Hamburg. Krankheit, Unfall, Invalidität – Experten raten, welche Policen für Schulanfänger Sinn ergeben und welche nicht.
Mehr als 15.000 Grundschüler werden in der kommenden Woche eingeschult. Zum Beginn des neuen Lebensabschnitts sollen die Kinder bestmöglich abgesichert sein, wünschen sich viele Eltern und Großeltern. Und sie sind auch gern bereit, dafür zusätzliche Ausgaben zu übernehmen. Doch welche Versicherungen für Schulanfänger sind sinnvoll? Reicht womöglich auch der Versicherungsschutz der Eltern? Was sind gute Policen und was kosten sie? Das Abendblatt sprach mit Experten und beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wie sollten Eltern an das Thema Versicherungen für Kinder herangehen?
„Bevor Eltern überhaupt über einen speziellen Versicherungsschutz für ihre Kinder nachdenken, sollten sie prüfen, ob sie selbst ausreichend versichert sind, was die existenziellen Risiken betrifft“, sagt Kerstin Becker-Eiselen, Versicherungsexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg.
Um welche Policen geht es dabei? „An erster Stelle steht eine ausreichende Haftpflichtversicherung“, sagt die Verbraucherschützerin. „Dann kommen in der Wichtigkeit eine Berufsunfähigkeitsversicherung zur Absicherung der Arbeitskraft der Eltern und eine Risikolebensversicherung.“ Nur wenn dann das Haushaltsbudget überhaupt noch Spielraum für Versicherungsbeiträge lässt, kann man über Versicherungen für Kinder nachdenken.
Gibt es bei der Haftpflichtversicherung für Kinder Besonderheiten?
Kinder unter sieben Jahren sind deliktunfähig, weil davon ausgegangen wird, dass sie die Tragweite ihrer Handlungen nicht erkennen. Bei Schäden durch Kinder im fließenden Straßenverkehr liegt die Altersgrenze bei zehn Jahren. „Wollen Sie als Versicherungsnehmer nicht, dass Geschädigte bei einem von Ihren kleinen Kindern verursachten Schaden leer ausgehen, achten Sie bei der Wahl Ihrer Haftpflichtversicherung darauf, dass deliktunfähige Kinder einbezogen sind“, sagt Julia Böhne vom Hamburger Bund der Versicherten (BdV).
„Zumindest sollten Schäden bis zu einer Höhe von 20.000 Euro abgedeckt sein.“ Die Deckungssumme insgesamt sollte mindestens 15 Millionen Euro betragen. Solche Tarife gibt es ab einer Jahresprämie von rund 60 Euro, etwa bei der MVK mit dem Tarif Top oder bei der Docura mit dem Tarif Smart. Bei diesem Tarif sind deliktunfähige Kinder sogar bis 100.000 Euro abgesichert.
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Was ist eine Risikolebensversicherung?
Sie sichert die Familie im Todesfall ab. „Ist ein Elternteil Alleinverdiener, genügt es in der Regel, wenn nur er die Police abschließt und den Partner als Begünstigten auswählt“, sagt Becker-Eiselen. Eltern können sich auch gegenseitig mit einer verbundenen Risikolebensversicherung absichern oder zwei getrennte Versicherungen abschließen.
Im Todesfall des Versicherten wird die vereinbarte Summe ausgezahlt und sichert die Familie finanziell ab. „Wichtig ist eine ausreichend hohe Versicherungssumme, bei der nicht nur die laufenden Einkommensverluste bedacht werden, sondern auch Schulden, etwa aus einem Immobilienkredit“, sagt Becker-Eiselen. Ein Richtwert ist das Drei- bis Fünffache des Jahresbruttoeinkommens.
Was sollte bei Kindern überhaupt abgesichert werden?
Wichtige Versicherungen ergeben sich immer aus existenziellen Risiken. Eine Krankheit oder ein Unfall können zu einer schweren Behinderung führen, sodass auch die spätere Erwerbstätigkeit beeinträchtigt oder gar unmöglich ist. Eine entsprechende Versicherung sichert das Einkommen der nächsten Jahrzehnte zumindest teilweise ab.
Welche Versicherungen eignen sich zur Absicherung der Kinder?
Erste Wahl ist die wenig bekannte Kinderinvaliditätsversicherung (KIV), denn nur wenige Versicherer bieten diese Police an. Sie zahlt bei Invalidität in Folge einer Krankheit oder eines Unfalls. Im Schadenfall erhalten die Versicherten eine lebenslange Rente und/oder eine einmalige Kapitalabfindung. Diese deckt den fortlaufenden Kapitalbedarf, wenn aufgrund der Invalidität kein Erwerbseinkommen erzielt werden kann. „Wir raten eine Rentenhöhe zu vereinbaren, die spürbar oberhalb der Sozialleistungen liegt, also mindestens 1000 Euro monatlich“, sagt Böhne.
„Die Kinderinvaliditätsversicherung ist zwar teurer als eine Unfallversicherung, bietet aber auch ein höheres Absicherungsniveau.“ Denn drei Viertel der Behinderungen entstehen nicht durch Unfälle, sondern aufgrund einer schweren Erkrankung. In Deutschland ist etwa eines von 100 Kindern unter 16 Jahren schwerbehindert. Ab einer Behinderung von mindestens 50 Prozent zahlen die Versicherer in der Regel die vereinbarte Leistung.
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Welche Policen sind empfehlenswert?
Die Stiftung Warentest hat im Frühjahr 2020 KIV bewertet. Sechs Versicherer erhielten eine mindestens gute Bewertung. Das sind die Gesellschaften: Barmenia, Cosmos Direkt, Ergo, WGV, DEVK und Versicherungskammer Bayern. Bis auf die DEVK, die mit einer Jahresprämie von 107 Euro auch das günstigste Angebot im Test stellt, zahlen die anderen Anbieter im Versicherungsfall eine monatliche Rente von 1000 Euro lebenslang. Die DEVK bietet stattdessen eine Kapitalleistung in Höhe von 100.000 Euro.
Der einzige mit „sehr gut“ bewertete Tarif KISS der Barmenia kombiniert die Rente mit einer einmaligen Zahlung von 24.000 Euro. Die Jahresprämie beträgt 275 Euro. Solche Verträge sollten möglichst früh abgeschlossen werden. „Sobald eine Krankheit diagnostiziert wurde, wird es mit dem Versicherungsschutz sehr problematisch“, sagt Becker-Eiselen. Möglich sei ein Abschluss oft schon im ersten Lebensjahr.
Was ist mit einer Unfallversicherung?
Sie ist nur zweite Wahl. „Denn, dass ein Unfall zu einem dauerhaften Schaden führt, ist sehr selten“, sagt Becker-Eiselen. Aber sie ist besser als gar kein Schutz. Der gesetzliche Unfallschutz für Kinder gilt nämlich nur auf dem Weg zur Schule und zurück. Unfälle beim Freizeitsport, auf dem Spielplatz oder auf Privatwegen sind nicht abgesichert.
Welche Kriterien sind wichtig?
Eine Unfallversicherung ist ein kompliziertes Konstrukt. Wie viel die Versicherung im Schadenfall tatsächlich leistet, hängt von der Grundversicherungssumme und der sogenannten Gliedertaxe ab. Die Gliedertaxe gibt an, welchem Grad an Invalidität der Verlust eines Körperteils entspricht. „Damit in schwereren Fällen höhere Leistungen ausgezahlt werden können, gibt es zusätzlich die Progression“, sagt Böhne.
Beträgt die Progression 225 Prozent, bekommt der Versicherte bei Vollinvalidität das 2,25-Fache der Grundsumme. Böhne empfiehlt eine Grundsumme von 200.000 Euro mit einer Progression zwischen 225 und 350 Prozent. Ein guter Tarif sollte Infektionskrankheiten, Insektenstiche und Tierbisse absichern, rät Böhne. Verletzungen beim Toben oder Heben sollten auch abgedeckt sein.
Was kosten solche Policen?
Vereinbart man eine Grundsumme von 200.000 Euro und eine Progression von 225 Prozent, so kosten durch Check 24 mit „sehr gut“ bewertete Tarife, die sich speziell für Kinder eignen, weniger als 100 Euro im Jahr. Beispiele: Balance von InterRisk 70 Euro und Einfach Besser-Komfort von der Haftpflichtkasse 91 Euro. Wird noch zusätzlich eine monatliche Rente von 1000 Euro vereinbart, steigen die Jahresprämien bei der InterRisk auf 119 Euro und bei der Haftpflichtkasse auf 144 Euro.
Auf welche Versicherung können Eltern verzichten
„Hände weg von Rentenversicherungen, die auch schon für Kinder angeboten und gern von Großeltern abgeschlossen werden“, sagt Becker-Eiselen. „Diese Verträge sind sehr teuer, wahnsinnig unflexibel und völlig unlukrativ.“ Das gelte auch für Verträge, die als Ausbildungsversicherungen bezeichnet werden. „Wer für ein Kind sparen will, sollte das immer losgelöst von Versicherungsverträgen tun.“