Hinter dem bayerischen Dorf Einödsbach ist die Bundesrepublik zu Ende, auf der anderen Seite der Berge liegt Nachbar Österreich. Auf Besuch sind die maximal zehn Bewohner dennoch gut vorbereitet – der Berggasthof empfängt seit 1860 Gäste
Sie blicken böse drein. Ihr habt hier nichts verloren, sagen diese Blicke, und manche Wanderer machen uns nur widerwillig Platz. Unser Autokennzeichen verrät uns als Urlauber, deren Heimat gut 800 Kilometer entfernt ist. Aber das letzte Stück Straße liegt im Naturschutzgebiet und ist für den allgemeinen Verkehr gesperrt. Und die meisten Leute, die uns auf der Straße, die durch den Wald führt, entgegenkommen, wissen das. Doch weil wir länger als drei Nächte in Einödsbach, südlich von Oberstdorf, bleiben wollen, haben wir für die Dauer unseres Aufenthalts eine Sondererlaubnis für die Durchfahrt bekommen. Wir dürfen das also. Und angesichts des vollgepackten Kofferraums sind wir darüber doch recht froh.
In Einödsbach ist dann die Straße zu Ende. Weiter geht es hier nicht, Deutschland ist hier zu Ende. In der kleinen Ansiedlung auf 1142 Metern, dem südlichsten ganzjährig bewohnten Ort, gibt es nur ein knappes Dutzend Bewohner: die Wirtsfamilie des Berggasthofs Einödsbach samt Angestellten und einen Stuttgarter, der vor Jahren ein Anwesen von 1595 in Holzbauweise, das einst auch den Wittelsbachern gehörte, gekauft hat, das er aber nur wenige Tage im Jahr bewohnt und den wir nicht zu Gesicht bekommen. Wer von hier weiter will, muss gut zu Fuß sein, denn nur Wanderwege führen noch höher hinauf auf einige bewirtschaftete Hütten auf den umliegenden Bergen. Da braucht es gute Wanderschuhe, für manche Touren auch Kletterausrüstung. Und hinter den Bergen, viele Kilometer und Schweißtropfen weiter, da liegt Österreich. Katharina Ellmann ist hier in Einödsbach geboren. Die 39-Jährige bewirtschaftet mit ihrem Mann den Berggasthof Einödsbach, der in sechster Generation im Familienbesitz ist. Sie hat den Betrieb 2007 von ihrer Mutter übernommen und diese wiederum von deren Mutter. „In meiner Generation gab es zum ersten Mal die Auswahl zwischen Töchtern und Söhnen“, sagt die Dritte in einer Reihe von insgesamt fünf Geschwistern, „sonst waren immer nur Mädchen da.“
Die Einwohnerzahl variiert je nach Saison zwischen acht und zehn
Die ersten Aufzeichnungen zu Einödsbach stammten von 1516, erzählt Katharina Ellmann. Damals sei das eine Alpsiedlung gewesen, gegründet von Österreichern, die über die Berge in den Hochgebirgskessel gekommen waren. Das Anwesen ist 1664 erbaut worden, heißt es in einem historischen Prospekt. Johann Baptist Schraudolph, damals ein legendärer Bergführer, eröffnete 1860 den ersten Gastronomiebetrieb, seither ist der Berggasthof im Familienbesitz. Katharina Ellmann ist hier aufgewachsen und hat sich die Welt gründlich angesehen, bevor sie zurückkehrte. Die gelernte Hotelfachfrau war viele Jahre für die Lufthansa als Stewardess unterwegs – stationiert in Stuttgart, Hamburg, Frankfurt und schließlich in München, „um wieder näher an der Heimat zu sein“, sagt sie. Heimatverbunden war sie all die Jahre – den Friseur in Oberstdorf hat sie behalten. Sie war überall, auf allen Kontinenten, hat nicht mehr das Gefühl, etwas zu verpassen im südlichsten Zipfel der Republik. Als klar war, dass die Nachfolge für den Gasthof geregelt werden musste, gab es eine Familienkonferenz. „Die treibende Kraft war eigentlich mein Mann Christof“, sagt Katharina Ellmann, die den Betrieb mit ihm gemeinsam führt. Den gebürtigen Düsseldorfer hat sie schon während der Ausbildung kennengelernt. Alle Geschwister seien sich einig gewesen, dass der Gasthof nicht verkauft werden soll. Im Sommer arbeiten vier Angestellte mit, im Winter nur zwei. Und deshalb variiert die Einwohnerzahl je nach Jahreszeit zwischen acht und zehn. Sechs Tage die Woche bewirten Ellmanns ihre Gäste, dienstags ist Ruhetag.
„Der Pensionspreis wird auf Anfrage mitgeteilt; er ist mäßig, obgleich gute und reichliche Verpflegung geboten wird.“ So wirbt ein historischer Prospekt für einen Aufenthalt im Berggasthof. Heute kommen die Anfragen zum größten Teil per E-Mail. Die Wirtsleute haben einen Internetzugang. WLAN, Fernseher und Telefon auf den Zimmern gibt es nicht. Die Gäste sollten den Alltag loslassen, so der Wunsch der Gastgeber.
Weil es immerhin zwölf Kilometer bis Oberstdorf sind, essen wir abends meist im Berggasthof. Knusprig gebackene Schnitzel, gekochte Ochsenbrust, Sülze mit Bratkartoffeln, Kartoffelsuppe – die Gerichte sind typisch bayerisch und köstlich. Besonders urig sitzt man in der über 120 Jahre alten Jagdstube mit dem Kachelofen, die noch originalgetreu erhalten ist – mit Holzbänken und Bugholzstühlen. Nach dem üppigen Essen empfiehlt Christof Ellmann gern einen Enzianschnaps. Ein hochprozentiges Getränk, das erst im zweiten Anlauf schmeckt. Tipp: Nase zu und runter damit. Erstaunlicherweise schmeckt der Enzian viel besser, als er riecht, obwohl man doch sonst die Nase beteiligen soll beim Schmecken.
Schön, dass der Weg ins Bett so kurz ist: Nach dem Abendessen muss man nur noch ein paar Stufen rauf. Übermäßigen Komfort dürfen die Gäste nicht erwarten. Einige der Zimmer haben eine Duschkabine, aber nicht alle, die Toiletten sind am Gang – ein Tribut an das Alter des Gasthofes.