Hamburg. Das Shoppingcenter-Unternehmen wandelt sich. Chef Alexander Otto spricht exklusiv über seine Pläne – und Hotels an der Küste.

Die Treppen in den Konferenzraum im sechsten Stock der ECE-Zentrale in Poppenbüttel (3400 Mitarbeiter, 200 Shoppingcenter) geht Alexander Otto zu Fuß – und überlässt den Fahrstuhl in Corona-Zeiten den Abendblatt-Reportern. Zum Interview hat er in einen modernen Konferenzraum geladen. Abstandsregeln lassen sich hier gut einhalten.

Zur Vorsicht öffnet der 53-Jährige, der das Unternehmen seit 20 Jahren leitet, noch ein Fenster. Er habe ausgerechnet, dass er schon so viele Stunden mit Besprechungen in diesem Raum verbracht habe, dass es zusammen drei Jahre seien, sagt er. Dann ist der jüngste Sohn von Versandhausgründer Werner Otto bereit für die Fragen.

Hamburger Abendblatt: Wie hat sich Ihr Leben durch die Pandemie verändert?

Alexander Otto: Die Antwort hat zwei Seiten. In der ersten Phase gab es einerseits gerade privat viel gewonnene Zeit. Plötzlich hat nicht mehr eine Geschäftsreise die andere gejagt, und ich habe viel mehr Zeit zu Hause verbracht. Ich habe gemerkt, dass ich von dort auch gut arbeiten kann. Dadurch habe ich mehr Zeit mit der Familie verbracht und hatte auch die Ruhe, mich darauf einzulassen. Aber es war natürlich gleichzeitig immer die Sorge da, wie es weitergeht mit der Wirtschaft, mit dem Unternehmen, mit unseren Mitarbeitern. Da galt es in kürzester Zeit eine Menge Entscheidungen zu treffen und das Unternehmen auf Kurs zu halten.

Haben Sie auch – wie viel andere – angefangen zu kochen?

Otto: Da bin ich nicht so talentiert (lacht). Aber ich habe mir Zeit genommen, Bücher zu lesen. Ich interessiere mich sehr für Geschichte. Und ich habe sehr viel Sport gemacht.

Und wie sieht Ihr Alltag jetzt aus?

Otto: Ich war in den letzten Wochen weitgehend wieder im Büro. Aber wir versuchen, die Anzahl der Besprechungen stark zu reduzieren. Durch die aktuelle Entwicklung ist die Zahl der Mitarbeiter auf dem Campus auch schon wieder von einem Drittel auf unter 20 Prozent gesunken, und wir werden die Präsenz jetzt noch weiter herunterfahren.

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ECE: Möglichst viele Läden halten, Verträge anpassen

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf das Unternehmen?

Otto: Das ist nach Segmenten sehr unterschiedlich. Es ist schon eindeutig eine Krise, aber völlig anders als die Finanzkrise. Die Finanzmärkte sind stabil. Es gibt eine hohe Investoren-Nachfrage nach bestimmten Objekten, vor allem in unseren Bereichen Wohnungen und Logistik. Da konnten wir einige Objekte gut platzieren. Auf der anderen Seite sind die Einkaufszentren und vor allem die Händler sehr stark betroffen.

Wie hoch sind die Umsatzeinbußen in den Hamburger ECE-Einkaufscentern?

Otto: Das ist ein bundeseinheitlicher Trend. Während des Lockdowns im Frühjahr lagen wir teilweise gerade mal bei zehn Prozent der Besucherzahlen im Vergleich zum Vorjahr. Nach der Öffnung im April hat sich das nach und nach eingependelt bis auf gut 80 Prozent und mehr Ende September. Aber im Moment gehen die Zahlen wieder deutlich zurück. In der vergangenen Woche lagen wir schon wieder bei 30 Prozent unter dem Vorjahr. Die Auswirkungen auf den Umsatz sind weniger stark. Da lag das Minus zuletzt bei zehn bis 15 Prozent. Die Kunden kaufen jetzt sehr gezielt ein.

Wie viele Mieter haben sich gemeldet, um während des Corona-Lockdowns über Mietnachlässe zu verhandeln?

Otto: Wir haben mit fast allen Mietern gesprochen. Es gab ja auch einige Insolvenzen in der Zeit, bei denen wir den Insolvenzverwaltern entgegengekommen sind, um möglichst viele Läden zu halten. Wir haben in Deutschland 10.000 Mietverträge im Portfolio, und wir müssen jetzt einen überwiegenden Teil davon anpassen. Je nach Standort liegen die Abschläge für das Jahr 2020 bei zehn bis 15 Prozent pro Quadratmeter, also inklusive der Sondereffekte durch die Schließungszeit und die Insolvenzen.

Bei Galeria Karstadt Kaufhof Zugeständnisse gemacht

Die Schließungspläne von Galeria Karstadt Kaufhof sorgten jüngst für Schlagzeilen. Wie viele ECE-Standorte waren betroffen?

Otto: Bundesweit haben wir an 13 Standorten solche Filialen, elf klassische Warenhäuser und zwei Karstadt-Sports-Filialen. Aber nicht alle waren von den Schließungsplänen betroffen, und auch von den ursprünglich ausgesuchten Filialen konnten wir einen Großteil erhalten.

Der ehemalige Kaufhof im Alstertal-Einkaufszentrum war einer der ersten Standorte, die gerettet wurden. Was können Sie uns zu den Einzelheiten des Deals verraten?

Otto: Wir haben sehr deutliche Zugeständnisse gemacht. Bei solchen großen Warenhausflächen ist die Anzahl der Mietinteressenten aktuell überschaubar. Und ein Warenhaus ist für ein Shoppingcenter immer auch ein Einkaufsmagnet. Bei anderen Standorten hat Karstadt Kaufhof schnell klargemacht, dass sie selbst keine Perspektive sehen. Zum Beispiel im Main-Taunus-Zentrum bei Frankfurt, wo es einen Doppelstandort mit einem modernen Kaufhof und einem älteren Karstadt gab, der geschlossen wurde. Dort ist jetzt der Abriss des Warenhausgebäudes eine Option, damit die Fläche anderweitig genutzt werden kann.

Es gibt Experten, wie HWWI-Chef Henning Vöpel, die sagen, dass die Zeit der Einkaufscenter in der heutigen Form vorbei ist. Was antworten Sie darauf?

Otto: Wir planen schon seit Jahren keine neuen Einkaufscenter mehr. Und wir sind auch heilfroh, dass wir jetzt keine Projekte in der Pipeline haben. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die Menschen sich danach sehnen, in die Center zurückzukommen. Es ist ja auch ein Begegnungsort. Um dem Rechnung zu tragen, müssen wir uns ständig verändern. Deshalb investieren wir weiter in die bestehenden Center und können uns auch weitere Ankäufe vorstellen.

ECE plant mit E-Sports

Mit welchen zusätzlichen Angeboten wollen Sie die Kunden künftig in Ihre Center holen?

Otto: Wir haben zum Beispiel in Bremen ein Jump House integriert. Dann beschäftigen wir uns intensiv mit dem Thema E-Sports, wollen Arenen zum gemeinsamen Computerspielen anbieten und eigene Ligen aufbauen. Wichtig ist auch der Gesundheits- und Körperpflegebereich, dem wir mehr Raum geben wollen. In dieser Phase des Wandels gehört es auch dazu, Dinge auszuprobieren, wie zum Beispiel das Übernachtungsangebot in der Europa Passage.

Bislang haben Sie stark auf Gastronomie gesetzt. Geht das so weiter?

Otto: Für die Gastronomie ist Corona ein schwerer Rückschlag. Die positive Entwicklung ist leider unterbrochen. Aber wir sehen das weiter als wichtigen Trend.

Das hört sich so an, als ob Sie aus den jetzigen Shoppingcentern künftig Erlebniscenter machen wollen?

Otto: Ja, und zusätzlich geht es um die Frage, wie sich Einkaufscenter mit anderen Nutzungen verbinden lassen. Zum Beispiel durch die Ansiedlung von Wohnungsbau. Es gibt einige Center, die sich dafür gut eignen. Im Stern-Center in Potsdam wollen wir auf nicht mehr benötigten Parkplatzflächen zwei Wohntürme mit mehr als 600 Wohnungen errichten. Baubeginn ist für 2022 geplant. Die Fertigstellung soll drei Jahre später erfolgen. In Berliner Ring-Center haben wir das oberste Parkdeck stillgelegt und ein Hotel in Leichtbauweise mit 150 Zimmern daraufgesetzt.

Neue Pläne für Alstertal-Einkaufszentrum?

Prüfen Sie auch Möglichkeiten für Wohnbebauung an Hamburger Standorten?

Otto: Ja. Natürlich ist das schwieriger, wenn ein Grundstück komplett bebaut ist, wie etwa beim Phoenix-Center. Wenn es frei stehende Parkdecks gibt, von denen man nur einen Teil bebaut, ginge das.

So wie im Alstertal-Einkaufszentrum?

Otto: Wir prüfen das für verschiedene Standorte. Es ist noch nichts spruchreif. Aber wir sind in ersten Gesprächen mit den Behörden. Grundsätzlich wäre das sehr gut vorstellbar.

Welche Rolle spielt der Bereich Wohnen künftig für die ECE-Gruppe?

Otto: Wir sehen dort sehr gute Perspektiven und finden zum Beispiel das Thema Mietwohnungen sehr spannend und investieren schon länger. Über unsere Schwestergesellschaften haben wir 8000 Wohnungen in Kanada und bauen gerade 2000 neue. In den USA haben wir 2000 Wohnungen im Bestand. Dort gibt es einen Trend zu kleineren Wohnungen mit größeren Allgemeinbereichen wie Fitnessräumen, Lounges, gemeinsamen Arbeitsplätzen. Das inspiriert uns, das Modell auch nach Europa zu holen. In England haben wir daher in diesem Jahr 2000 Wohnungen in Manchester, Leeds und Birmingham erworben, die dieses Prinzip verfolgen. Zielgruppe sind vor allem jüngere Menschen.

Das hört sich so an, dass Sie für das Immobiliensegment große Chancen sehen. Haben Sie die Lust an Shoppingcentern verloren?

Otto: Alle unsere Bereiche haben eine gute Zukunft, aber der Fokus nach unserer Umstrukturierung liegt zumindest bei der Entwicklung neuer Projekte im Bereich Work-Life, also bei Wohnungen, Büros, Logistik- und Hotelimmobilien. Natürlich glauben wir aber weiter an Shoppingcenter. Wir haben ein fantastisches Portfolio, aber wir werden uns wandeln und den Kundenwünschen anpassen. Wir sehen die Chance in der Krise.

Hotels: Checken Gäste selbst ein?

Wie geht es mit den Hotels weiter, die ja erneut vom Lockdown betroffen sind?

Otto: Auch da sehen wir starke Veränderungen. Corona war dort in einer starken Wachstumsphase ein herber Einschlag. Wir sehen aber langfristig weiter sehr gute Chancen in diesem Segment. Wir setzen unter anderem auf digitalere Konzepte, bei denen die Reisenden selbst einchecken und Gemeinschaftsflächen kleiner sind. Wir haben uns schon vor einiger Zeit mit 25 Prozent an der Hotelgruppe Ruby beteiligt. Das ist ein Partner, der straff und digital organisiert ist. Wir wollen gemeinsam neue Modelle entwickeln, sodass Hotels auch in schwierigen Zeiten überleben können.

Setzen Sie vor allem auf Businesshotels?

Otto: Der Hotelmarkt insgesamt ist für uns ein Investitionsschwerpunkt. Wir sehen also auch bei Ferienhotels Potenzial. Urlaub in Deutschland ist ein Trend. Ich glaube, dass es gute Möglichkeiten gibt, nach der Pandemie Hotels zu erwerben, möglicherweise auch Häuser zu übernehmen, die in Schieflage geraten sind.

Sind Sie aktiv auf der Suche?

Otto: Ja, wir haben im Portfolio meiner Familie schon zehn Ferienhotels, die von der ECE als Asset-Manager verwaltet werden. Ich persönlich finde die Küstenregion sehr spannend. Mecklenburg-Vorpommern hat eine positive Entwicklung, das wird auch anhalten. Aber auch Süddeutschland ist interessant. Gerade entsteht ein neues Hotel in Garmisch-Partenkirchen, das nächstes Jahr eröffnen soll und in das wir investiert haben.

Gibt es Kurzarbeit bei ECE? Ist wegen der Pandemie Personalabbau geplant?

Otto: Bei uns in der Zentrale sind rund 150 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Schwerpunkt sind die Architekturabteilungen, weil wir in dieser Phase weniger Neuvermietungen und daher auch weniger Umbauten haben. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass wir die Zahl der Beschäftigten halten. Es wird aber vielleicht Verschiebungen zwischen den Bereichen geben.

Wie bewerten Sie die neuen Corona-Einschränkungen?

Otto: Grundsätzlich hat die Regierung in der Pandemie bisher richtig gehandelt. Für alle, auch die Wissenschaft, war es eine völlig neue Situation. Jetzt wurden neue Beschränkungen beschlossen, die wieder einen Teil des Lebens herunterfahren. Das ist hart für die Menschen und für große Teile der Wirtschaft. Ich bin aber froh, dass nicht wieder eine komplette Schließung des Einzelhandels beschlossen wurde, denn das hätte die Händler erneut sehr stark getroffen und die Folgen für den Handel und die gesamte Wirtschaft verschärft. Wir haben seit Frühjahr ein umfassendes Hygiene- und Präventionskonzept in den Centern umgesetzt und werden weiter auf die strikte Einhaltung der Maßnahmen achten.