Ausgesetzt von ihrem Stamm. Luisa Natiwi lebt jetzt in Hamburg und hat ein Buch geschrieben
Manche Lebenswege sind so unwirklich, dass einem das eigene Leben so gewöhnlich, fast langweilig erscheint. Geboren als Nomadenmädchen in der Savanne im Nordosten von Uganda, lebt Luisa Natiwi jetzt in Bahrenfeld. In einer kleinen Mietwohnung statt in der Ziegenhütte aus Lehm, in der sie ihre ersten neuneinhalb Lebensjahre verbracht hat. Sie hätte eine von vielen Ehefrauen des Diktators Idi Amin werden können. Heute besucht die 61-Jährige Schulen und Kitas in Hamburg und Schleswig-Holstein, um den Kindern afrikanische Märchen zu erzählen. Mit ihrem Verein zebracrossing unterstützt sie außerdem Schulprojekte in Uganda.
„Dann sah ich die Hyäne. Sie hatte mein Bein gepackt und mich daran ein Stück aus der Tür gezerrt. Mit dem massigen Kopf, aus dem gurgelnd-gurrende Laute und ein stinkender Atem drangen, schüttelte die Bestie meinen ganzen Körper, wollte nicht hergeben, was sie zwischen ihren Reißzähnen festhielt.“
Diese Schilderung aus ihrem autobiografischen Roman „Rote Erde weißes Gras“ ist einer der vielen Wendepunkte in ihrem Leben. Denn mit dem Biss der Hyäne war das achtjährige Mädchen vom Stamm der Karamojong von der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen. „Ich war ein Krüppel, weil die Wunde nicht heilte“, erzählt Luisa Natiwi in ihrer Küche in Hamburg, die so gar nichts Afrikanisches hat.
Frau Natiwi sammelt Porzellan, auf dem Küchenschrank stehen Döschen und Kännchen mit Blumendeko. Es gibt schwarzen Tee aus feinen Porzellantassen. „Ich war zum Sterben verurteilt“, erzählt sie weiter. Um ein krankes Kind konnte sich niemand kümmern, man ließ die kleine „Natiwi“ in der Lehmhütte vegetieren. Bis heute fühle sie die Schmerzen des Alleingelassenseins, wenn sie daran zurückdenkt. Und wird nachdenklicher als sonst. Einige Minuten später sagt sie auch: „Es war eine super Kindheit. Keiner sagt dir, geh ins Bett, geh ins Bett.“ Was die Freiheit aber raubte, sei der ständige Hunger gewesen.
Nach der Attacke der Hyäne finden Missionare das fast verhungerte Mädchen in der dunklen Lehmhütte, pflegen sie, taufen sie mit christlichem Namen und unterrichten sie. Später wird sie die erste Lehrerin ihres Hirtenvolkes. „Die Europäer haben ein Herz für alles“, sagt sie heute. Den Hyänenbiss bezeichnet sie als größten Glücksfall ihres Lebens.
Mit 21 Jahren lernt die junge Lehrerin den Diktator Idi Amin auf einem Empfang an ihrer Schule kennen. „Ich musste mit ihm tanzen, und schon war er bis über beide Ohren in mich verliebt“, sagt sie und lacht. Heiraten wollte sie ihn auf keinen Fall. Und das lag nicht nur an den Blähungen während eines gemeinsamen Tanzes. Sie hatte auch Angst vor diesem riesengroßen Mann, „er war wie ein mountain“, sagt Frau Natiwi auf Englisch „wie ein Berg, ein Elefant“.
Ihr ältester Bruder hatte sie schon einem anderen versprochen. Das kommt der jungen Frau ganz gelegen. Sie bekommt ihren Sohn Moses mit diesem Mann. Moses ist heute 38 Jahre alt, Bauzeichner und lebt in Nürnberg. Es seien immer die Weißen, die ihr geholfen hätten, sagt Luisa Natiwi. Zuerst die Missionare. Dann, als sie lungenkrank wird und der vom Bruder auserwählte Mann sie deshalb doch nicht heiraten will, zum zweiten Mal.
Mit 23 Jahren lernt sie in Nairobi Deutsche kennen. Es dauert noch ein Jahr, ehe sie das Geld für die Reise nach Deutschland von ihrem Bruder erbettelt hat und zur Therapie in ein deutsches Krankenhaus kommt. Als Mädchen, als kleine Schwester darf sie nicht über ihr eigenes Geld verfügen. „Die afrikanische Gesellschaft ist hart“, sagt sie. „Wir halten nur zusammen, solange du etwas zu geben hast.“
Es ist der Schnee, der sie nach ihrer Ankunft an Heiligabend 1975 so fasziniert. Und die Weihnachtsbeleuchtung. „Die Lichter, das ist wie bei uns Nomaden nachts der Sternenhimmel. Dieses Funkeln“, schwärmt sie. Sie bleibt und lernt Hotelfachfrau, ein ugandischer Arzt wird ihr Ehemann. Als sie ihm mit ihren Kindern Alexander, heute 30, und Beatrice, heute 32, nach Uganda folgt, ist es vorbei mit der Liebe, weil ihre Herkunft nicht zum Stamm ihres Mannes passt. Sie ist unerwünscht.
Wie eine Hausangestellte und Gefangene leben Luisa Natiwi und ihre Kinder im Haus ihres Ehemannes. Wie sie dieses Leben ausgehalten hat? „Das musst du ertragen als Frau, wegen der Kinder“, sagt sie heute. Als sie es doch nicht mehr aushält, flieht sie mit ihren Kindern zurück nach Deutschland, nach Baden-Baden. Sie ist eine Lebenskünstlerin. Wenn eine Tür zugeht, sagt sie, gehe woanders eine auf.
Seit sieben Jahren lebt sie in Hamburg. Die Stadt hat sie gepackt. „Baden-Baden ist doch ein Dorf! Hier ist der Hafen, der Jungfernstieg, Eppendorf“, sagt sie und lacht wieder. Hier hat sie im Interconti gearbeitet, im Völkerkundemuseum afrikanische Märchen erzählt und noch immer besucht sie Schulen und Kindergärten, um sich als Massai zu verkleiden und von ihrer Heimat zu berichten. Mittlerweile ist das ihr Beruf, auch eigene Märchenbücher hat sie verfasst.
Die afrikanische Gesellschaft ist hart. Wir halten nur zusammen, solange du etwas zu geben hast.