Reinbek. Dirk Beckedorf aus Reinbek sieht die Vielfalt im heimischen Anbau bedroht. Die Kosten steigen, die Arbeitskräfte fehlen – ein Problem.

Die Felder von Dirk Beckedorf reichen bis zum Horizont. Einige Schafe weiden auf einer Wiese, auf den Äckern ragen die Salate aus der braunen Erde wie auf eine grüne Perlenkette gezogen. Sorten wie Eichblatt werden auch in kalten Tagen noch geerntet. Einige Menschen sind auf den Feldern unterwegs, kleine bunte Punkte im Nebel, der die Landschaft im Osten Hamburgs mit weißen Schwaden überdeckt.

In den Lagerhallen des Landwirts aus Reinbek ist es um einige Grad wärmer, hier brauchen die Mitarbeiter keine Mütze, während sie die Packungen mit Feldsalat in Haushaltsgröße an den Fließbändern kontrollieren. Eine riesige Erntemaschine parkt an der Wand des Gebäudes – groß wie eine Tennishalle, daneben warten einige schwarze Rettiche in Kisten auf den Abtransport. Beckedorf beliefert von hier aus Abnehmer wie Edeka, Rewe, Kaufland oder Aldi, sein Betrieb zählt zu den größten Gemüseproduzenten im Norden.

Landwirtschaft: Auswahl wurde immer kleiner

Feldsalat, Lollo Rosso oder Schmorgurken gehören zum Sortiment des 55-Jährigen, doch die Auswahl auf seinen immerhin 5000 Hektar Land ist in den vergangenen Jahren immer kleiner geworden. Das Problem: Viele Lebensmittel seien in Deutschland nicht mehr kostendeckend zu produzieren, es lohne sich einfach nicht mehr. So sehr die Regionalität beschworen wird, der Vorteil kurzer Wege und damit frischer Ware – der deutsche Markt bietet für einige Produkte offenbar nicht die geeigneten Bedingungen.

Vor Kurzem hatten wieder etliche Landwirte für höhere Preise demons­triert. Mit Traktoren versperrten sie die Straßen zu einem Edeka-Lager in Niedersachsen. Beckedorf versteht das Anliegen seiner Kollegen, er sitzt im Vorstand des Hamburger Bauernverbands und kennt die Nöte der Milchbauern, der Schweinehalter und Getreideproduzenten. Aber er hält mehr davon, wenn die Bauern die Bürger aufklären, statt bei Abnehmern wie Edeka zu protestieren.

Landwirt beklagt fehlendes Personal

„Wir müssen die Verbraucher sensibilisieren, dass es die stetig höheren Ansprüche nicht zum Nulltarif gibt“, sagt Beckedorf mit Blick auf Themen wie Klimaschutz, gesunde Umwelt und artgerechte Tierhaltung, die für die neue Ampel-Regierung wichtig sind.

Beckedorf sieht sich als Gemüsebauer weniger als etwa Massentierhalter den Anfeindungen der Gesellschaft ausgesetzt. Aber auch er hat härtere Umweltauflagen zu beachten, muss steigende Löhne zahlen, leidet unter fehlendem Personal – und hat für sich selber daraus schon längst die Konsequenzen gezogen: Er setzt bei wenigen Produkten auf schiere Masse und hat dafür etliche Gemüsesorten aus dem Sortiment genommen. Radieschen oder Kräuter baut er nicht mehr an – und sieht in dieser Reduktion einen Trend.

„Einlegegurken kommen heute aus Indien“

„Manche Produkte wird es bald nicht mehr aus Deutschland geben“, sagt der Gärtnermeister. Beispiel Gurken, die mit den Anbietern aus dem Spreewald eigentlich als typisch für hiesige Breiten gelten. „Einlegegurken kommen heute aus Indien“, sagt Beckedorf. Auch deutsche Lauchzwiebeln könnten bald aus den Regalen verschwinden, sagt der Landwirt, „wenn nicht die Preise stark steigen“.

Kleine Gewächse mit Maschinen zu ernten, funktioniere einfach nicht. Und das Personal für derart aufwendige Kulturen zu finden, sei heute praktisch unmöglich. „Selbst den Polen fehlen Arbeiter auf den Feldern, die Ukrainer kommen nicht mehr“, weiß Beckedorf, der in der Saison 100 Mitarbeiter beschäftigt.

Kleine Betriebe können sich die Technik nicht leisten

Für den Feldsalat hat der Gemüsebauer nun die teure Maschine angeschafft, so müssen weniger Frauen und Männer auf dem Feld ackern. „Dafür sitzt nun ein Mensch im warmen Führerhaus und bringt die Ernte ein.“ Das Gerät, groß wie ein Sattelschlepper, kostet 250.000 Euro, aber nur so kann Beckedorf langfristig wirtschaften.

Das Dilemma: Derart kostspielige Technik könnten sich nur große Betriebe leisten, argumentiert der Landwirt. Damit ist er wohl unaufhaltsam, der Weg zur Massenbewirtschaftung und Monokultur, weg von idyllischen Höfen mit einer Vielzahl von Pflanzen und Tieren, wie es eigentlich die Natur vorsieht. Aber nicht nur das Personalproblem und die damit verbundene Technisierung ziehe sich durch die Branche.

Landwirtschaftliche Betriebe streng kontrolliert

Belastete Lebensmittel und verschmutztes Grundwasser, auch diese Themen bringen die Bauern in Bedrängnis, auch wenn dafür längst nicht jeden von ihnen eine individuelle Schuld trifft. „Wir haben von allen großen Kunden einmal in der Woche Besuch“, sagt Beckedorf mit Blick auf Abnehmer wie Rewe oder Aldi. Den Gästen aus dem Handel geht es um die Qualität der Produkte. Sind Pflanzenschutzmittel nachzuweisen, wie ist die Nitratbelastung?

Diese Kontrollen auf dem Feld brächten den Bauern eine Menge Zusatzarbeit ein. Bei Beckedorfs Frischgemüse sei allein eine Arbeitskraft komplett mit Dokumentationen und der Rückverfolgbarkeit der Produkte beschäftigt. Im normalen Tagesgeschäft wäre dieser Aufwand gar nicht zu stemmen. Auch diese Prozesse machten kleinen Anbietern das Leben schwer, sagt Beckedorf mit Blick auf die Vorteile großer Betriebe.

Bei Milchbauern ist Überangebot ein Problem

Bei den Preisen im Handel, dem ewigen Streitthema in Politik und Gesellschaft, sieht Beckedorf nicht nur Schwarz und Weiß. In seiner Branche könnten die Anbieter, die im Norden von der Verkaufsorganisation Mecklenburger Ernte vertreten werden, auch schon mal die Verhandlungen mit dem Handel abbrechen. Ein „Bis-hier-und-nicht-weiter“ sei bei Salaten und Gemüse zuweilen möglich. Denn an die Frische eines morgens geernteten und abends im Supermarkt verkauften Salats kämen Anbieter aus Spanien eben nicht heran.

Anders ist die Situation bei den Milchbauern: Hier sei, wie auch in anderen Bereichen, das Überangebot das Problem. Die Betriebe könnten lediglich auf Masse setzen, ihre Produkte seien weitgehend austauschbar. Steigende Kosten wie der neue Mindestlohn von 12 Euro, den die Regierung auf den Weg bringt, erhöhen den Druck auf die Unternehmen, die auf dem internationalen Markt bestehen müssen.

Landwirtschaft achtet auf Umweltschutz

Selbst die wachsende Zahl von Bio-Bauern, die versuchten, sich durch ihre Anbaumethoden aus der Beliebigkeit zu retten, sieht Beckedorf kritisch. Der neue Koalitionsvertrag sieht vor, dass der Ökolandbau bis 2030 auf 30 Prozent ausgeweitet wird. Doch um eine Stadt wie Hamburg zu versorgen, sei unter Bio-Bedingungen viel zu viel Fläche nötig. „Aber vielleicht ist es auch zu einfach, sich nur konventionelle oder Bio-Landwirtschaft vorzustellen“, sagt Beckedorf: Es gebe ja auch Zwischenwege.

Vor allem auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse müsse sich die Landwirtschaft stützen. Auch im neuen Koalitionsvertrag heißt es, die Forschung und Entwicklung zum integrierten Pflanzenschutz müsse gestärkt werden, zudem soll es Agrarforschungsgelder für den Ökolandbau geben. Beckedorf selbst achtet auf den Schutz der Umwelt, hat zum Beispiel Blühstreifen für Wildbienen gesät und setzt auf Fruchtwechsel, um den Boden zu schonen. Auf diese Weise seien gute Erträge auch ohne allzu viel Dünger zu erzielen.

Landwirtschaft: Familie bleibt optimistisch

Trotz allem blickt auch der Sohn der Familie, die in Wilhelmsburg lebt, optimistisch in die Zukunft. Der 25-Jährige arbeitet bereits im Betrieb – und will diesen wohl auch übernehmen.