Hamburg. Pläne von Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock würden mehr als ein Viertel des Geschäfts am Flughafen Hamburg gefährden.
Auch wenn der Flugverkehr derzeit wieder leicht zunimmt, sind die Passagierzahlen noch weit vom Vor-Corona-Niveau entfernt. In Hamburg ist man gerade einmal bei 15 Prozent des Verkehrsaufkommens vom Mai 2019.
Doch nach den Vorstellungen von Annalena Baerbock, Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl im September, sollen auch künftig deutlich weniger Menschen auf dem Luftweg reisen als vor der Pandemie. Denn wie Baerbock kürzlich sagte, soll es Kurzstreckenflüge „perspektivisch nicht mehr geben“, Billigtickets will die Kanzlerkandidatin durch eine „klimagerechte Besteuerung“ unmöglich machen.
Beunruhigend für Hamburgs Flughafen
Gerade für den Hamburger Flughafen ist das eine beunruhigende Perspektive: An keinem anderen Airport in Deutschland ist der Anteil der Inlandsflüge so hoch. Gemessen an den Passagierzahlen des Jahres 2019 waren nach Daten des Flughafenverbands ADV 29,5 Prozent der Fluggäste in Fuhlsbüttel auf Deutschland-Strecken unterwegs. In Köln/Bonn waren es 25,0 Prozent und in Stuttgart 24,4 Prozent, am Drehkreuz Frankfurt aber nur 10,5 Prozent.
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Zwar hat Baerbock im Interview mit der „Bild am Sonntag“ nicht gesagt, was sie unter einem Kurzstreckenflug versteht. Auch das Wahlprogramm der Grünen gibt darüber keine Auskunft. Dort heißt es, nach der Pandemie solle es „kein Zurück zum blinden Wachstum des Luftverkehrs“ geben: „Kurzstreckenflüge wollen wir bis 2030 überflüssig machen, indem wir die Bahn massiv ausbauen.“ Laut offizieller Definition der Europäischen Union gelten Flüge bis zu einer Strecke von 1500 Kilometern als Kurzstrecken – von Hamburg aus fielen sogar die Routen nach Rom, Barcelona, Helsinki oder Dublin in diese Kategorie.
Hamburg würde hart getroffen
Umweltschutzverbände wie der BUND sprechen bei Distanzen von bis zu 600 Kilometern gar von „Ultrakurzstreckenflügen“. Das entspricht genau der Luftlinie zwischen den Flughäfen Hamburg und München. Unter den Top-10-Zielen des Hamburger Flughafens im Jahr 2019 waren vier Inlands-Destinationen (München, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf), die alle im Bereich der Ultrakurzstrecke liegen.
Das gilt auch für weitere relativ aufkommenstarke Routen wie die nach Amsterdam oder nach Kopenhagen. Allein die vier innerdeutschen Verbindungen kamen auf gut 4,4 Millionen Passagiere und damit auf mehr als ein Viertel des gesamten Verkehrsaufkommens am Fuhlsbütteler Airport.
Flughafenchef Michael Eggenschwiler stellt sich gegen die Kritik an solchen Strecken. „Die Menschen heutzutage wollen mobil sein – und die Fluggesellschaften reagieren auf diese Nachfrage“, so Eggenschwiler: „Dazu gehören auch innerdeutsche Verbindungen, die gerade Geschäftsreisenden für unseren Standort im Norden Deutschlands einen zeitlichen Vorteil bringen gegenüber anderen Verkehrsträgern.“ Außer mit dem Jet sei ein „klassischer 8-Uhr-Businesstermin“ ohne Übernachtung kaum zu schaffen.
Der Flughafen-Chef ist dagegen
Eggenschwiler nennt noch ein weiteres Argument: „Rund ein Drittel aller Passagiere auf innerdeutschen Flügen reist nicht zu einem Ziel innerhalb Deutschlands, sondern steigt zu einem internationalen Ziel um.“ Der innerdeutsche Flug sei also Teil einer internationalen Verbindung, bei der Reisende etwa von Hamburg über Frankfurt nach Bangkok flögen.
Ein Verbot der Inlandsstrecken aber „würde nur dazu führen, dass solche Umsteigerpassagiere für ihre Langstreckenverbindungen nicht mehr deutsche, sondern ausländische Luftverkehrsdrehkreuze – zum Beispiel Paris, Amsterdam, London, Istanbul oder Dubai – nutzen“, sagt Eggenschwiler. „Geflogen würde also trotzdem, nur nicht mit deutschen Fluggesellschaften und in vielen Fällen stattdessen sogar mit Umwegen.“ Dies könne weder im Sinne der Politik noch im Sinne der Umwelt sein.
Annalena Baerbock steht mit ihrer Position bei den Grünen allerdings keineswegs allein. Auch ihr Parteikollege Jens Kerstan, Hamburgs Umwelt- und Klimasenator, äußert sich auf Abendblatt-Anfrage in diese Richtung: „Ich halte es für geboten und vertretbar, Kurzflüge mit Blick auf unsere Klimaziele neu zu bewerten“, so Kerstan. „Frankreich geht da bereits konsequent voran.“
Frankreich als Vorbild
Im April hatte die Nationalversammlung in Paris ein Gesetz bestätigt, das Inlandsflüge zu Zielorten, die in zweieinhalb Stunden mit dem Zug erreicht werden können, verbietet. Schon vom Sommer an sollen etwa Flüge von Paris nach Bordeaux und nach Lyon – oder umgekehrt – nur noch dann erlaubt sein, wenn die Mehrheit der Passagiere am Zielort einen Anschlussflug nutzt.
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„Wir brauchen vor allem gute und schnelle Bahnverbindungen und faire Wettbewerbsbedingungen – dann werden Kurzstreckenflüge überflüssig“, sagt Umweltsenator Kerstan. Ein „ehrlicher Preis“ könne den Umstieg auf die Bahn fördern, zum Beispiel über eine Besteuerung von Kerosin: „Bisher wird das Fliegen quasi bezuschusst, weil anders als auf Benzin oder Diesel keine Steuern erhoben werden.“
Billigtickets sollen gestoppt werden
Auch Baerbock hatte kritisiert, „dass mit unser aller Steuergeld das Kerosin subventioniert wird“. Ein Ende dieser Praxis würde „Dumpingpreise“ von Billigfliegern wie etwa Tickets für 29 Euro stoppen. Günstig-Anbieter sind für Hamburgs Flughafen aber mindestens ebenso wichtig wie die Kurzstrecken: Einer Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zufolge wurden im Jahr 2019 hier gut acht Millionen Passagiere – fast 47 Prozent des Gesamtaufkommens in der Hansestadt – von Fluggesellschaften befördert, die zumindest überwiegend als Billiganbieter aktiv sind. Darunter fallen unter anderem Ryanair, Eurowings und WizzAir.
Eine Flugbenzin-Besteuerung, wie Baerbock und Kerstan sie sich vorstellen, wäre jedoch selbst von einer Bundesregierung mit maßgeblicher Beteiligung der Grünen kaum umsetzbar. International verbindliche Regelungen lassen eine Kerosinsteuer auf grenzüberschreitenden Flügen nicht zu. Der Airline- und Flughafenverband BDL weist hierzu darauf hin, dass es in Deutschland bereits seit zehn Jahren eine Luftverkehrsteuer auf die Ticketpreise gibt.
Lufttaxi als Alternative?
Wie der BDL und die Deutsche Bahn kürzlich gemeinsam erklärten, könne sich bei einer Verbesserung der Schienenverbindungen künftig ein Fünftel der bisherigen Passagiere von Inlandsflügen für die Bahn entscheiden. So soll die Reisezeit mit dem Zug zwischen Hamburg und München um 50 Minuten auf 4:50 Stunden sinken, außerdem verkürze die feste Fehmarnbeltquerung die Fahrzeit von Hamburg nach Kopenhagen auf weniger als drei Stunden – beides bis 2030.
Vielleicht gibt es dann aber zumindest für zahlungskräftige Passagiere noch eine andere Möglichkeit der Flugreise, gegen die Baerbock nichts hätte: 2024 will die deutsche Firma Lilium ein rein elektrisch betriebenes Lufttaxi mit anfangs mehr als 250 Kilometer Reichweite auf den Markt bringen. Für Kopenhagen würde das schon knapp reichen.