In einer Villa in Eppendorf betreut Fitnesstrainer Felix Klatten den Faustkämpfer Jack Culcay. Der will Europameister werden
Chica winselt. Jack Culcay trainiert. Recht, links, rechts, links, bamm, bamm, bamm – Vollfeuer gegen den Sandsack, noch ein Haken. „Sehr gut, sehr gut“, sagt Moritz Klatten, der Fitnesstrainer und Manager des Halbmittelgewichts-Boxers, „und noch einmal.“ Chica winselt unglücklich. Aber Herrchen hat keine Zeit.
Draußen vor der Tür ahnt niemand, was sich hier im Keller einer Backsteinvilla mitten in Eppendorf abspielt.
Jack Culcay schwitzt. Er hat sich im kleinen Ring warm gemacht, getänzelt, schattengeboxt. Immer im Rhythmus eines Boxkampfes – Gong, drei Minuten Bewegung, Doppel-Gong, eine Minute Pause, Gong. Den Timer gibt es als App für das Smartphone. Sehr praktisch. Hier ist die Zeit der mechanischen Stoppuhr längst abgelaufen. „Wir müssen aufpassen, dass Jack nicht zu viel macht und irgendwann übertrainiert ist“, sagt Klatten. Es ist eine Zwischenphase gerade. Im April soll Culcay wieder boxen, in Hamburg, gegen einen Argentinier. „Die sind hart und zäh, das wird ein echter Test“, sagt der Manager.
Seit 2008 betreut der Sohn des Medienmanagers Werner Klatten den ehemaligen Amateurweltmeister auf dessen beruflichem Weg im Faustkampf-Business. Mit großem Bohei hatte die Universum Box-Promotion Ende 2009 „Golden Jack“ als Neuzugang des Stalles angekündigt. Klaus-Peter Kohl erhoffte sich damals, dass das ZDF den im Sommer 2010 auslaufenden Vertrag doch noch verlängern würde. Vergebens. Kohl gab auf, Universum wurde verkauft, ist insolvent, ein Rechtsstreit schwelt. Culcay aber hatte eine Ausstiegsklausel und ist nun seit Februar 2012 bei Sauerland Event aktiv – ebenfalls in der Rolle des deutschen Nachwuchsstars, den das Fernsehen so sehr braucht. In diesem Fall die ARD. „Ich hoffe, dass ich Ende des Jahres um die Europameisterschaft boxen kann. So ist der Plan.“
Als Sauerland-Zugpferd hätte Culcay eigentlich nach Berlin gehen und in der Trainingsgruppe von Ulli Wegner seine Einheiten absolvieren müssen. Aber das fällt einem Hamburger bekanntlich schwer. „Die Stadt ist für mich Heimat geworden“, sagte der 27-Jährige, der 2009 aus Darmstadt kam und sich inzwischen in St.Georg angesiedelt hat, „mitten im Leben, denn manchmal feiern meine Nachbarn ganz schön laut“. Er nicht. Kein Alkohol („nur wenn mal jemand Geburtstag hat“), alles der Laufbahn untergeordnet: „Feiern kann ich auch, wenn die Karriere zu Ende ist.“
Klatten sagt: „Wer hat schon die Perspektive, dass er mit 35 ausgesorgt hat?“ Also Disziplin, Arbeit, Training. Immer dranbleiben: „Ich habe ein gewisses Level, ich muss nicht Gewicht machen oder mich in kürzester Zeit aufbauen“, erklärt Culcay. Deshalb also der fast tägliche Gang in den Keller.
Es ist eine dieser Backsteinvillen, wie sie in den 20er-Jahren gebaut wurden, als Eppendorf immer mehr Richtung Alster wuchs. Gepflegter Vorgarten, ein paar Stufen geht es hoch. Eine Garageneinfahrt, ein Fake, wie man später erfährt. Durch die weite Zimmerflucht lässt sich ein Blick in den Garten erhaschen, dann geht es nach unten. Steile, schmale Treppe. In eine andere Welt. Aufwendigste Kraftgeräte stehen hier in insgesamt drei Räumen herum, dazu eine Dusche, Spinde. Ein Behandlungszimmer mit Massageliege und Waschmaschinen. Und in dem, was von außen wie eine Garage aussieht, steht ein Boxring. Bandagen liegen herum, Handschuhe, Boxplakate hängen an der Wand, auch von Culcays erstem Profikampf am 19.November 2009 in Schwerin. In einer Seitenkammer stehen Eimer und Dosen mit Nahrungsergänzungsmitteln.
Klatten hat sich in seinem Souterrain ein Fitness-Unternehmen geschaffen. Angemeldet beim Gewerbeamt. Er schliff schon den ehemaligen Cruisergewichts-Weltmeister Juan Carlos Gomez, die Zweitliga-Golfer aus Wendlohe sind bei ihm und Polospieler Frederico Heinemann. Im Winter schaute Fußballprofi Robert Tesche vorbei, als er vom HSV nicht mit ins Wintertrainingslager nach Dubai genommen wurde. Aber auch Herr Jedermann und Frau Durchschnitt können sich von dem 31-Jährigen in die Mangel nehmen lassen.
Nach dem Sandsack geht es noch einmal in die Garage. Die Bandagen hat Culcay wieder abgenommen: Tänzeln, Schattenboxen, Bewegung, Auspendeln, Puls beruhigen. Dann ist es nach einer Stunde und 15 Minuten geschafft. Chica darf wieder zu Herrchen. Culcays Dobermann winselt, jetzt glücklich. Es geht auf die Hundewiese an der Alster, endlich raus aus dem Keller.
Hamburg ist für mich Heimat geworden.