Jeder Stadtteil hat seine eigene Geschichte. Der Historiker und Abendblatt-Redakteur Dr. Matthias Schmoock hat sich auf eine Zeitreise begeben
Die zwei „Barmbeks“ gibt es noch gar nicht so lange, wie viele glauben: Bis zum Groß-Hamburg-Gesetz bestand nur ein „Barmbek“ (gelegentlich auch als „Groß Barmbeck“ bezeichnet), gebildet aus den heutigen Stadtteilen Barmbek-Nord, Barmbek-Süd und Dulsberg. Bis zur Eingemeindung der Nachbardörfer Bramfeld und Steilshoop im selben Jahr hatte dieses große Barmbek einen Teil der Grenze Hamburgs zu Preußen gebildet. Schluss war an der heutigen Schmachthäger Straße, deren südwestliche, zum Teil noch vorhandene Bebauung sozusagen das Ende der Stadt Hamburg bildete. Auch das alte Grenzhaus an der Ecke Steilshooper Straße/Richeystraße ist (als Kneipe) noch erhalten.
Eine besondere Heldentat ereignete sich in der frühen Geschichte Barmbeks: Während der Franzosenzeit war es dem Naturkundler Gerhard Heinrich von Essen (1770 – 1833) gelungen, die Besatzer durch Zahlung von 1000 Talern in Silber in letzter Minute davon abzubringen, das Dorf niederzureißen. Barmbek blieb damit das Schicksal vieler anderer Gegenden erspart. Nach von Essen wurde später eine Straße benannt. Nach Aufhebung der Torsperre (1860) wurde Barmbeks Entwicklung zum Vorort in erstaunlichem Tempo vorangetrieben. 1862 hatten die Straßen Namen erhalten, ein Jahr später wurden sie mit Gaslaternen erleuchtet. Mietshäuser entstanden, das allererste 1866 am Holsteinischen Kamp. 1867 wurde eine Pferdebahnverbindung vom Barmbeker Zoll zum Rathausmarkt eingerichtet, 1895 kam dann die „Elektrische“. 1871 wurde Barmbek offiziell Vorort, 1894 der einwohnerstärkste Stadtteil Hamburgs. Im Jahr 1920 lebten hier bereits 120.000 Menschen – eine Stadt für sich.
Die Hafenarbeiter, die nach dem Zollanschluss nach Barmbek zogen, siedelten sich vor allem im südlichen Teil an. Das heutige Barmbek-Nord nahm später als der Süden Gestalt an, weil „Groß Barmbeck“ schrittweise aus der Stadt heraus in Richtung Landesgrenze entwickelt wurde. Die Gegend zwischen dem 1914 eröffneten Stadtpark und der Bramfelder Straße war bis in die 20er-Jahre hinein weit weniger dicht bevölkert als der Rest.
Und im späteren Stadtteil Dulsberg tat sich damals auch noch nicht viel. Dabei gab es im Norden Barmbeks schon während der Wilhelminischen Ära wichtige öffentliche Einrichtungen und bedeutende Unternehmen: 1907 nahm die Hamburg-Altonaer Stadt- und Vorortbahn mit dem Bahnhof „Barmbeck“ ihren Betrieb auf. Gleichzeitig begann der Bau der Hamburger Hochbahn, die 1912 startete. 1913 eröffnete das weit im Norden gelegene Krankenhaus Barmbek, dessen Gelände als Park gestaltet war. Für die Besucher entstand ganz in der Nähe der Haltepunkt Rübenkamp. Auch eine Kirche wurde gebaut: die Auferstehungskirche in der Straße Tieloh, errichtet von 1916 bis 1920.
Schon 1873 hatte die New York-Hamburger Gummi-Waaren Compagnie am Osterbekkanal ihren Betrieb aufgenommen, die 1910 rund 1100 Arbeitnehmer beschäftigte. 1912 wurde die Müllverbrennungsanlage am Alten Teichweg eröffnet. 1909/10 errichtete Hinrich Voss eine Margarinefabrik an der Ecke Bramfelder Straße/Habichtstraße. Das Unternehmen, im Volksmund „Butter Voss“ genannt, schloss 1979, und die Gebäude wurden 1984 zum Großteil abgerissen. Immer noch fehlte bezahlbarer Wohnraum, aber die Bebauung war wegen des Ersten Weltkriegs und der nachfolgenden Krisenjahre ins Stocken geraten. Barmbek-Nord und das benachbarte Dulsberg wurden dann von den frühen 1920er-Jahren an sozusagen auf der grünen Wiese geplant und am Reißbrett entwickelt – unter Federführung von Oberbaudirektor Fritz Schumacher.
Der brach mit den klassischen Bauformen und schuf an vielen Stellen lichtdurchflutete Höfe, Laubengänge, Gärten und sanitäre Einrichtungen, die damals längst nicht zur Standardausstattung einer Wohnung gehörten. Die neuen Blocks wurden in vier- bis sechsgeschossiger Bauweise mit überwiegend zwei Wohnungen pro Treppenabsatz („Zweispänner“) errichtet. Backsteinfassaden und die formale Nähe zum Bauhaus prägen auch heute noch viele Straßenzüge in Barmbek-Nord. Auch die großzügig angelegten Grün-, Spiel- und Sportflächen gehen auf Schumachers Entwürfe zurück. Erst im Sommer 1930 wurde die schon 1914 fertiggestellte U-Bahn-Station Habichtstraße dem Verkehr übergeben. 1931 kam die Haltestelle Alte Wöhr hinzu.
Durch eine Heldentat hat ein Naturkundler verhindert, dass das Dorf in der Franzosenzeit niedergerissen wurde.