Hamburg. Die Hamburger entdecken die Hausmusik wieder für sich. Klavierhändler und -bauer profitieren davon. Doch es gibt auch Verlierer.
Es ist kurz vor 10 Uhr am Vormittag als Yvonne Trübger die Eingangstür ihres Geschäfts ausnahmsweise aufschließt. Draußen ist ein Transporter vorgefahren, zwei kräftige Männer wuchten ein Digital-Piano von der Ladefläche und tragen es an den auf Hochglanz polierten Klavieren und Flügeln vorbei bis ins Souterrain.
„Die Kundin hat festgestellt, dass sie doch kaum Zeit hat, darauf zu spielen und wollte den Mietvertrag vorzeitig beenden“, sagt die Inhaberin des Pianohauses Trübger an der Schanzenstraße. Sie ist keineswegs traurig darüber, dass das Instrument früher als vereinbart zurückkommt. Im Gegenteil. „Ich freue mich. Jetzt kann ich einen anderen Kunden glücklich machen. Die Warteliste ist lang.“
Teure Instrumente werden erst nach Probespielen gekauft
Ins Geschäft darf die gelernte Klavierbauerin ihre Kunden seit Mitte Dezember und bis auf Weiteres nicht einlassen. So wie schon wochenlang im ersten Lockdown im Frühjahr 2020. Das ist natürlich schlecht. Denn ein Klavier, auf dessen Preisschild die Zahl 12.000, 15.000 oder 35.000 steht, wird nicht mal eben im Onlineshop bestellt. Ein Flügel, der mindestens so viel wie ein Mittelklasse-Auto und bis zu 150.000 Euro kostet, schon mal gar nicht.
Selbst dann nicht, wenn er von einem namhaften Hersteller wie Yamaha, Schimmel, Blüthner oder Grotrian-Steinweg gefertigt wurde. „Jedes Instrument ist individuell und klingt anders. Niemand kauft es, ohne es vorher gespielt zu haben“, sagt Trübger. Und ganz besonders schlecht ist der Lockdown, weil die Nachfrage nach den Instrumenten derzeit hoch ist.
Hausmusik hat durch Corona-Pandemie Schub erhalten
Homeoffice, Kontaktbeschränkungen, ausgefallene Urlaubsreisen, der Rückzug ins Private daheim – die Corona-Pandemie hat der Hausmusik hierzulande einen kräftigen Schub verliehen. Die lange Liste der beim Pianohaus an der Schanzenstraße auf ein Miet-Instrument Wartenden ist nur einer der Belege dafür.
„Es gibt viele Neu- und Wiedereinsteiger“, sagt Yvonne Trübger. Und auch Ralf Kallmeier, Inhaber des Instrumentenhauses Gitronik an der Fuhlsbütteler Straße in Ohlsdorf, hat neue Kunden gewonnen, die sagen: „Jetzt habe ich endlich Zeit, ein Instrument zu lernen.“
Nachfrage nach Instrumenten deutlich gestiegen
„Ein Teil des klassischen Instrumentariums, Tasten-, Saiten- und Streichinstrumente, besonders Akustik- und E-Gitarren, aber auch DJ- sowie Studio- und Aufnahme-Equipment für den Heimbereich war im vergangenen Jahr stark nachgefragt. Die Umsätze haben deutlich zugelegt“, sagt Daniel Knöll, Geschäftsführer des Branchenverbands SOMM, der die Interessen von Fach- und Großhändlern sowie Herstellern vertritt.
Zugleich sei die Zahl der Reparaturaufträge in den Werkstätten der Händler stark gestiegen. Vor allem wohl, weil Hobbymusiker ihre seit Jahren nicht benutzten Instrumente wieder hervorgeholt haben.
Hersteller haben Produktionsrückstand noch nicht aufgeholt
Besonders gut verkaufen sich Digitalpianos, Keyboards, Synthesizer zum Einsteigerpreis zwischen einigen Hundert und wenigen Tausend Euro. Der Branchenverband verzeichnet für solche Geräte nach den jüngsten vorliegenden Zahlen gut 50 Prozent Umsatzplus in den drei ersten Quartalen des vergangenen Jahres. Die Bilanz für das Gesamtjahr steht noch aus, wird aber einen etwas geringeren Zuwachs ausweisen, erwartet Geschäftsführer Knöll.
„Ein Teil des für die Branche wichtigen Weihnachtsgeschäfts ist wegen des zweiten Lockdowns ausgefallen“, sagt er. Außerdem gab und gibt es Lieferengpässe bei den günstigen Tasteninstrumenten. Die Lagerbestände sind längst verkauft, nun stockt der Nachschub aus Asien. Teils haben die Hersteller dort den Produktionsrückstand noch nicht aufgeholt, teils findet die Ware keinen Platz auf den Containerschiffen Richtung Europa.
Wartezeit bei Digitalpianos beträgt acht bis zwölf Wochen
„Bei Digitalpianos beträgt die Wartezeit acht bis zwölf Wochen“, sagt Händler Kallmeier. Yvonne Trübger sagt: „Ich könnte in den nächsten zwei Wochen bestimmt 50 Digitalpianos mehr vermieten und verkaufen – wenn ich sie denn hätte.“
Beim Hamburger Premium-Flügelhersteller Steinway, der sich am oberen Ende der Preisskala bewegt, sagt Geschäftsführer Guido Zimmermann über das Geschäft mit Privatkunden im ersten Jahr der Pandemie: „Die Anfragen und Umsätze sind deutlich gestiegen.“ Wegen der geschlossenen Verkaufsfilialen nutzen Interessenten Videotelefonate und lassen sich so Instrumente vorführen. Einige wurden so bereits verkauft.
Verkäufe im Profibereich gesunken
Weil im Profibereich die Verkäufe an Pianisten, Konzerthäuser oder Hochschulen zugleich aber gesunken sind, seien 2020 unter dem Strich ein paar Flügel und Klaviere weniger abgesetzt worden, so Zimmermann. „Hinter das bisherige Rekordjahr 2019 sind wir aber kaum zurückgefallen.“ Absolute Zahlen nennt Steinway traditionell nicht. 2021 soll für die Hamburger ein neues Rekordjahr werden.
„Wir sind dabei, in der Manufaktur weitere Beschäftigte einzustellen“, sagt der Geschäftsführer. Er kalkuliert mit zehn Prozent Verkaufsplus und erwartet einen deutlich wachsenden Absatz, sobald die Filialen wieder geöffnet sind. Auch bei Steinway wollen viele Kunden das Instrument erst gespielt haben, bevor sie es kaufen.
Bezahlte Miete kann bei Kauf angerechnet werden
Pianohaus-Inhaberin Trübger, die das Familienunternehmen in vierter Generation führt, hat es ihren Kundinnen und Kunden schon vor Corona mit Miet- und Mietkaufmodellen leicht gemacht, auch teurere Instrumente auszuprobieren, ohne sofort einen fünfstelligen Eurobetrag auszugeben. Beim Kauf wird die bereits gezahlte Miete angerechnet. Das kommt jetzt besonders gut an.
„Wir haben den Bestand an Mietklavieren um zehn Prozent auf etwa 550 aufgestockt“, sagt sie. Beraten werden die Kunden nun wieder per Telefon und Skype, es gelten besondere Lieferkonditionen. Motto: Wenn Sie nicht zum Klavier kommen können, kommt das Klavier zu Ihnen. Zudem lässt sich die große Mehrheit der Instrumente in den Ruhemodus schalten, zu hören sind die Klänge dann nur über Kopfhörer. Das erlaubt ausgiebiges Üben, ohne das gute Verhältnis zu den Nachbarn zu gefährden.
Pianohauses Trübger musste nicht auf Kurzarbeit umsteigen
Obwohl die Kundschaft draußen bleiben muss, ist das Pianohaus bislang gut durch die Pandemie gekommen, sehr gut sogar: keine Kurzarbeit, Staatshilfe war nicht notwendig, weil der Umsatz 2020 um einige Prozent zugelegt hat. „Wir haben gut zu tun“, sagt Yvonne Trübger. Das gilt längst nicht für die gesamte Branche. „Die Fachhändler, die sich auf die jetzt besonders gefragten Instrumente spezialisiert haben, können sich sicherlich glücklich schätzen. Doch der Großteil der Unternehmen ist hart getroffen“, sagt Verbands-Geschäftsführer Knöll.
Nach gut einer Milliarde Euro Branchenumsatz im Jahr 2019 rechnet er für 2020 mit einem Minus von zehn bis 15 Prozent. Vor allem, weil die Kunden aus der Veranstaltungsbranche fehlen und Profimusiker weniger kaufen.
Gitronik verzeichnet durch Lockdown geringe Umsätze
Ralf Kallmeier, der bei Gitronik in Ohlsdorf das ganze Sortiment an Instrumenten und Zubehör anbietet, sagt zwar: „2020 war noch ein ganz gutes Jahr.“ Er hat viele Gitarren, Ukulelen und Tasteninstrumente verkauft. Doch nach nun schon wieder mehr als acht Wochen Lockdown ist der Umsatz im Keller.
Dass er am Telefon berät und verkauft und auch die Bestellungen im Onlineshop an der Ladentür übergibt, wüssten viele Kunden womöglich gar nicht, fürchtet er. Schmerzlich ist zudem, dass die Schulen derzeit nicht ordern.
Just Music hat Geschäft in Hamburg geschlossen
Verbandschef Knöll ist überzeugt, dass nicht alle der etwa 1500 Facheinzelhändler in Deutschland überleben werden. „Es wird Insolvenzen geben, wir können nur hoffen, dass es nicht allzu viele sein werden“, sagt er. Tatsächlich hat Hamburgs größter Instrumentenhändler unlängst bereits aufgegeben – freiwillig. Just Music hat seine mehreren Tausend Quadratmeter Verkaufsfläche im Bunker auf dem Heiligengeistfeld im Dezember geräumt.
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Ursprünglich hatte das Berliner Mutterunternehmen angekündigt, die Filialen in Hamburg, München und Dortmund erst im ersten Quartal 2021 zu schließen und das auch mit den Auswirkungen der Pandemie begründet. Vor allem aber wolle man sich künftig auf den Onlinehandel und auf das Stammhaus in der Hauptstadt konzentrieren, hieß es.
Pianohaus feiert 2022 150. Geburtstag
Yvonne Trübgers Gedanken kreisen derweil um ganz andere Themen: 2022 wird das Pianohaus den 150. Jahrestag seiner Gründung feiern. Zudem will auch sie ihren musikalischen Horizont erweitern und neben Blockflöte und Klavier ein drittes Instrument erlernen: Schlagzeug. Sie will eins kaufen, das man – wie die meisten ihrer Pianos – auf lautlos stellen kann.