Tausende Krankgeschriebene werden von ihren Kassen zur vorzeitigen Rückkehr an den Arbeitsplatz gedrängt. Die Unabhängige Patientenberatung schlägt deshalb in ihrem Jahresbericht Alarm.

Eigentlich haben die Krankenkassen derzeit keinen Grund, zu drastischen Sparmethoden zu greifen. Denn die Finanzlage ist komfortabel: Die Rücklagen sind dank der soliden Wirtschaftsentwicklung üppig, insgesamt schlummern rund 30 Milliarden Euro an Reserven bei den Kassen und in ihrem gemeinsamen Finanzpool, dem Gesundheitsfonds. Und doch greifen viele Versicherungen zu besonders harten Mitteln, um bei ihren Patienten empfindlichen Spardruck auszuüben.

Beliebtes Rezept zahlreicher Kassen: Bei Langzeitpatienten in regelmäßigen Abständen nachzuhaken, ob das Krankengeld wirklich noch weitergezahlt werden muss – oder ob der vom Arzt Krankgeschriebene nicht schon längst wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Tausende Patienten fühlen sich von ihren Kassen unter Blaumacherverdacht gestellt. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Jahresbericht der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD).

Telefonanrufe und intime Fragen schüchtern ein

Zehntausende Beschwerden über Einschüchterungsversuche und rigiden Sparzwang gingen im vergangenen Jahr bei den Patientenberatern ein. Wie aus ihren Erhebungen hervorgeht, drehte sich ein Großteil der insgesamt 80.000 Beratungsgespräche zwischen April 2013 und März 2014 um die Frage, auf welche Leistungen die Patienten bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse Anspruch erheben dürfen. „Die Ansprüche gegen Kostenträger waren fast 28.000 Mal Thema – mit steigender Tendenz“, erklärte die Patientenberatung am Dienstag in Berlin.

Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung zeigte sich alarmiert. „Auch mir berichten Versicherte immer wieder davon, dass sie von den Krankenkassen zum Beispiel durch regelmäßige Telefonanrufe oder sehr intime Fragen unter Druck gesetzt werden, sich möglichst schnell wieder arbeitsfähig zu melden“, sagte der Bundesbeauftragte Karl-Josef Laumann (CDU). Besonders betroffen sind Patienten mit psychischen Erkrankungen wie Burn-out.

Thema Krankengeld „besonders angstbesetzt“

Bei jährlich rund 1,77 Millionen Krankengeldfällen der Krankenkassen gab es fast 7.000 Beratungen der Patientenberater zu Krankengeldfragen. Das Krankengeld wird von den Kassen für jeden Versicherten gezahlt, der wegen einer länger als sechs Wochen andauernden Krankheit arbeitsunfähig ist oder auf Kosten der Kasse in einem Krankenhaus stationär behandelt wird. Die Höhe liegt bei 70 Prozent des Arbeitseinkommens, wobei es für Spitzengehälter eine Deckelung gibt.

Die Patientenberater berichteten aus ihren Gesprächen, dass gerade das Thema Krankengeld „besonders angstbesetzt“ sei, heißt es im UPD-Jahresbericht. Ratsuchende fühlten sich vom Krankengeldfallmanagement ihrer Krankenkasse unter Druck gesetzt.

Krankenkassen verteidigen sich

Nach Angaben des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind die Ausgaben der Kassen für das Krankengeld von 6,02 Milliarden Euro im Jahr 2007 auf 9,75 Milliarden Euro im Jahr 2013 angestiegen. „In über 80 Prozent der Beratungsgespräche bei der Unabhängigen Patientenberatung zum Thema Krankengeld gab es keinen Hinweis auf eine Problemlage“, erklärte Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes. „Dies macht deutlich, dass die Krankenkassen auf dem richtigen Weg sind.“ Aber auch die von den Patientenberatern genannten 1.355 Fälle mit Hinweisen auf ein mögliches Fehlverhalten der Kassen beim Krankengeld seien Anstoß, noch bestehende Schwächen zu identifizieren und zu beheben.

Mehr als 7000 Beratungsgespräche gab es außerdem zum Verdacht von Patienten, Opfer von Behandlungsfehlern geworden zu sein. „Die meisten Gespräche standen dabei im Zusammenhang mit einer Krankenhausbehandlung, gefolgt von Behandlungen durch niedergelassene Ärzte und Zahnärzte“, heißt es im Jahresbericht.

Die Berater hätten große Vorbehalte und Berührungsängste auf Seiten der Patienten gegenüber Ärztekammern und Krankenkassen festgestellt. Das finanzielle Risiko eines Rechtsstreits sowie die psychische Belastung, die mit der Dauer gerichtlicher Verfahren einhergehe, halte Betroffene zudem davon ab, ihre Rechte tatsächlich einzufordern.

Laumann mahnt Informationspflichten an

In weit über 10.000 Fällen ging es um die Rechtmäßigkeit von Geldforderungen der Ärzte an ihre Patienten und um Zuzahlungen zu Medikamenten. Der Patientenbeauftragte Laumann rief die Krankenkassen auf, die Versicherten umfassender und früher über Kosten und Leistungsansprüche aufzuklären. „Und sie dürfen in keiner Weise – weder direkt noch indirekt – im Genesungsprozess unzulässig Druck auf Versicherte ausüben.“

Darüber hinaus wurden auch zahlreiche Beschwerden darüber verzeichnet, trotz klarer Regelungen im Patientenrechtegesetz keine Einsicht in die Krankenakte zu erhalten. Zugleich zögerten viele Patienten, dagegen vorzugehen, da sie das Vertrauensverhältnis zu ihrem Arzt nicht belasten wollten. Sorgen bereitete vielen Patienten auch eine unzureichende Aufklärung über die Zusatzkosten und den Nutzen der so genannten Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL), die zumeist der Vorsorge dienen, und zu niedrig angesetzte Kalkulationen in den Heil- und Kostenplänen der Zahnärzte.

Patienten fühlen sich allein gelassen und betrogen

„Was bleibt, sind Patienten mit dem Gefühl, nicht zu bekommen, was ihnen zusteht“, sagte UPD-Geschäftsführer Sebastian Schmidt-Kaehler. „Sie fühlen sich allein gelassen, betrogen und viele haben Angst.“

Dieser Befund kommt wohlgemerkt in Zeiten gut gefüllter Finanzrücklagen bei den Kassen. Für die nächsten Jahre sagen Gesundheitsexperten steigende Finanznöte für die Krankenversicherungen voraus.