Hamburg. Der Hamburger Herrenausstatter stellt sich personell neu auf. Wer nun die Geschäftsführung übernimmt und was er für die Zukunft plant.

„Ich habe Schuhgröße 46 ½“, sagt Tim Krüger. Der Schuhverkäufer schüttelt den Kopf und lacht. „Nein, 43. Sie haben nur breite Füße“, entgegnet er seinem Kunden, nimmt einen Schuhkarton aus dem Regal und drückt ihn dem ungläubig dreinblickenden 19-Jährigen in die Hand.

Und tatsächlich: Die cognacfarbenen Anzugschuhe in breiter Ausführung passen. Nicht nur zum Fuß, sondern auch zum Anzug, den der junge Mann vor weniger als 30 Minuten beim Herrenausstatter Policke in der Böckmannstraße ausgesucht hat. Dunkelblau ist dieser, mit hellbrauner Naht am Knopfloch und braunen Sakko-Knöpfen.

Kultladen Policke: Nach starkem Jahr kommt ein neuer Chef

Tim Krüger hat vor wenigen Wochen sein Abitur bestanden. Eines fehlte dem 19-Jährigen noch auf dem Weg in die Freiheit: das passende Outfit für Zeugnisübergabe und Abiball. Für den Vater des Abiturienten kam dafür nur eine Adresse infrage: das Traditionsgeschäft Policke. Weil die Beratung dort hervorragend sei. Und, weil es schnell geht: In etwa 40 Minuten ist alles erledigt. Ein passender Anzug ist gefunden, dazu Hemd, Krawatte, Schuhe, dunkelblaue Socken und ein Gürtel. Die komplette Abi-Montur aus der Böckmannstraße. Dafür lohnt sich die Autofahrt aus Rostock.

Das Anzugimperium von Policke hat Kult-Status – auch über Hamburgs Stadtgrenzen hinaus. Seit 1931 gibt es das Geschäft in St. Georg. Zum alten, engen, umgebauten Wohnhaus in der Böckmannstraße 1A sind inzwischen weitere Geschäftsräume hinzugekommen: Gegenüber vom Stammhaus gibt es in Hausnummer 55 neben Hemden, Schleifen und Krawatten auch Frei­zeit­hemden, Pullover, Polo-Shirts sowie Gürtel und andere Accessoires zu kaufen. Unter dem Torbogen, den man auf dem Weg dorthin passiert, führt links eine Tür zum Geschäft für Anzugschuhe, das ebenfalls zum Unternehmen gehört.

Die Verkäufer erkennen sofort die Kleidergröße des Kunden

Egal, welches der drei Geschäfte Kunden betreten, überall erwarten sie fachkundige Verkäuferinnen und Verkäufer. Im Eingangsbereich des Stammhauses werfen sie einen kurzen Blick auf sie. Dann verweisen die Verkäufer die Kunden je nach Kleidergröße in das passende Stockwerk: Fünf Etagen hat das Haus, mit verwinkelten Räumen und knarzendem Boden.

Jeweils drei Kleiderstangen übereinander säumen die Wände. Daran hängen Anzüge, Sakkos und Hosen, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Teil nur mit einer Leiter oder einer Greifzange erreichen. In den unteren vier Stockwerken sind die Anzüge nach Größe aufgereiht. Ganz oben, in der fünften Etage, gibt es Hochzeits- und Party-Anzüge aus festlicheren Stoffen. Insgesamt hängen 7000 Anzüge auf rund 600 Quadratmetern an den Stangen. In der Regel aber nicht lang.

Policke verkauft 30.000 Anzüge und 35.000 Hemden im Jahr

Nach dem Hauptgeschäft – zwischen Februar und Mitte Juni, wenn Konfirmationen, Abifeiern und Hochzeiten anstehen – ist das Angebot etwas ausgedünnt. 30.000 Anzüge verkauft der Herrenausstatter im Jahr. Hinzu kommen 35.000 Hemden, 8000 Krawatten, 7000 Paar Anzugschuhe, etwa 1500 Manschettenknöpfe und weitere Accessoires.

Benjamin Woltmann-Burchard übernimmt die Geschäfte.
Benjamin Woltmann-Burchard übernimmt die Geschäfte. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Die Geschäfte laufen sehr gut, sagt Benjamin Woltmann-Burchard. Nachdem sein Vater Claus Burchard 24 Jahre lang die Geschäfte geführt hat, übergibt er die Verantwortung an den 40-jährigen Sohn. Die Belegschaft wurde darüber am Donnerstagabend informiert: Woltmann-Burchard wird nicht nur Geschäftsführer, sondern auch alleiniger Gesellschafter des Unternehmens.

Acht Jahre hat er in unterschiedlichen Positionen bei Policke gearbeitet. Von Haus aus ist er Informatiker, war in der Spieleindustrie tätig und landete eher zufällig im Unternehmen seines Vaters. Als Chief Technology Officer hat Woltmann-Burchard zuletzt den Einkauf des Geschäfts umgekrempelt, Kassensysteme modernisiert, IT-Abläufe optimiert.

Was der neue Geschäftsführer von Policke nun plant

„Das letzte Jahr war sehr erfolgreich“, sagt der 40-Jährige. „Es gab nach Corona viele Nachholeffekte.“ Hochzeiten oder größere Familienfeste wurden auf die Zeit nach der Pandemie verschoben. Der Umsatz lag im vergangenen Jahr bei etwa 16 Millionen Euro. Das werde sich in diesem Jahr zwar nicht halten lassen. „Aber im ersten Halbjahr 2024 haben wir nur ein Minus von einem Prozent zum Vorjahr“, sagt Woltmann-Burchard. „Das ist Jammern auf hohem Niveau.“ Größter Kostenpunkt: Seine 63 Mitarbeitenden, von denen 40 auf den Verkaufsflächen tätig sind.

Als neuer Geschäftsführer will der HSV-Fan das Bewährte mit dem Modernen verbinden. „Wir setzen bei Policke weiterhin auf unsere Kerntugenden: Eine exzellente Beratung, hohe Qualität und einen günstigen Preis.“ So digital-affin Woltmann-Burchard auch ist, einen Online-Shop wird es unter seiner Führung nicht geben. „Für einen passenden Anzug braucht es eine gute Beratung in Präsenz“, davon ist der 40-Jährige überzeugt. Auch die beiden Anzüge, die er im vergangenen Jahr zu seiner Hochzeit trug, hat er im eigenen Geschäft gekauft.

Bei Policke werden Jung und Alt fündig – und kaufen immer buntere Anzüge

„Im Idealfall kaufen Kunden vom ersten bis zum letzten Anzug bei uns“, sagt Benjamin Woltmann-Burchard. Dabei bleibt das Unternehmen gewissen Marken treu: Roy Robson, Digel, Carl Gross, Olymp. Seit Corona und dem Beginn des Krieges in der Ukraine sei mehr Farbe in die Geschäfte gekommen, sagt der neue Geschäftsführer.

Laut Woltmann-Burchard ein bekanntes Phänomen: Je trister die Weltlage, desto bunter die Mode. Nicht nur graue, schwarze und dunkelblaue Anzüge säumen die Kleiderstangen, sondern auch hellgrüne, hellblaue, terracottafarbene oder rosa Modelle.

Fachkräftemangel: Auch Policke sucht geeigneten Nachwuchs

Wie viele Hamburger Unternehmen beschäftigt auch ihn der Fachkräftemangel. In der Coronazeit seien einige Beschäftigte in Rente gegangen. Aktuell hat er drei Azubis – am liebsten will er auf sechs kommen. „Wir sind in einem Arbeitnehmermarkt – das merkt man“, sagt der Unternehmer. Gute Auszubildende seien schwer zu finden. Obwohl er gute Talente fördere. Für einen Azubi, der jeden Tag drei Stunden nach Hamburg reinpendeln musste, schuf er eine Wohnung direkt neben dem Arbeitsplatz, zu günstigen Konditionen.

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Und auch mit modernen Arbeitszeitmodellen könnte der Unternehmer künftig punkten: „Wir haben im vergangenen Winter eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich ausprobiert – mit Erfolg.“ Im Dezember und Januar habe man das Modell getestet. In dieser Zeit sind die Geschäfte am wenigsten frequentiert. Die Idee: Das Kundenaufkommen lässt sich auch mit weniger Personal stemmen – dafür kann sich die Belegschaft einen zusätzlichen Tag pro Woche erholen.

Policke: Traditionsunternehmen testete Vier-Tage-Woche

Der Plan ging auf. Das Personal war zufrieden. Außerdem sei der Krankenstand geringer ausgefallen als in den Vorjahreszeiträumen, so Woltmann-Burchard. „Wir haben uns noch nicht festgelegt, aber es ist gut möglich, dass wir das Modell in diesem Winter wieder einführen“, so der Unternehmer. Es gibt aber Einschränkungen: „In unseren Hauptgeschäftsphasen ist eine Vier-Tage-Woche natürlich nicht möglich.“