Der rote Kater Carlos ist der wohl ungewöhnlichste Supermarktmitarbeiter Stormarns – mit einem Problem, das viele Berufstätige kennen dürften: Seine Familie würde ihn gern häufiger sehen.
Delingsdorf. Carlos Seyfahrt müsste nicht arbeiten, um zu essen. Er hat ein schönes Zuhause in Delingsdorf, wer in seinem Garten sitzt, blickt über bunte Blumen hinweg auf ein Feld. Er bekommt Trockenfutter, Katzenmilch und Leckerlis. Und trotzdem: Carlos tritt jeden Morgen seine Schicht an. Der Kater ist der wohl ungewöhnlichste Supermarktmitarbeiter Stormarns – mit einem Problem, das viele Berufstätige kennen dürften: Seine Familie würde ihn gern häufiger sehen.
Am Anfang dieser Geschichte heißt Carlos noch nicht Carlos, sondern „die rote Katze von Delingsdorf“. Und an ebenjenem Anfang steht eine Frage. Warum arbeitet er bei Aldi? Aus Not? Aus Karrieregründen?
Die Suche beginnt auf dem Parkplatz des Supermarktes in Delingsdorf. Jeden Morgen, berichtet eine Kundin, komme die Katze angetrabt, setze sich vor den Eingang und warte darauf, dass die Menschen ihr Futter geben. An diesem Tag ist kein Tier zu sehen, vielleicht ist die Katze in der Mittagspause. Sie wohne in der Nähe, sagt eine Frau, die vor dem Eingang ein Straßenmagazin verkauft. Durch Büsche sind Gärten von Einfamilienhäusern sichtbar. Einmal um die Ecke gegangen beginnt das Wohngebiet. Nach dem Klingeln an der ersten Haustür öffnet eine Frau. Ob sie die rote Katze kenne? „Klar, das ist Carlos, den kennt hier jeder.“ Aha, Carlos ist also ein Kater. Und wo wohnt er? „In dem weißen Haus.“
Carlos lebt seit 13 Jahren bei Familie Seyfahrt
In dem weißen Haus wohnen die Seyfahrts, sagt das Klingelschild. Angela Seyfahrt ist zu Hause. Carlos? Ja, der gehöre zu ihr, schon seit 13 Jahren. „Inzwischen“, sagt Angela Seyfahrt, „ist Carlos schon alt. Er ist ein bisschen abgenagt. Aber wenn man älter wird, dann zerfällt man eben, das ist wie bei den Menschen.“ Er sei auch etwas langsamer geworden. „Kunden von Aldi haben mich schon darauf angesprochen.“
Wer häufig dort einkauft, kann tatsächlich vergleichen: Seit drei Jahren kommt Carlos regelmäßig zu Aldi. „Oder, Ingo, wie lange zwitschert der Carlos schon dort rum?“, fragt Angela Seyfahrt ihren Mann. „Drei Jahre bestimmt“, sagt der. „Hier gibt es mehrere Katzen in der Siedlung, jede hat ihr Revier. Und Carlos hat seines auf den Supermarkt ausgedehnt“, sagt Ingo Seyfahrt. „Tiere sind schnell geprägt, es muss bei Carlos klick gemacht haben, dass das Essen dort leckerer ist als bei uns“, sagt er und lächelt. „Die Kunden stellen ihm Nassfutter hin, er bekommt Leckerchen und Streicheleinheiten, die Kinder spielen mit ihm. Hier bekommt er Trockenfutter oder fängt sich ’ne Maus.“ Die Knabberstangen, die er so möge, bekomme er aber sehr wohl zu Hause auch, sagt seine Frau. „Er leidet hier keine Not. Aber die positiven Erlebnisse bei Aldi überwiegen.“ Der Effekt: Carlos geht zu Aldi, im Sommer wie im Winter.
Ein bisschen erinnert Carlos an den Comic-Kater Garfield
Im Sommer liegt er vor dem Eingang auf dem Boden. Meistens. „Neulich habe ich ihn abgeholt, da lag er auf einem kleinen Kopfkissen.“ Angela Seyfahrt fährt nach der Arbeit beim Supermarkt vorbei. Wenn sie Carlos sieht, ruft sie ihn, und er springt ins Auto. „Wie ein Kindergartenkind.“ An eine Situation erinnert sie sich noch gut. „Ich bin auf den Parkplatz gefahren und habe Carlos in einem Auto gesehen. Da habe ich die Frau gefragt, was denn mein Kater in ihrem Auto macht. Und sie antwortet: Ach, der gehört zu ihnen! Ich gehe hier immer einkaufen, mein Mann bleibt im Auto, und Carlos leistet ihm Gesellschaft.“ Er springe auch in Einkauswagen.
So viel Engagement fällt auf in Delingsdorf. Eines Tages rief Seyfahrts Tochter an und sagte, auf Facebook habe jemand ein Foto von Carlos hochgeladen. In dem selbst gebastelten Kalender, den die Tochter den Seyfahrts schenkte, ist der bisherige Höhepunkt von Carlos’ Karriere auf dem Blatt für den April zu sehen. „Carlos, die Katze, die das ganze Dorf kennt“, steht dort.
Wen das ganze Dorf kennt, will man natürlich kennenlernen, auch wenn man von außerhalb kommt. Ein zweiter Versuch, vielleicht ist Carlos ja aus seiner Mittagspause zurück. Und tatsächlich: Im Schatten neben den Fahrradständern liegt der Kater, wunderbarerweise hat er orangefarbenes Fell, ein bisschen erinnert er an Garfield, den Comic-Kater, der so gern Lasagne isst. „Der ist süß, nicht“, sagt eine Kundin, die vorbeiläuft. „Ach, der Carlos“, sagt eine andere. Er sei ein bisschen dick, sagt eine dritte. Das aber kann hier so nicht bestätigt werden.
Vielleicht liegt es auch am Alter, dass der Kater ein wenig eigen ist. Sein Halsband mochte er nicht tragen, „es war besonders schön, so ein kariertes Tuch. Aber er streift es sich ab“, sagt Angela Seyfahrt. Vielleicht mag ein Karrierekater sich nicht die Sachen zu Hause rauslegen lassen. Dazu passt, dass er – wie Kinder bei ihren Eltern – ausgezogen ist und nur immer mal wieder zu Hause vorbeischaut, obwohl er eine wirklich freundliche Familie hat. „Er fühlt sich beim Supermarkt heimischer“, sagt Angela Seyfahrt. Eine ganz treue Seele ist der Kater Carlos also wirklich nicht. Oder, Frau Seyfahrt? Sie lacht. „Nicht, seit es Aldi gibt.“