Hamburg. Mein Laden in Coronazeiten, Teil 1. Wie Unternehmerin Janine Werth ihr Geschäft am Großen Burstah durch die Krise steuert.

Die Polizei hat schon öfter mal an die Tür geklopft. „Die kontrollieren, ob wir auch wirklich geschlossen haben“, sagt Janine Werth. Sie steht in ihrem Laden Werte Freunde am Großen Burstah. Obwohl der Konzept-Store für Naturkosmetik und Eco-Fashion seit mehr als einer Woche wegen der Coronapandemie geschlossen ist, arbeiten sie und ihre sechs Mitarbeiterinnen von morgens bis abends.

In Aromen von Lavendel, Zitrone und Zirbelkiefer, die die Kunden beim Eintreten normalerweise empfangen, mischt sich der Geruch von Pappe und Papier. Vor dem Kassen­tresen stapeln sich zwei Dutzend Pakete. Mitarbeiterin Karolin Niedfeld macht auf einem Laptop die telefonischen Bestellungen für den Versand fertig.

„Ich habe ausgerechnet, dass wir maximal drei Wochen überleben könnten, wenn wir nichts tun“, sagt Janine Werth. Nur für die Aprilmiete Anfang kommender Woche werden für die 350 Quadratmeter große Ladenfläche mehr als 10.000 Euro fällig. Dann ist noch kein Gehalt und keine Rechnung bezahlt. Die Geschäftsfrau schüttelt resolut den Kopf. „Da überlegen wir uns doch lieber, wie wir in der Krise Umsatz machen können.“ Für die 41-Jährige ist Werte Freunde nicht irgendein Laden. Es ist ein Lebenstraum.

"Das, was jetzt gerade passiert, hätte ich mir nicht vorstellen können"

Ende 2018 hatte sie das Geschäft mit angeschlossenem Kosmetikstudio in der Hamburger Innenstadt zwischen Rathaus und Rödingsmarkt eröffnet. Ein Wagnis in Zeiten, in denen es der stationäre Handel immer schwerer hat. Es gab nicht wenige, die darüber gelächelt haben. Aber Werth, die als Kosmetikerin ausgebildet ist, schon beim Versandhändler Amazon, der Naturkosmetikmarke Lavera, bei der Drogeriemarktkette Müller und als Unternehmensberaterin gearbeitet hat, wollte endlich ihr eigenes Ding machen.

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500.000 Euro hat sie in Werte Freunde investiert. 50.000 Euro Eigenkapital und eine städtische Bürgschaft für Existenzgründer in gleicher Höhe stecken in dem Projekt. Den Rest hat sie über ihre Hausbank finanziert. Ende dieses Jahres beginnt die Tilgungsfrist. „Ich habe vorher viele Krisenszenarien durchgespielt“, sagt die Gründerin. „Aber das, was jetzt gerade passiert, hätte ich mir nicht vorstellen können.“

Janine Werth ist nicht niedergeschlagen und verzweifelt. „Die ersten Stunden nach der Bekanntgabe der Geschäftsschließungen waren hart“, sagt sie. Einen Tag Bedenkzeit hat sich die Geschäftsfrau verordnet, um zu entscheiden, was sie mit ihrem Laden macht. Eher ungewöhnlich. Denn eigentlich entscheidet sie gerne schnell, handelt effektiv. Ihr Lebenspartner, der sie bei administrativen Dingen wie IT und Buchhaltung unterstützt, ist sofort mit ihr in den Krisenmodus eingestiegen.

Gemeinsam haben sie an Vermieter, Banken und Steuerberater geschrieben. „Es ging gleich um Themen wie Kurzarbeit, Mietreduzierung und was ist, wenn das Limit des Dispokredits erreicht ist. Da ist man ja ganz schnell auch bei Insolvenzverschleppung“, sagt sie. Konkrete Antworten hat sie noch nicht. Ihre Hausbank, die Volksbank, habe beim Ersuchen von Hilfe zunächst nur auf das ganz normale Kreditprozedere verweisen können, da noch keinerlei Informationen zu den kurzfristigen Hilfspaketen des Bundes vorlagen.

Der Vermieter, eine Versicherungsgesellschaft, zeigte sich grundsätzlich gesprächsbereit und hat möglicherweise eine Stundung der Aprilmiete in Aussicht gestellt. Und der Steuerberater musste sich auch erst mal schlau machen. „Alles nichts, was uns weitergeholfen hat. Wahrscheinlich waren wir zu früh dran mit unseren Fragen.“

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    Am nächsten Morgen, inzwischen war es Mittwoch, saß sie mit allen sechs Mitarbeiterinnen im Laden und teilte ihren Entschluss mit: „Wir beantragen erst mal keine Kurzarbeit, sondern versuchen uns gemeinsam neu aufzustellen. Die Umstellung des Geschäftsmodells schaffen wir nur mit vereinten Kräften.“ Im Klartext: Zum Ende des Monats müssen 15.000 Euro Gehaltszahlungen rausgehen. Schon Tage zuvor hatte die Unternehmerin sich mit anderen Läden vernetzt und tauscht nun laufend Informationen aus.

    „Es gibt natürlich auch Stimmen, die sagen, es ist besser, alle zu entlassen und später wieder einzustellen. Aber wir versuchen es erst mal anders.“ Das habe auch mit der Verantwortung für ihr Team zu tun, das inzwischen fast eine Familie geworden sei. „Zwei Kosmetikerinnen arbeiten in Teilzeit mit 25 Stunden in der Woche. Für sie wäre eine Reduzierung auf das Kurzarbeitergeld existenzgefährdend. Eine Mitarbeiterin ist alleinerziehende Mutter.“ Dass es wohl trotzdem Einschnitte geben werde, hat sie allerdings auch allen klargemacht. „Wir müssen von Tag zu Tag neu denken und entscheiden.“

    Saison sollte im März so richtig losegehen

    Eigentlich sollte die Saison bei Werte Freunde mit den ersten schönen Tagen im März so richtig losgehen. Der Laden ist voll mit Ware. Die Frühjahrskollektion mit leichten Mänteln, Kleidern, Shirts und Pullis in vielen Farben von verschiedenen Naturmode-Labels sind sorgfältig drapiert. Auch die Kosmetikregale sind gut bestückt, auf Tischen sind besondere Angebote für Ostern arrangiert. „Da steckt das ganze Geld drin“, sagt Janine Werth. Zum Jahresbeginn hatte sie zudem in einen Umbau und den Ausbau des Sortiments investiert.

    25.000 Euro, die jetzt fehlen. Für Werte Freunde ist die Situation eine Vollbremsung. Seit der Eröffnung ist das Unternehmen kontinuierlich auf Wachstumskurs. Bislang hat Janine Werth mit ihrem Konzept 1,2 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet. Im Schnitt werden 90 Prozent der Einnahmen über den Warenverkauf erwirtschaftet, zehn Prozent über kosmetische Pflegebehandlungen. Auch die Zahl der Kunden wächst.

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    Allerdings ist Werte Freunde noch nicht in der Gewinnzone. Die Gründerin steckt alles in die Firma, zahlt sich selbst nur ein kleines Gehalt. „Wir hatten für Ende 2020 die schwarze Null angepeilt. Das können wir vergessen.“ Auch die geplante Expansion ist zunächst einmal vom Tisch. „Um das Geschäft abzusichern, brauchen wir jetzt keine neuen Standorte, sondern müssen unsere Marke digital abbilden“, sagt Janine Werth.

    Eine Kehrtwende. Eigentlich wollte sie immer ein Ladengeschäft mit Kundenkontakt, Waren zum Anfassen und persönlicher Beratung. Und dann sagt sie etwas, das angesichts der Krise verwundern könnte. „Im Moment spüre ich großen Tatendrang. Ich habe Lust, etwas Neues auszuprobieren. Die Notsituation pusht das.“

    Beratungen per Videoanruf

    Ihre Arbeitstage gehen jetzt von morgens früh bis spät in die Nacht. Gleich nach der Schließung hat Janine Werth ein Video auf ihrem Instagram-Kanal gepostet, um den Kundinnen die neue Lage zu erklären. In den vergangenen Tagen sind jeden Tag ein gutes Dutzend telefonische Bestellungen eingetrudelt. Einige Kundinnen lassen sich bei der Kosmetikauswahl per Videoanruf beraten.

    Angeboten wird auch eine Hautanalyse mit dem Smartphone. Weitere digitale Dienste sollen folgen. Inzwischen ist Instagram der wichtigste Verkaufskanal. Aktuell kommen damit zumindest 50 Prozent des benötigten Tagesumsatzes zusammen. Das ist die Hälfte des Mindestumsatzes, den sie braucht. Und niemand weiß , ob das nach der ersten Unterstützungswelle so bleiben wird.

    Parallel baut Janine Werth unter Hochdruck einen Onlineshop auf. Nicht nur alle Mitarbeiterinnen helfen dabei, den Warenbestand ins Netz zu bringen, auch Eltern und Freunde hat sie eingespannt. Als nächsten Schritt will sie einen Zuschuss im Rahmen der in Aussicht gestellten Soforthilfen beantragen. Nach ihren Berechnungen bekäme sie mit sechs Mitarbeitern zusammen 15.000 Euro. „Das wäre eine gute Monatsmiete“, sagt Janine Werth. Ein Hoffnungsschimmer. Um weitere Gehälter und Rechnungen zu bezahlen, will sie als nächsten Schritt Liquiditätshilfen beantragen. Noch weiß sie nicht, wie das geht. „Die Bank hat uns empfohlen, regelmäßig den Newsletter zu lesen.“