jahren zusammen ... Wir haben auch viel mit Rollenbildern zu tun, mit Schuldgefühlen, wenn das vermeintliche Ideal der stereotypen Familie, von der Sie sprechen, nicht erreicht werden kann.
Eichstädt: Ich fände unsere Arbeit nicht gut repräsentiert, wenn wir nur von dieser Konstellation sprechen würden.
Na gut, dann denken wir uns gleich fünf Beispielfamilien aus. Jeden Tag kommt eine andere zu Ihnen in die Beratung.
Eichstädt: Probieren wir’s!
Dann starten wir doch mit unserer stereotypen Mittelschicht-Familie. Am Montag kommen Anna und Timo, seit acht Jahren verheiratet, zwei Kinder, vier und sechs Jahre. Welche Frage stellen Anna und Timo Ihnen wahrscheinlich?
Eichstädt: Das kommt sehr oft: Wie sagen wir es den Kindern?
Und wie antworten Sie da?
Walter-Frost: Wichtig ist: Die Eltern müssen bestimmte Dinge vorher geklärt haben. Sie sollten den Kindern im Gespräch eine gewisse Sicherheit vermitteln können. Sie sollten optimalerweise sagen können, wie es nach der Trennung weitergeht für die Kinder: Dass sie zum Beispiel in ihrem Kindergarten, ihrer Schule bleiben können, dass sie auch weiterhin mittwochs zum Sport gehen können. Es ist gut, so etwas konkret zu benennen. Es ist auch gut, wenn die Eltern möglichst gemeinsam und in Einigkeit auftreten. Ich überlege gern konkret mit den Eltern, wo das Gespräch stattfinden könnte. Das Kinderzimmer ist ungünstig, weil der Ort dann mit dem Gespräch verknüpft werden könnte. Einige Familien gehen dann lieber mit dem Hund spazieren, oder treffen sich in der Küche.
Wie reagieren Kinder auf so eine Nachricht?
Walter-Frost: Davor haben viele Eltern Angst. Ich frage sie dann: Was glauben Sie, wie ihr Kind reagieren könnte? In der Realität kann das sehr unterschiedlich ablaufen. Das ist auch vom Alter abhängig. Kleinkinder zum Beispiel suchen die Schuld öfter bei sich, Grundschulkinder kämpfen mit einem Loyalitätskonflikt, und Pubertierende schlagen sich häufig auf eine Seite. Es ist wichtig, dass Eltern diese altersspezifischen Reaktionen kennen und dagegen arbeiten können.
Celine Schenkewitz: Genauso wichtig ist es, zu sehen, dass alle Reaktionen der Kinder ihre Berechtigung haben. Manche reagieren aggressiv, andere weinen, wieder andere spielen einfach weiter. Das ist alles okay.
Am Dienstag bekommen Sie Besuch von Vanessa. Sie ist im fünften Monat schwanger und hat sich gerade von ihrem Freund getrennt. Und sie fragt: Wie sichere ich mich und mein Kind jetzt ab?
Eichstädt: Sie kann auf jeden Fall Elterngeld und Elternzeit beantragen. Was viele nicht wissen: Der Vater muss nicht nur für das Kind aufkommen, sondern im Zweifelsfall auch bis zum dritten Geburtstag des Kindes Betreuungsunterhalt zahlen – im Einzelfall auch darüber hinaus –, auch, wenn das Paar nie verheiratet war. Das kommt auf die Einkommensverhältnisse und die Situation der Familie an.
Schenkewitz: Unterhaltszahlungen haben immer Vorrang vor Sozialleistungen wie dem Bürgergeld. Vanessa sollte sich darum also zuerst kümmern, bevor sie zum Jobcenter geht. Wobei auch dort die Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner bei der Beantragung helfen.
Welchen Unterschied macht es, dass Vanessa den Vater ihres Kindes nicht geheiratet hat?
Walter-Frost: Sobald das Kind drei Jahre alt ist, bekommt die unverheiratete Mutter – beziehungsweise der weniger verdienende Elternteil, bei dem das Kind vorrangig lebt, was ja meistens die Mutter ist – keinen Unterhalt mehr, nur noch das Kind. Ehemals Verheiratete haben unter Umständen auch weiterhin Anspruch darauf.
Am Mittwoch kommt Svenja zu Ihnen, die fragt, ob sie ihrer Frau auf alle Ewigkeit Unterhalt wird zahlen müssen. Wie oft kommt es zu solchen Konflikten?
Eichstädt: Es kommt immer mal vor, dass der mehr verdienende Elternteil nicht versteht, warum zusätzlich zum Kindesunterhalt auch noch der Ehepartnerin oder dem Ehepartner Unterhalt gezahlt werden soll. Die sagen dann: Warum muss ich denn noch mehr bezahlen? Beim Kindesunterhalt geht es aber nur um das Kind; beim Trennungsunterhalt geht es um die Fortsetzung der ehelichen Verhältnisse und den finanziellen Ausgleich. Gerade bei Eltern kann das wichtig sein, denn die Betreuung von Kindern wird auch heute noch überwiegend von nur einem Elternteil gestemmt und dieser hat dann meist beruflich und finanziell zurückgesteckt oder sich angepasst. Betreuungsarbeit und Erwerbstätigkeit werden in unserer Gesellschaft nicht gleichgesetzt, das spüren wir.
Schenkewitz: Wobei man hier differenzieren muss. Man muss in Deutschland in der Regel ein Jahr getrennt sein, bevor man sich scheiden lassen kann. Während dieses Trennungsjahres steht der weniger verdienenden Person Trennungsunterhalt zu. Ab der Scheidung gilt der Grundsatz der Eigenverantwortung. Aber unter bestimmten, strengeren Voraussetzungen können auch nach der Scheidung Unterhaltsansprüche bestehen.
Am Donnerstag treffen Sie Hannes. Er sagt: Meine Ex-Frau verbietet mir, unsere gemeinsamen Kinder (5 und 13 Jahre) zu sehen. Was kann er tun?
Celine Schenkewitz: Er hat auf jeden Fall ein Recht auf Umgang mit seinen Kindern.
Walter-Frost: Aber wenn ein Kind, zum Beispiel der 13-Jährige, partout keinen Kontakt will, ist der Wille des Kindes zu akzeptieren, wobei wir natürlich wissen, dass es für das kindliche Aufwachsen gut ist, zu beiden Eltern Kontakt zu haben.
Eichstädt: Wichtig ist, erst mal zu schauen: Worum geht es dabei wirklich? Und ist Hannes’ Ex-Frau bereit, mit in die Beratung zu kommen, um an den Problemen zu arbeiten? Falls nicht, bleibt der Weg über das Familiengericht – und das ist vor allem für die Kinder eine zusätzliche Belastung.
Gibt es eine ideale Umgangsregelung?
Walter-Frost: Die ideale Regelung ist die, mit der beide Elternteile und die Kinder gut zurecht kommen.
Schenkewitz: Und die umsetzbar ist! Manchmal gibt es einen Weg, den alle toll finden, der aber nicht klappt wegen des Wohnorts, Jobs oder aus anderen Gründen. Wichtig ist, es gibt nicht den einen richtigen Weg, und es gibt auch nicht nur ein Modell. Es gibt das Residenzmodell, bei dem die Kinder überwiegend bei einem Elternteil wohnen; es gibt das Wechselmodell, bei dem die Kinder abwechselnd gleich lange bei jedem Elternteil leben und es gibt das Nestmodell, bei dem die Kinder in einer Wohnung bleiben und abwechselnd das eine, dann das andere Elternteil einzieht.
Eichstädt: Das letzte Modell finden immer mehr Eltern erst mal gut, aber viele wenden sich auch schnell wieder davon ab – es ist schwieriger umzusetzen, da es finanziell aufwendiger ist und es schnell zu Problemen kommen kann, zum Beispiel, wenn es neue Partner gibt.
Walter-Frost: Man kann schon sagen, dass die Familien kreativer geworden sind. Früher war die Regel: Die Kinder wohnen bei Mama und alle 14 Tage gibt es ein Wochenende bei Papa. Da hat sich bis heute sehr viel zum Positiven verändert, wie ich finde.
Freitag kommt ein Mann zu ihnen, der anonym bleiben will. Er hadert: Mit seiner Partnerin hat er ein zweijähriges Kind, aber die Luft ist raus.
Walter-Frost: Manche Elternteile wollen anonym bleiben. Wir versuchen dann, auf sie zuzugehen, wenn sie sehr ängstlich und skeptisch sind. Wir brauchen nicht alle Kontaktdaten – aber mindestens eine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse, um Termine auszumachen.
Schenkewitz: Die Situation, in der sich unser anonymer Besucher befindet, ist ja nicht ungewöhnlich. Da gibt es ein Paar, das jahrelang eine Beziehung zu zweit führte: Und auf einmal ist da ein neues Menschlein, das alle Aufmerksamkeit einfordert und in den ersten Lebensmonaten oft einen stärkeren Bezug zur Mutter hat. Es kommt vor, dass sich die Väter dann abgehängt fühlen. Es ist aber auch Realität, dass sich die Eltern in der Babyphase so sehen, wie sie einander vorher noch nicht gekannt haben: In Erziehungsfragen, in Stresssituationen, als Eltern. Das kann zur Belastung werden.
Was raten Sie unserem anonymen Vater?
Eichstädt: Man kann erst mal schauen: Liegt es an der Situation, oder an der Person? Man könnte ihn fragen, ob er seine Energie und Mühe investieren will, um der Beziehung noch mal eine Chance zu geben, oder, ob er sich in Richtung Trennung orientieren will. Wir könnten ihm bei dem Entscheidungsprozess zum Beispiel durch zirkuläre Fragen helfen: Was glauben Sie, wie Ihre Partnerin die Situation einschätzt?
Schenkewitz: Die Perspektive zu wechseln, hilft in Krisen häufig. Manchen hilft es auch, das „Was-wäre-Wenn“-Spiel durchzumachen. Was würde passieren, wenn ich mich trennen würde, ganz konkret?
Walter-Frost: Die Beratungen sind sehr individuell. Sie müssen sehen: Für diese Eltern sind wir fremde Menschen, denen sie ihr intimstes anvertrauen. Wir müssen bei jedem schauen, was für diesen Menschen passt, und uns sollte es gelingen, uns in seine individuelle Familiensituation hineinzuversetzen. Die meisten Eltern sind dabei sehr offen mit uns – davon bin ich oft sehr gerührt.
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