Hamburg. Preisvergleich zeigt: Diesel ist oft sogar schon wieder teurer als vor der Steuersenkung. Ist der Tankrabatt verpufft?
Eine Inflationsrate so hoch wie zuletzt vor fast 50 Jahren, hervorgerufen durch massiv steigende Preise für Lebensmittel, Energie und Kraftstoffe – kaum ein anderes Thema beschäftigt die Verbraucher und die Politik in Deutschland in diesen Tagen so intensiv wie dieses. Was ist zu tun, damit sich Menschen mit geringem Einkommen das Leben in einer Stadt wie Hamburg überhaupt noch leisten können? Das ist eine der großen Fragen, auf die um Antworten gerungen wird.
Insbesondere bei den Benzinpreisen aber geht es längst auch darum: Sind die Preissteigerungen überhaupt gerechtfertigt? Ist der seit zwei Wochen geltende sogenannte Tankrabatt, der die Kraftstoffpreise deutlich senken sollte, für die Autofahrer schlicht verpufft? Gefühlt ist das so beim täglichen Blick auf die Preistafeln der Tankstellen. Dort stehen Literpreise, die man aus dem Mai, also vor der massiven Senkung der Mineralölsteuern, gut zu kennen glaubt.
Tankrabatt: Diesel teurer als im Mai
Ein Preisvergleich des Abendblatts zeigt nun: Das Gefühl trügt nicht. Die Preise an den Hamburger Tankstellen sind zum Teil bereits wieder höher als am 31. Mai. Das bedeutet: Die Wirkung der Steuersenkung ist zwei Wochen nachdem sie wirksam geworden ist, nicht nur komplett verpufft – die Tankstellenbetreiber verlangen jetzt sogar mehr. Das jedenfalls gilt für Diesel. Das Abendblatt hatte am 31. Mai sowie am 1. Juni jeweils um kurz nach 13 Uhr die Literpreise an zehn Stationen von Shell, Aral, Esso, Jet sowie Hoyer-Tanktreff im Hamburger Stadtgebiet beim Internet-Preisportal benzinpreis-blitz.de erhoben. Diese Erhebung wurde am Mittwochmittag wiederholt (siehe Grafik).
Das Ergebnis: Nur an zwei der zehn Stationen war Diesel noch etwas billiger als Ende Mai. Die acht anderen verlangten dagegen inzwischen mehr Geld pro Liter als am letzten Tag vor Inkrafttreten der Steuersenkung. Die meisten zwischen ein und vier Cent, im Extremfall waren es sieben Cent. Vergleicht man die aktuellen Preise mit denen vom 1. Juni – dem Tag an dem der Steuersenkung für die Unternehmen in Höhe von gut 17 Cent pro Liter Diesel wirksam geworden war – verlangen die Tankstellen mittlerweile zwischen 13 und 20 Cent mehr pro Liter Diesel.
Tankrabatt bei E 10 immer geringer
Für Superkraftstoff E 10 sieht das zwar anders auch, aber auch hier gilt: Die Steuerentlastung der Anbieter kommt bei Weitem nicht in vollem Umfang bei den Verbrauchern an – und die Entlastung wird zunehmend geringer. Schon am ersten Tag nach Inkrafttreten des Rabatts hatte eine Sprecherin von Shell in Hamburg zwar mitgeteilt: „Shell hat die Steuersenkung inkl. Umsatzsteuer in der Nacht zum 1. Juni an allen Stationen in Deutschland vollumfänglich weitergegeben.“
Die Preiserhebung am 1. Juni zeigte eine andere Realität: Im Durchschnitt hatten die zehn Hamburger Tankstellen den E10-Preis um gut 28 Cent gesenkt, bei den beiden Shell-Stationen waren es 29 Cent gewesen. Steuerlich entlastet worden waren die Unternehmen jedoch um gut 35 Cent. Inzwischen sind aber auch die E 10-Preise wieder gestiegen, zeigt die aktuelle Preiserhebung: Autofahrer profitieren statt mit den möglichen 35 Cent und den anfangs umgesetzten gut 28 Cent jetzt nur noch mit durchschnittlich 22,1 Cent.
Viele Diskussionen um Sinnhaftigkeit des Tankrabatts
Schon kurz nachdem sie dann doch nicht voll umgesetzt wurde, begann die politische Diskussion um die Sinnhaftigkeit dieses Tankrabatts. Kritiker fühlten sich bestätigt, auch weil schnell klar wurde, dass die volle Weitergabe der Steuerentlastung für die Mineralölbranche an die Endverbraucher gar nicht durchgesetzt werden kann. Zuletzt machte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) öffentlich Andeutungen über eine mögliche Verschärfung des Kartellrechts, um die Konzerne unter Druck setzen zu können. Die Mineralölindustrie protestierte. Vor Kurzem äußerte sich gar das Staatsoberhaupt. „Ich verstehe den Unmut der Bürger“, sagte Frank-Walter Steinmeier der „Bild am Sonntag“ mit Blick auf die Kraftstoffpreise.
Er sprach von „Extragewinnen“ und darüber, dass es wichtig sei, „dass nicht einige ungerechtfertigt Vorteile aus der Situation ziehen können.“ FDP-Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner jedoch widersprach dem Eindruck, der Tankrabatt habe nichts gebracht. Er verwies in Interviews im Zusammenhang mit den steigenden Kraftstoffpreisen auf gestiegene Weltmarktpreise, den starken Dollar und die Knappheit bei Raffinerien als Faktoren für die Preisbildung. „Ich habe den Eindruck, dass die Debatte da etwas emotional aufgeladen ist“, befand Lindner.
Ifo-Wirtschaftsforscher verteidigen Konzerne
Zuletzt rechnete das Münchner Ifo-Institut vor, dass die Mineralölkonzerne den Tankrabatt eben doch weitgehend an die Autofahrer weitergereicht hätten. Beim Diesel hätten die Tankstellen die Steuersenkung zu 100 Prozent weitergegeben. Bei Super seien es 85 Prozent gewesen, ermittelte das Institut bei einem Vergleich der Preisentwicklung in Deutschland und Frankreich. Im Nachbarland sei Benzin seit dem 1. Juni kontinuierlich teurer geworden. In Deutschland hingegen sanken die Preise zunächst kräftig, bevor sie wieder anzogen.
Und was sagen die Firmen hinter den zehn untersuchten Hamburger Tankstellen zur Preisentwicklung? Shell und Esso gar nichts. Sie ließen eine Anfrage des Abendblatts zu den Gründen unbeantwortet. Für Jet mit Sitz an der Caffamacherreihe teilte Pressereferent Niels Wick mit, man möge sich an den Wirtschaftsverband Fuels & Energie en2x wenden.
„Hohe Nachfrage treibt Preis“
Thomas Hartmann, des Sprecher des mittelständischen Mineralölhändler Hoyer im niedersächsischen Visselhövede verwies auf die Marktmechanismen: „Die Preisentwicklung wird einzig und allein durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestimmt. Und wenn am Tag der Senkung der Energiesteuer ein Embargo gegen russisches Öl verkündet wird, hat das enorme Auswirkungen auf den Preis“, erklärte er. Die Sorge, dass Kraftstoff knapp werden könnte, lasse die Nachfrage signifikant steigen, was für eine Verteuerung der Ware im Einkauf sorge. Hartmann: „Den höheren Preis, den wir bezahlen müssen, müssen wir an den Kunden weitergeben.“
Aral-Sprecherin Eva Kelm dagegen ließ wissen: „Wir bitten um Verständnis, dass Fragen zur Entwicklung von Kraftstoffpreisen aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht beantwortet werden können.“ Kelm verwies wie der Jet-Sprecher ebenfalls auf den Branchenverband en2x.
Tankrabatt: Verband gibt sich geheimniskrämerisch
Der frühere Deutsche Mineralölverband gibt sich in Detailfragen neuerdings allerdings geheimniskrämerisch. Bis vor Kurzem veröffentlichte en2x auf seinen Internetseiten eine ausführliche Erläuterung, der Preiszusammensetzung eines Liter Kraftstoff. Dort fand sich auch der Kostenpunkt „Deckungsbeitrag“. In ihm wurden unter anderem die Transport- und Marketingkosten zusammengefasst – und der Gewinn der Unternehmen versteckt. Dieser Deckungsbeitrag war seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine gestiegen.
Neuerdings macht der Verband keine Angaben mehr zur Höhe des Deckungsbeitrags – und das soll laut Sprecher Alexander von Gersdorff „einstweilen“ so bleiben. Begründung: Die stark gestiegenen Herstellungskosten in den Raffinerien wegen der nun hohen Energiepreise seien im Deckungsbeitrag nicht enthalten. Zudem seien die Herstellungskosten in den einzelnen Raffinieren unterschiedlich, die Angabe eines Durchschnittswertes „nicht mehr aussagekräftig.“ Die Bitte des Abendblatts, die früher veröffentlichten Angaben zur Höhe des Deckungsbeitrag zu übermitteln, blieb bis Redaktionsschluss ohne Antwort.