Hamburg. Das Hamburger Start-up Mobile Healthcare Solutions gibt Tipps für's Wohlbefinden. Ärzte sehen das teilweise skeptisch.
Die Arbeit im Homeoffice, geschlossene Sportstudios und weniger Alltagsbewegung haben bei vielen Bundesbürgern psychische oder auch physische Spuren hinterlassen: Nach zwei Jahren der Pandemie nehmen fast zwei Drittel der Deutschen eine gesundheitliche Verschlechterung an sich wahr, wie eine aktuelle Studie der Krankenkasse Pronova zeigt.
Da passt das Geschäftsmodell des Hamburger Start-ups Mobile Healthcare Solutions (Markenname: Casc) gut in die Zeit: Denn das Unternehmen bietet eine App für das Mobiltelefon an, die aufgrund der Auswertung einer Urinprobe individuelle Tipps für eine Verbesserung des Wohlbefindens verspricht, etwa über eine Änderung der Ernährung. Dazu wird der Urinteststreifen mit der Smartphone-Kamera fotografiert, die App liefert dann anhand des Farbmusters auf dem Streifen eine verständlich aufbereitete Analyse.
Hamburger Start-up nutzt Prinzip der Selbsttests
„In den vergangenen zwei Jahren haben sich die Menschen daran gewöhnt, sich selbst zu testen – auch das spielt uns in die Karten“, sagt Lennart Hahn, einer der beiden Gründer von Mobile Healthcare Solutions. Seit einem halben Jahr verschickt das Start-up unter dem Markennamen Casc die Testsets mit vier Streifen für knapp 25 Euro. Fast 20.000 Kunden habe man dafür bereits gewinnen können, sagt Mitgründer Tobias Schütz: „Manche haben schon 14 oder 15 Sets angefordert.“
Dazu werden sie durch die App auch angeregt. Denn die Testergebnisse für zwölf sogenannte Biomarker wie etwa den pH-Wert, Vitamin C, den Wasserhaushalt, Kalzium, Nitrit und Leukozyten werden auch in einem Gesamtpunktewert zusammengefasst, dessen Verlauf als Kurve angezeigt wird und den man somit „gezielt verbessern“ kann. Wer sich nach den „Lebensmittel- und Lifestyle-Empfehlungen“ der App richte, könne damit „mehr Energie, bessere Konzentration, stärkeres Immunsystem und besseres Aussehen“ erzielen, bewirbt Mobile Healthcare Solutions sein Produkt.
Casc bisher ohne medizinische Zulassung
Überhaupt ist im Online-Aufritt des Start-ups viel von Wellness und Wohlbefinden, weniger aber von Gesundheit die Rede. „Unser Test ist kein Ersatz für einen Arztbesuch“, stellt Hahn klar. Etwas versteckt auf der Internetseite findet sich der Hinweis: „Dieses Produkt eignet sich nicht zur Diagnose von Krankheiten, einschließlich der Bestimmung des Gesundheitszustands, der Heilung, Linderung, Behandlung oder Vorbeugung von Krankheiten oder den daraus resultierenden Zuständen.“
All das hat einen guten Grund. Der Test wurde zwar zusammen mit Ärzten entwickelt, das Hamburger Unternehmen hat für Casc aber keine medizinische Zulassung. Diese wird für das kommende Jahr angestrebt. „Wir möchten den Kunden noch bessere Möglichkeiten geben, proaktiv etwas für ihre Gesundheit zu tun“, sagt Hahn zum Hintergrund der Geschäftsidee.
Mediziner warnen vor hoher Fehlerquote
Dazu könnte dann etwa ein Hinweis auf eventuelle Nierenschäden gehören, die häufig nicht frühzeitig bemerkt würden. Unter Medizinern sind Selbsttests wie die von Casc allerdings nicht unumstritten – häufig warnen Ärzte vor einer hohen Fehlerquote bei den angezeigten Ergebnissen auch wegen falscher Anwendung, zudem können einige wichtige Werte nur in einem Labor ermittelt werden und nicht mit einem einfachen Teststreifen.
Schütz und Hahn, beide 26 Jahre alt, kennen sich bereits seit der ersten Schulklasse, und der Produktname Casc geht tatsächlich auf die Schulzeit der beiden in Bad Bramstedt zurück: Sie erinnerten sich daran, dass ein Biologielehrer den menschlichen Körper mit einem Fass (englisch: cask) verglich, in dem für den richtigen Pegel der verschiedenen Nähr- und Mineralstoffe und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen ihnen gesorgt werden sollte.
Gründer mit viel Erfahrung
„Wir schreiben aber ‚Casc‘ mit einem ‚c‘ auch am Ende, weil sich das für eine Visualisierung besser eignet“, sagt Hahn. Er hat ein duales Studium beim Ahrensburger Schreibwarenhersteller Edding absolviert, ist aber durch seine Familie nach eigenen Worten „unternehmerisch geprägt“.
Sein Geschäftspartner Tobias Schütz hat in Hamburg Volkswirtschaftslehre studiert und schon in den ersten Semestern ein Brettspiel entwickelt, von dem er nach eigenen Angaben 15.000 Stück verkauft hat. Anschließend zog er für einen dänischen Investor in Flensburg die Wohnmobil-Vermietung Cultcamper und einen Flipperautomaten-Handel auf.
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Auf die Idee mit den Urintests kamen die beiden Gründer durch ihr persönliches Umfeld: Zahlreiche Bekannte, die sie aus dem Fitnessstudio kennen, konsumieren mehrere Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamine und Mineralstoffe, ohne ihre Wechselwirkungen genau abschätzen zu können. Zwar haben viele andere Anbieter ähnliche Teststreifen im Programm, die meist deutlich günstiger sind – es gibt sie schon für weniger als 20 Cent pro Stück. „Aber bei diesen Produkten kann ein Anwender ohne medizinisches Wissen kaum beurteilen, was die Resultate für ihn bedeuten“, sagt Schütz.
Schon bald will das junge Hamburger Start-up auch einen Bluttest, für den man sich in die Fingerkuppe stechen muss, mit einbinden. So sollen dann über die App zusätzlich Werte für Vitamin D und Eisen ermittelt werden können. „Außerdem arbeiten wir an einem Test auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten und an einem Ovulationstest zur Bestimmung der fruchtbarsten Tage“, so Hahn. Schließlich sind die meisten Casc-Kunden aus der angepeilten Altersgruppe der 25- bis 39-Jährigen weiblich. „Unser Produkt wird aber auch von Männern bis Ende 70 genutzt“, fügt Schütz an.
Casc soll in die Online-Apotheken
Im März hat das junge Unternehmen in einer Finanzierungsrunde insgesamt 1,3 Millionen Euro eingesammelt. Hauptinvestor war die Wagniskapitalgesellschaft TA Ventures, die unter anderem in das Hamburger Kreditportal Finanzcheck und den Kölner Fairtrade-Kleidungsanbieter Armedangels investiert hat. Zu den übrigen Geldgebern gehört der frühere Zalando-Topmanager Christoph Lange.
Neben weiteren Funktionen der Testkits und der App ist für die nächsten Monate auch eine Ausweitung des Vertriebs geplant: Während Casc bisher – passend zur Zielgruppe – in den sozialen Medien auf das Produkt aufmerksam macht und es im eigenen Onlineshop verkauft, soll es über eine Kooperation mit einem Pharmakonzern bald auch von Online-Apotheken in ihr Angebot aufgenommen werden.
Um all das realisieren zu können, werden weitere Mitarbeiter gesucht: Derzeit hat das Start-up sieben Beschäftigte, zum Jahresende sollen es schon zwölf bis 15 sein.