Am 1. Juli tritt die noch von Schwarz-Gelb verabschiedete Reform des Privatinsolvenzrechts in Kraft. Mit den neuen Regelungen tritt die völlige Schuldenbefreiung früher in Kraft.
Beate Heinrichs weiß, wie es ist, ganz tief zu fallen. Zur Jahrtausendwende verdiente sie mit ihrer Baufirma 20.000 Mark im Monat – genug, um sich ein Leben im Luxus leisten zu können.
Doch als ein Geschäftspartner Konkurs anmeldete, ging es auch für Heinrichs finanziell bergab. Denn die Unternehmerin hatte ihrem Geschäftspartner Baustoffe geliefert, die sie vorher selbst für 400.000 Mark gekauft hatte.
Das Geld war weg – und Heinrichs ging volles Risiko: Um ihre Firma zu retten, belastete sie ihr Haus mit einer Hypothek in Höhe von 350.000 Mark.
Als auch die aufgebraucht waren, musste Heinrichs mit ihrem Unternehmen Insolvenz anmelden und blieb auf ihren Schulden sitzen.
„Nichts ging mehr“, sagt Heinrichs, die in Wirklichkeit anders heißt. Ihren tatsächlichen Namen möchte die 57-Jährige nicht in der Zeitung lesen – sonst wäre es für sie noch schwieriger, wieder ein Bein auf den Boden zu kriegen. Denn auf den Konkurs ihres Unternehmens folgte ihre private Insolvenz.
100.000 Privatinsolvenzen pro Jahr
Jedes Jahr werden etwa 100.000 Privatinsolvenzverfahren in Deutschland eröffnet. Fehlinvestitionen oder übermäßiger Konsum sind eher selten die Ursache für die Überschuldung.
Die meisten Menschen geraten nach Angaben des Statistischen Bundesamts durch Arbeitslosigkeit, Trennung vom Partner oder Krankheiten in eine Situation, in der nur noch ein Insolvenzverfahren hilft.
Wer es durchläuft, konnte bisher nach sechs Jahren darauf hoffen, von sämtlichen Schulden befreit zu werden – auch jenen, die er bis dahin nicht tilgen konnte. Mit neuen Regelungen, die am 1. Juli in Kraft treten, ist dies früher möglich.
Wem es zukünftig gelingt, innerhalb von drei Jahren nach der Insolvenzeröffnung mindestens 35 Prozent seiner Schulden sowie die Verfahrenskosten zurückzuzahlen, dem wird seine Restschuld erlassen.
Wer diese Quote nicht erreicht, aber immerhin seine Verfahrenskosten von etwa 1500 bis 3000 Euro bis zum Ende des fünften Jahres bezahlen kann, ist ab dann schuldenfrei.
Pfändung ist obligatorisch
Künftig von der Restschuldbefreiung ausgenommen sind Forderungen aus Steuerhinterziehungen und Unterhaltszahlungen, die ein Schuldner nicht geleistet hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre.
Der grundsätzliche Ablauf des Insolvenzverfahrens verändert sich durch die Reform nicht: Mit der Eröffnung beginnt die sogenannte Wohlverhaltensperiode. Sie dauert an, bis ein Gericht die Restschuldbefreiung erteilt oder der Schuldner sämtliche Forderungen zurückgezahlt hat.
Zu Beginn der Periode pfändet der Insolvenzverwalter alle nicht lebensnotwendigen Gegenstände. Davon ausgenommen sind persönliche Dinge wie der Ehering.
Auch ein Fernseher ist geschützt, sofern er nicht mehr als etwa 1000 Euro wert ist – sonst muss er durch ein billigeres Modell ersetzt werden. Auch das Auto darf nicht gepfändet werden, wenn der Schuldner es zwingend für seinen Job benötigt.
Schuldner-Gruppenbildung hilft
Schließlich wird ein Teil des Einkommens gepfändet. Der Betrag richtet sich nach Höhe des Gehalts und nach der Anzahl der Personen, die davon leben müssen. Wer beispielsweise 2000 Euro monatlich verdient und alleine lebt, muss auf 668,47 Euro verzichten.
Wer dagegen ein minderjähriges Kind hat, für das er sorgen muss, muss nur 280,83 Euro abgeben. Wie viel genau übrig bleibt, geht aus der Pfändungstabelle hervor, die online einsehbar ist.
Neu eingeführt wird das Insolvenzplanverfahren. Jeder Schuldner kann diese Karte ziehen, wenn er sich mit den Gläubigern auf einen Rückzahlungsplan einigen kann.
Dabei kann er seine Gläubiger in verschiedene Gruppen einteilen und dann einzeln mit den Gruppen verhandeln. Schafft er es, die Mehrheit der Gläubiger mit der Mehrheit der Forderungen von seinem Rückzahlungsplan zu überzeugen, muss der Rest mitziehen. Allerdings nur, solange es niemandem durch den Plan schlechter geht als ohne.
Wer beispielsweise fünf Unternehmen jeweils 1000 Euro schuldet, kann drei von ihnen zu einer Gruppe formieren und ihnen ein Angebot machen. Akzeptieren die drei den Plan und werden die anderen beiden Unternehmen dadurch nicht benachteiligt, müssen auch sie den Plan akzeptieren.
Wichtig: Vom Insolvenzplanverfahren können auch jene Menschen profitieren, die bereits vor dem 1. Juli eine Insolvenz angemeldet haben.
Umstrittene Quote
Auch wenn es sich bei der Reform um die erste größere Änderung des Insolvenzrechts seit 1999 handelt, ist sie umstritten. Für SPD, Grüne und Linke geht die Reform nicht weit genug: Sie halten die Quote von 35 Prozent für zu hoch, die nötig ist, um nach drei Jahren eine Restschuldbefreiung zu bekommen.
Dem stimmen die Schuldnerberatungsstellen zu: „Die Reform ist ein wirkungsloses Instrument“, sagt Ralf Jeuschede, Leiter der Zentralen Schuldnerberatung Bonn, „selbst die zeitweise diskutierten 25 Prozent wären für viele Schuldner bei uns illusorisch.“
So sieht das auch die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, die sich eine generelle Verkürzung des Insolvenzverfahrens ohne Bedingungen auf drei Jahre gewünscht hätte.
Ausgleich zwischen Schuldner und Gläubiger
Die Interessenvertretung deutscher Banken, der Zusammenschluss „Die Deutsche Kreditwirtschaft“, lehnt eine niedrigere Quote dagegen vehement ab: Sie befürchtet, dass die Gläubiger dadurch benachteiligt würden.
Die Quote von 35 Prozent sei annehmbar, heißt es bei den Banken. Allerdings sind sie skeptisch, ob durch die Einführung einer Quote der Anreiz für Schuldner steigt, ihre Schulden schneller zu begleichen. Für sie ist durch die Reform nichts gewonnen.
Die CDU, die die Reform zusammen mit der FDP in der vergangenen Legislaturperiode durchgesetzt hat, wehrt sich gegen die Kritik. „Mit dem Gesetz bringen wir das Interesse der Schuldner an einem Neustart einerseits und der Gläubiger an einer Erfüllung ihrer Forderungen andererseits zu einem fairen Ausgleich“, heißt es bei der CDU/CSU-Fraktion.
Die Quote helfe den Gläubigern, indem sie den Schuldnern einen höheren Anreiz biete, ihre Schulden zu begleichen. Eine niedrigere Quote hätte dagegen die Rechte der Gläubiger zu sehr geschwächt.
Hanno von Plettenberg, Referent der Arbeitsgruppe Recht und Verbraucherschutz der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, gibt außerdem zu bedenken, dass niemand vor Inkrafttreten des Gesetzes wissen könne, wie viele Schuldner in der Lage seien, 35 Prozent ihrer Schulden plus Verfahrenskosten zu begleichen.
Rechtzeitig zur Schuldnerberatung
Beate Heinrichs jedenfalls hilft die Reform nicht. Ihr Schuldenberg ist inzwischen auf 600.000 Euro angewachsen. Um 35 Prozent ihrer Schulden plus Verfahrenskosten zurückzuzahlen, müsste sie also mehr als 220.000 Euro auf den Tisch legen. „Unmöglich“, sagt Heinrichs.
Bis heute ist ihr Privatinsolvenzverfahren nicht eröffnet worden. Grund: Sie musste erst abwarten, bis sie ihre Berliner Wohnung verkauft hatte, damit ihr Vermögen beziffert werden konnte.
Die Wohnung hatte Heinrichs einst als Renditeobjekt gekauft, als es ihr finanziell noch gut ging. Allerdings entpuppte sich die Immobilie als Fehlinvestition: Das Gebäude war in einem viel schlechteren Zustand als angenommen.
Über sieben Jahre wurde die Wohnung auf Versteigerungen angeboten, bis sich im vergangenen Jahr endlich ein Käufer fand. Nun steht einer Privatinsolvenz nichts mehr im Wege. Einen Termin mit einer Schuldnerberatungsstelle hat Heinrichs bereits ausgemacht. Auf diesen muss sie jetzt allerdings auch noch drei Monate warten.
Banken manchmal kooperativ
Solche Wartezeiten sind nicht ungewöhnlich. „Bei den ersten Anzeichen von Liquiditätsproblemen sollte man eine Beratungsstelle aufsuchen“, rät deswegen Ralf Jeuschede, Leiter der Zentralen Schuldnerberatung Bonn. „Aufschieben ist keine gute Idee.“
Manchmal könne man Kreditverträge der Schuldner ändern und so eine Insolvenz verhindern, wenn der Schuldner rechtzeitig genug komme. Banken seien dabei häufig kooperativ, um einen Totalausfall zu verhindern. Ein deutliches Anzeichen für Probleme ist aus Jeuschedes Sicht, wenn Schuldner neue Schulden aufnehmen, um alte Verbindlichkeiten zu decken.
Wer eine Schuldnerberatung aufsucht, sollte außerdem darauf achten, dass die Beratung nichts kostet – in den meisten gemeinnützigen Stellen ist das der Fall. Selbst wenn es später zur Insolvenz kommt, zahlt es sich aus, sich früh beraten zu lassen: Wer als Schuldner strukturiert in das Insolvenzverfahren geht und dem Insolvenzverwalter so Arbeit erspart, senkt die Verfahrenskosten. Das erhöht die Chancen, das Verfahren schon nach drei oder fünf Jahren zu beenden.
Für Beate Heinrichs ist die Privatinsolvenz eine Erlösung, nicht nur finanziell. „Ich habe derzeit viele Dinge im Kopf, die mich belasten“, sagt die 57-Jährige, „nach dem Verfahren kann ich dann endlich wieder in Ruhe leben.“
Sie hofft, in den kommenden fünf Jahren wenigstens die Verfahrenskosten vollständig bezahlen zu können. Dann wäre sie wenigstens ein Jahr früher schuldenfrei. „Das“, sagt Heinrichs, „ist für mich das Licht am Ende eines langen Tunnels.“