Stadtplaner Kerstin Esser und Jost Vitt begrüßen Übernachtungsgäste an ungewöhnlichen Orten – auf einer alten Hafenfähre und in einem Baumhaus
Bis sie alle
Betten in den acht Zimmern ihrer Pension gemacht hat, muss Kerstin Esser mehrere Tausend Meter zurücklegen. Denn ihre Gäste wohnen weit verstreut auf den Elbinseln Veddel, Wilhelmsburg und der Harburger Schlossinsel – an ganz ungewöhnlichen Orten: auf einer alten Hafenfähre, in einem Baumhaus, in den früheren Räumen eines türkischen Kulturvereins, in einer ehemaligen Lackfabrik oder einem knallbunten Dachzimmer.
„Es gibt so viele spannende Orte hier, da wollten wir uns nicht auf einen festlegen“, sagen Kerstin Esser, 36, und ihr Lebensgefährte Jost Vitt, 35. Das Paar will seinen Gästen die Vielfalt der Elbinsel zeigen. Wer in ihrer Insel-Pension ein Zimmer bucht, bekommt „authentisches Wilhelmsburg-Flair gratis dazu“ – ob im quirligen Reiherstiegviertel, am Rande einer Hochhaussiedlung oder auf dem Wasser. Die Unterkünfte bezeichnen Kerstin Esser und Jost Vitt als „Inseln“. Ihr Werbespruch: „Our Hamburg is your Island.“
Von einer eigenen Pension hatten die beiden Stadtplaner schon geträumt, als sie noch Studenten an der Uni Dortmund waren. „In Hamburg sollte sie sein, und nah am Wasser liegen“, erinnert sich Kerstin Esser. Zunächst verloren sie den Gedanken wieder aus den Augen – bis Jost Vitt als Raumplaner zur Internationalen Bauausstellung (IBA) nach Hamburg kam und sie ihm später folgte. Sonntagsausflüge führten die beiden von Eimsbüttel, wo sie mit ihrer Tochter Loki wohnen, oft nach Wilhelmsburg. „So haben wir die Insel mit ihren verwunschenen Orten und ihren Bewohnern gut kennengelernt.“
Also ein kleines Hotel bauen? Dagegen sprach nicht nur das Geld, sondern auch die Qual der Wahl bei der Standortsuche. Schließlich beschlossen sie, inspiriert von einem österreichischen Hotel mit ähnlichem Konzept, leer stehende Räume zu nutzen. Ein Gewinn für alle, sagt Kerstin Esser. Und für die Gäste eine „prima Alternative zum klassischen Hotel“.
Wie die stilvoll umgebaute Hafenfähre, mit der in den 1950er-, 60er- und 70er-Jahren Werftarbeiter von der Norderelbe zu ihren Terminals und Werften transportiert wurden. Jetzt hat sie im Harburger Binnenhafen festgemacht. Bis zu acht Personen können im „Kleinen Ozean“ schlafen, es gibt eine voll ausgestattete Küche, eine Terrasse und einen Wohnraum mit Kamin.
Oder das rustikale „Baumhaus“ auf dem Kinderbauernhof, der neben der Hochhaussiedlung Kirchdorf liegt. Zu Schweinegrunzen und Hahnenschrei gesellt sich hier das Rauschen der nahen Autobahn. Die Unterkunft verfügt über vier Klappbetten und eine Torftoilette, geduscht und gefrühstückt wird im Haupthaus. Die „Galerie“ ist ein Ladenlokal an der Veringstraße, das erst Farbengeschäft war und dann von einem Kulturverein genutzt wurde. Es ist mit Kunstwerken einer Wilhelmsburger Malerin ausgestattet. Durch die beiden großen Schaufenster können die Bewohner aus dem Bett direkt auf die Straße gucken – umgekehrt ist das wegen der spiegelnden Scheiben nicht so einfach. In der „Galerie“ gibt es eine Küche, ein Bad, ein weiteres Schlafzimmer und einen romantischen Hinterhof.
Das „Hafendock“ liegt direkt am Spreehafen, im ersten Stock eines ehemaligen Bürohauses. Der Charme hier ist rau: Um zum Eingang zu gelangen, durchquert man eine vergitterte Fläche mit Stellplätzen, sozusagen das Erdgeschoss. Das „Hafendock“ hat mehrere Schlafräume für bis zu zwölf Personen. Die Wände wurden von den Künstlerinnen Katja Scholz und Nicola Grzonka gestaltet, deren Ateliers in der Etage über dem Apartment liegen. „Wir hatten erst befürchtet, dieser Ort liege zu abseits, aber das war zu unrecht“, sagt Jost Vitt. Die Unterkunft liegt nur einen Katzensprung vom Fähranleger Ernst-August-Schleuse entfernt, direkt an einer Bushaltestelle und dem neu ausgebauten Radweg, der die Innenstadt mit Harburg – und damit auch St. Pauli und das nahe Reiherstiegviertel verbindet. Auch eine Unterkunft mit Familienanschluss kann man buchen.
In den meisten Unterkünften schlafen die Gäste auf eigens angefertigten Betten: Sie bestehen aus gelben Verschalungsbrettern, haben ein markantes Design und ein gepolstertes Rückenteil. „In unseren Betten kann man nicht nur schlafen, sondern auch Zeitung lesen oder am Laptop sitzen“, sagen Kerstin Esser und Jost Vitt. Bald wollen sie ihrer Pension eine weitere „Insel“ hinzufügen: Auf einem denkmalgeschützten Verladekran im Harburger Binnenhafen wollen sie die „Kran-Koje“ einrichten. Dann muss Kerstin Esser zum Betten machen auch etliche Höhenmeter zurücklegen.