Irakkrieg, 9/11, Vietnam – in einer Kino-Doku vertritt Amerikas Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erstaunliche Thesen. Regisseur Errol Morris über seinen bislang seltsamsten Interviewpartner.

Donald Rumsfeld darf reden. Viel reden. In Errol Morris’ Dokumentation „The Unknown Known“ – ab Donnerstag im Kino – feiert sich der ehemalige US-Verteidigungsminister als Kriegsheld und Retter Amerikas. Dokumentarfilmer Morris („The Fog of War“) ist für seine kritischen Arbeiten bekannt. Diesmal will er, dass sich das Objekt seiner Untersuchung selbst entlarvt: Rumsfeld spricht und verzieht dabei keine Miene. Wie reagiert man darauf als Interviewer?

Die Welt: Mr. Morris, was hat Sie an der Auseinandersetzung mit Donald Rumsfeld am meisten überrascht?

Errol Morris: Das Fehlen jeglicher Reflexion über das, was er getan hat. Der saß da im Oval Office im Weißen Haus als Chief of Staff von Präsident Gerald Ford. Irgendwann sind 58.000 Amerikaner tot, 1,5 Millionen Vietnamesen tot. Südostasien liegt in Trümmern. Ich frage Rumsfeld: Was haben Sie daraus gelernt? Er antwortet: „Manche Dinge funktionieren, andere eben nicht.“ Was soll man groß sagen, wenn das die Tiefe seiner Einsicht ist?

Die Welt: Rumsfeld sieht den ganzen Film über so aus, als wäre er ein Narr. Einer, der gar nicht begreift, was er getan hat und auch noch darüber lächelt. Was denken Sie?

Morris: Das ist Teil des Phänomens, Rumsfeld zu interviewen. Meistens verließen alle Leute seine Pressekonferenzen mit einem Lächeln. Er ist einer der seltsamsten Interviewpartner, die ich je hatte. Vielleicht habe ich hier einen Film über Eitelkeit und Ratlosigkeit gemacht. Das ist gut möglich.

Die Welt: Was war die Bedingung an Sie, dass Rumsfeld sich überhaupt vor Ihre Kamera setzte?

Morris: Mir war wichtig, dass er keinerlei Kontrolle über den Schnitt hatte. Ich traf ihn zu einer zweitägigen Interviewsitzung, denn ich dachte: Wenn wir zuerst einen Vertrag aushandeln für diesen Film, dann wird es den Film nie geben. Ich sagte: „Lassen Sie uns das versuchen.“ Hinterher würde ich ihm das Material zeigen. Falls es ihm gefallen würde, sollten die Gespräche fortgeführt werden. Und er mochte das Material. Die Bedingung war allerdings, dass nur er selbst im Film als Interviewpartner vorkam. Aber das war ohnehin mein Konzept. Es gibt ja Tausende Filme, in denen Leute über eine Figur sprechen, aber nur sehr wenige, in denen diese eine Figur vorkommt, um über sich selbst zu sprechen. Und zwar nur diese. Ich sagte ihm: „Wenn ich Ihnen die Kontrolle über den Schnitt gebe, wird jedermann den Film lächerlich finden. Niemand wird ihn ernst nehmen. Das wäre weder in Ihrem noch in meinem Interesse.“ Er stimmte zu. Ich war auch bereit, ihm Schnittfassungen zu zeigen.

Die Welt: Glauben Sie, Rumsfeld machte auch deshalb mit, weil er so sein eigenes Vermächtnis aufgezeichnet wusste?

Morris: Ja, das war sicher ein Aspekt für ihn. Vielleicht dachte er, nach dem Film würde man ihn in einem anderen Licht sehen. Es ist wirklich schwierig zu sagen, warum er zustimmte.

Die Welt: Vielleicht, weil er dachte, er könne sich dadurch an das Image annähern, das er gerne für sich gehabt hätte? Rumsfeld, der Schattenpräsident.

Morris: Es ist doch interessant: Rumsfeld war nie Präsident oder Vizepräsident der USA, während sein Wegbegleiter Dick Cheney sehr wohl Vize wurde. Aber: Beide zusammen haben die Welt zweimal regiert: unter Präsident Ford und in Bushs erster Amtszeit. Das ist doch was.

Die Welt: Zeigte Rumsfeld in den Gesprächen jemals Eifersucht auf Cheney?

Morris: Nicht wirklich, aber man spürt, dass sie da ist. Es gibt diesen Moment im Film, in dem ich ihn frage, ob er seinen Job als Verteidigungsminister unter Bush Dick Cheney zu verdanken hat. Rumsfeld sagt nur: George Bush Senior hätte er es wohl nicht zu verdanken. Und dann setzte er diesen scheußlichen Grinser auf.

Die Welt: Was ist eigentlich ihre persönliche Meinung zu Rumsfeld, und haben Sie sich gestattet, diese Meinung zu haben, während Sie den Film drehten?

Morris: Man hat eine Meinung, und es ist nicht die Frage, ob man diese Meinung zulässt. Ich habe nicht wirklich eine solche Kontrolle über mich selbst. Es ist kein Geheimnis, dass ich die Politik von George W. Bush abstoßend fand, um es einmal höflich zu formulieren. Ich mag es nicht mehr, mit Leuten darüber zu streiten, ob diese Kriege gerechtfertigt waren oder nicht. Meine Antwort darauf ist simpel: Wir hätten niemals in den Krieg ziehen dürfen. Punkt. Man zieht nicht in einen Krieg, nicht einmal aus humanitären Gründen, wenn man keine Vorstellung davon hat, was einen erwartet und wogegen man eigentlich kämpft. Es gibt in Kriegen immer unvorhersehbare Konsequenzen. Man kann mit den besten Absichten in einen Krieg ziehen und trotzdem unkalkulierbaren Schaden anrichten. Für mich ist das, wie wenn man glaubt, einen Waldbrand kontrollieren zu können. Man kann es nicht. Bin ich Pazifist? Ich weiß es nicht. Ich denke, ich bin ziemlich nah dran, einer zu sein.

Die Welt: War es frustrierend, dass Rumsfeld Ihnen in den Interviews nicht einmal einen Zusammenbruch lieferte, nach dem Motto: Wir haben alles falsch gemacht?

Morris: Ich war dauergefrustet. Als ich ihn auf die Folter-Memos aus Abu Ghraib ansprach, meinte er nur, er hätte sie nie gelesen. Ich rief: „Wirklich?“ Das war von mir nicht gespielt, das war echtes Entsetzen. Das ist einer der wirklichen Schandflecken der US-Geschichte, für die ich mich unglaublich schäme, und Rumsfeld hatte die Aufzeichnungen dazu nicht mal gelesen? Hallo?

Die Welt: Politiker sind fabelhaft darin, auf Fragen auszuweichen, allgemeine Antworten zu geben oder zu relativieren.

Morris: Vielleicht haben Sie recht. McNamara sagte in meinem Film „The Fog of War“: „Beantworte nie die Frage, die dir gestellt wird, sondern die Frage, die du gerne gestellt bekommen hättest.“ Rumsfeld verliert sich gerne in Allgemeinheiten, in Vergleichen und so weiter.

Die Welt: Ja, er spricht in Rätseln. Mir tat am Ende der Kopf weh.

Morris: Ich dachte: Vielleicht ist das der Schlüssel zu dieser Person. Er ist wie ein Tintenfisch, der tonnenweise Tinte versprüht, um sich im Wasser unsichtbar zu machen. Man sieht nur mehr die Tinte, seine Worte.

Die Welt: Was auffällt, ist Rumsfelds Art, vom eigentlichen Skandal abzulenken.

Morris: Es gibt einen Essay von Arthur Schopenhauer mit dem Titel „Die Kunst, Recht zu behalten“. Schopenhauer sagte, es gibt zwei Möglichkeiten, Recht zu behalten: einerseits Logik, andererseits Dialektik. Gleich danach sagt er: Vergessen Sie die Logik, das funktioniert nicht. Bleibt also nur die Dialektik. Dann präsentiert er 40 Möglichkeiten, Recht zu behalten. Eine meiner Lieblingsmöglichkeiten ist diese: Man ist mit seinen Argumenten am Ende, man wurde in Grund und Boden gestampft vom Gegner und als Lügner bezeichnet. Dann sieht man seinem Gegenüber direkt in die Augen und sagt: „Ich bin froh, dass sie jetzt endlich so denken wie ich.“ Daran musste ich während des gesamten Interviews denken. Ich las ihm aus dem Schlesinger-Report vor, der die Folter in Abu Ghraib schilderte. Und er sagte, er würde mit diesem Report nicht übereinstimmen. Wäre ich ein anderer Filmemacher, hätte ich wohl nachgefragt, wieso er das genaue Gegenteil dieses Berichts behauptet. Aber ich finde es in solchen Situation gut, Aussagen stehen zu lassen, denn das sagt viel über den Interviewpartner aus. Er erzählte mir auch, wie abgestoßen er von den Fotografien aus Abu Ghraib war. Ich fragte ihn, wieso. Er sagte: „Die waren ja nackt.“ Oh mein Gott! Da wird die Kernfrage des Films offenbar: In welcher Welt lebt dieser Mann eigentlich?

Die Welt: Bush war nicht wirklich feinfühliger damals.

Morris: Ich sehe Bush eigentlich nur als die dumme Marionette, die man im Weißen Haus platziert hatte. Cheney und Rumsfeld waren viel klüger und zogen die Fäden.

Die Welt: Kann Geschichte jemals aufgeklärt werden?

Morris: Nichts wird aufgeklärt! Das ist ein Missverständnis in Bezug auf Geschichte. Sie kann nicht aufgeklärt werden. Ich stelle mir die Geschichte eher als den Tatort eines Verbrechens vor, aber das ist vielleicht auch ein Missverständnis, denn wir alle haften für die Geschichte. Man kann das nicht lösen.

Die Welt: Wie sehen Sie die heutige US-Politik?

Morris: Ich habe Obama gewählt, zweimal. Hat es etwas gebracht? Ich weiß nicht. Bin ich enttäuscht? Definitiv. Aber würde ich lieber Mitt Romney im Weißen Haus sehen? Nicht wirklich. Ich erinnere mich an einen Wahlwerbesticker für Obama, der vor seiner Wiederwahl erschien. Darauf stand: „Obama 2012. Oder haben Sie eine bessere Idee?“ Das trifft es ziemlich gut.