2014 soll Google Glass auf den Markt kommen. Das Abendblatt probierte die Funktionen aus
Ein mit dem Internet verbundener Computer und eine Kamera integriert in einem Brillengestell, bedienbar per Spracheingabe – noch vor wenigen Jahren wäre so etwas pure Science-Fiction gewesen. Ein wenig futuristisch sieht „Google Glass“ tatsächlich aus: Ein biegsamer Metallbügel, auf der rechten Seite ein kantiges Kunststoffgehäuse mit einem Glasprisma.
Die erste Überraschung beim Aufsetzen ist das Gewicht: Obwohl das Gerät auch einen Akku enthält, wiegt es weniger als 50 Gramm. Für Menschen, die seit vielen Jahren dickere Gläser auf der Nase herumtragen, ist das kein ungewohntes Gefühl. Doch jetzt soll die Datenbrille zeigen, was sie kann – zum Beispiel die Route zum Rathaus.
Mit dem Befehl „O.K. Glass“ wird ein Menü an möglichen Funktionen aufgerufen, dann geht es weiter mit „Get directions to the Hamburg Town Hall“. Denn Deutsch beherrscht das Vorserienmodell, das in der Hamburger Deutschlandzentrale des Internetkonzerns Google vorgestellt wurde, noch nicht. Nach zwei vergeblichen Anläufen hat das Gerät die Frage verstanden und zeigt den Weg vom Standort an der ABC-Straße aus. Dabei werden die Informationen keineswegs mitten ins Blickfeld eingespiegelt, sodass sie sich mit der Ansicht der „realen“ Welt nicht überlagern. Stattdessen sieht man die Route wie auf einem Bildschirm am rechten oberen Rand des Sichtfelds. Zwar hat der Benutzer die Hände frei und muss nicht sein Smartphone hervorziehen. Doch dafür wandern die Augen ständig zwischen dem Anzeigefeld und der „echten“ Szenerie hin und her.
Zur nächsten Aufgabe, einer Google-Suche: „Who ist the president of the United States?“ Fast ohne Verzögerung erscheinen der Name und das Foto in der Anzeige, gleichzeitig liest eine Frauenstimme die Antwort „Barack Obama“ vor. Zur Sprachausgabe nutzt die Google-Brille die sogenannte Knochenschall-Technologie, überträgt also Schwingungen auf den Schädelknochen hinter dem Ohr. Die Lautstärke ist ein Kompromiss: Bei normalen Straßengeräuschen dürfte man kaum noch etwas verstehen, doch wäre der Ton lauter, könnten Personen in geschlossenen Räumen alles mithören.
Zwar kann der Benutzer mit Google Glass über ein per Bluetooth gekoppeltes Smartphone auch telefonieren, doch das würde er in vielen Situationen wohl eher ohne den Umweg über die Datenbrille tun. Etwas irritierend ist ihre Stromsparschaltung: Alle paar Sekunden deaktiviert sich das Gerät und muss durch Antippen des rechten Bügels, der auch als Touchpad für das Blättern im Menü fungiert, wieder hochgefahren werden – eine Geste, die von ahnungslosen Umstehenden missverstanden werden kann, weil es aussieht, als würde man jemandem „den Vogel zeigen“.
Ein völlig neuartiges Produkt benötige eben auch neue soziale Etikette, das sei beim Handy nicht anders gewesen, sagt dazu Google-Deutschland-Sprecher Stefan Keuchel. Erst recht gilt das für eine weitere Funktion der Brille: Sie dient auch als Foto- und Videokamera. Wer sich also in der Nähe eines Google-Glass-Trägers aufhält, muss damit rechnen, vergleichsweise unauffällig abgelichtet und „gepostet“ zu werden.
Die Möglichkeit der Personenerkennung über den Abgleich mit Fotos aus dem Internet hat der Hersteller unterbunden. Schließlich hat Google leidvolle Erfahrung mit Empfindlichkeiten im Blick auf die Privatsphäre gemacht. „Wir haben aus den Protesten gegen Streetview“ gelernt, sagt Keuchel.
Zweifellos bietet Google Glass faszinierende Möglichkeiten – vor allem für Menschen, die ohnehin Spaß daran haben, sich in sozialen Netzwerken zu tummeln. Die Meinungen darüber, wie erfolgreich das Produkt nach dem Marktstart irgendwann im kommenden Jahr sein wird, gehen aber stark auseinander. Bisher sind lediglich etwa 2000 Exemplare an Entwickler ausgegeben worden und 8000 Stück weltweit an sogenannte „Explorer“ – Personen, die von Google handverlesen wurden, um die Brille zu testen.
Während das Marktforschungsunternehmen Forrester davon ausgeht, das Gerät werde den Erfolg des im Jahr 2007 gestarteten Apple iPhone wiederholen, sind andere Experten eher skeptisch. „Google Glass ist ein sehr visionäres Produkt“, sagt Markus Friebel, Analyst bei Independent Research, „aber der Nutzen für den Alltag liegt nicht gleich auf der Hand.“ Die Brille werde wohl etliche Jahre lang eine „technische Spielerei für einige wenige“ bleiben. Als größtes Hemmnis sieht Friebel die mangelnde Akzeptanz in der Öffentlichkeit angesichts einiger potenzieller Fähigkeiten des Geräts. Verschiedene Firmen, darunter auch Apple, arbeiten an einer Armbanduhr mit ähnlichen Funktionen wie Google Glass, der koreanische Konzern Samsung hat eine solche Uhr schon vorgestellt. Nicht unwichtig für den kommerziellen Erfolg wird aber auch der Preis sein. Google äußert sich dazu nur sehr vage. Experten erwarten, das die Datenbrille rund 300 Euro kosten wird.
Bis zum Verkaufsstart muss der Hersteller noch ein Hindernis ausräumen: Er muss eine Version für Korrektionsgläser entwickeln, sonst kommt die Brille für die Hälfte der potenziellen Kunden weltweit nicht infrage.
Google Glass ist ein sehr visionäres Produkt. Aber der Nutzen für den Alltag liegt nicht gleich auf der Hand.