Ob Anna Karenina, Effi Briest oder Madame Bovary – sie alle gingen fremd. Jetzt verrät ein Experte, warum – und was wir von den großen Frauenfiguren der Weltliteratur lernen können.
Lange ist es her, dass auf Ehebruch die literarische Todesstrafe stand. Historisch war es die drohende Vernichtung der gesellschaftlichen Existenz der Frau, die ihn zum „Spiel ums Ganze“ machte, wie es der Roman nun einmal braucht. „Ein untreuer Ehemann bleibt trotzdem ein Ehemann, eine untreue Ehefrau aber bleibt gar nichts“ – so beschreibt Wolfgang Matz die Problemlage des 19. Jahrhunderts in seinem fabelhaften Buch über „Die Kunst des Ehebruchs“. Der Lektor, Literaturkenner und Biograf Adalbert Stifters widmet sich diesmal Flaubert, Tolstoi und Fontane.
Es geht in den klassischen Ehebruchsromanen „Madame Bovary“, „Anna Karenina“ und „Effi Briest“ weniger um romantische Liebesgeschichten (am wenigsten bei Fontane, wo der kleine, bloß angedeutete Fehltritt mit Crampas Jahre später fatale Folgen hat) als um das Verhandeln von Lebenskatastrophen, und vor diesem Hintergrund kann sich Matz für die menschenkundige, lebensverzweifelte Tiefe Tolstois, die mit größter epischer Souveränität einhergeht, am meisten begeistern.
Was die Frauen antreibt
Anna liebt, Effi spielt, Emma hasst. Sie ist die Selbstmordattentäterin gegen die bourgeoise Lebensform. Indem Matz vergleicht, werden die Unterschiede der Romane deutlich und die Profile der Figuren geschärft. Effi ist keine von langer freudloser Ehe enttäuschte Frau; Emma Bovary dagegen eine Enttäuschte schon vor der Ehe; sie verzehrt sich nach der „Sünde“. Anna Karenina aber liebt keineswegs den Ehebruch, sondern Wronski, mit dem sie ein neues Leben beginnen möchte. Und die Männer? Sie stehen seit jeher dumm da als „Verkörperung des ehelichen Prinzips“.
Der gehörnte Charles Bovary verfällt schon als Schüler bösem Spott; er muss zwanzig Mal den Satz „ridiculus sum – ich bin lächerlich“ schreiben. Er merkt gar nicht, dass Emma ihn nach Strich und Faden hintergeht, stattdessen hält er dem Provinzcasanova Rodolphe Boulanger noch den Steigbügel hin für dessen routinierte Ausritte.
Charles ist eine Figur als Rufmord, aber man übersieht leicht, dass es die von romantischen Fantasien und schwärmerischen Lektüren verkorkste Emma an Blödheit ebenso mit ihm aufnehmen kann wie ihre beiden Geliebten; alles Karikaturen und der Roman eine Demontage des romantischen Gefühlsüberschwangs.
Karenin – als Typ komplexer als gedacht
Das 19. Jahrhundert verurteilte zwar die Ehebrecherinnen, wollte sie aber bald schon als Opfer einer erbarmungslosen Männerwelt verstehen. Fontane ärgerte sich darüber, dass die differenzierte Figur des Geert von Innstetten in diese Buhmann-Rolle gedrängt wurde. Auch Karenin wurde mit Annas Augen vor allem als Mann mit großen Ohren und „bürokratische Maschine“ wahrgenommen; dabei wird er von Tolstoi als komplexe, in ihrem inneren Dilemma berührende Gestalt gezeichnet.
Aber in der Herrschaftsrolle des Ehemanns liegt die Zielscheibe, als würden sie alle völlig zu Recht bereits den kleinen, gehörnten Doppelgänger in sich tragen, der auf seinen Auftritt wartet – und mit ihm eine ganze zeigefingervorschnellende Lese-Welt.
Sogar Effis Hund schüttelt den Kopf
Seit je heißt es, Fontane sei nicht auf dem weltliterarischen Niveau von Flaubert und Tolstoi. Etwas schade, dass Matz keine Argumente dagegen findet, sondern „Effi Briest“ auf gewohnte Weise abwertet. Er empört sich über das Schlusskapitel, wo die Briests an Effis Grab im eigenen Garten Kaffee trinken und für einen skandalös beiläufigen Moment nach der eigenen Schuld fragen, um sie sogleich in Abrede zu stellen; auch Hund Rollo schüttelt den Kopf. Diese Szene hätte Matz gern energisch weglektoriert: nichts als falsche Versöhnlichkeit. Wirklich?
Vom unverschnörkelten, grundehrlichen Feststellungsstil Tolstois und der messerscharfen, antiromantischen Polemik Flauberts (die oft mit „Realismus“ verwechselt wurde) beeindruckt, entwickelt Matz wenig Sinn für den Plauder-Zauber des alten Fontane, der schwer in andere Sprachen zu übersetzen ist – ein anderer Grund, warum die internationale Wirkung von „Effi Briest“ vergleichsweise gering ist.
Wieviel Madame Bovery in Effi steckt
Dabei sieht Matz richtig, dass Fontanes Versöhnlichkeit in vielen Situationen des Romans eine direkte Antwort auf Flauberts radikale Poetik der Zuspitzung ist. Als hätte Innstetten selbst Flaubert gelesen und wollte das „Ridiculus sum“ um jeden Preis vermeiden, meint er an zentraler Stelle: „Von solcher Lächerlichkeit kann man sich nie wieder erholen.“
„Madame Bovary“ sei als „Zeichensystem unter dem Text“ des Fontane-Romans anwesend, legt Matz schlüssig dar. Es geht dabei nicht darum, dass literarische Kenner etwas zu erkennen bekommen, sondern um nichts Geringeres als die Rehabilitation des Menschen: Vielleicht sind die Leute doch nicht ganz so dämlich, selbstzufrieden und perfide, wie Flaubert uns weismachen will.
Heute ein Thema für Houellebecq
Wenn der Ehebruch kein Skandal mehr ist, wenn die spezifischen Konflikte der drei Romane an historische Stadien der Liberalisierung der Geschlechterverhältnisse gebunden sind – worin liegt dann heute der Reiz ihrer Lektüre? Natürlich darin, dass das Zusammenbleiben für Paare mehr denn je ein Problem ist.
Die literarische Reflexion über gelingendes oder scheiterndes Eheleben bekommt durch die tragische Verdichtung und die tödliche Zuspitzung eine Dringlichkeit, die Gegenwartsromanen oft fehlt. Man muss Matz nicht in jedem Punkt zustimmen (auch die beiden Kapitel über das zwanzigste Jahrhundert, die sich Houellebecq und Arno Geiger widmen, fallen etwas ab), um sein klug, klar und pointiert geschriebenes Buch inspirierend zu finden. Ein schönes Hochzeitsgeschenk für die gebildeten Kreise.