Hamburg. Viva Maris will die Wasserpflanzen möglichst vielen Menschen schmackhaft machen. Ihre vegane Bratwurst wurde gerade ausgezeichnet.
Was Claudia Busse-Uhrig da vorsichtig aus einem Pappkarton hebt, sieht auf den ersten Blick nicht unbedingt so aus, als ob man es essen könnte. Eher wie trockenes Gestrüpp. Tatsächlich kommen die braunen Büschel aus dem Meer, aus dem nördlichen Atlantik vor Norwegen. „Das ist Saccharina latissima“, sagt die Hamburgerin. Auf Deutsch: Zuckertang. Eine Algenart, die sie in diversen Produkten verarbeitet.
Die Unternehmerin nimmt ein Glas Honig-Senf-Sauce aus dem Kühlschrank, schraubt es mit einem leisen Plopp auf. „Die Stückchen darin, das ist der Zuckertang“, sagt sie. Sie hat auch ein paar Cracker vorbereitet. Zum Probieren. Das macht die Gründerin meistens, wenn sie über ihre Firma Viva Maris spricht. „Algen sind in Deutschland als Lebensmittel noch nicht so etabliert.“
Wertvoller Beitrag zur Ernährung
Während in asiatischen Ländern große Algenarten ganz selbstverständlich roh als Salat oder gedünstet als Gemüse auf dem Teller landen, beschränkt sich der Verzehr hierzulande vor allem auf den Mantel von Sushi-Röllchen. Claudia Busse-Uhrig wollte mehr, als sie nach ihrer Elternzeit 2014 in das Geschäft mit den Algen einstieg. „Das Thema hat mich fasziniert“, sagt die Unternehmerin.
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Inzwischen weiß die Gründerin so ziemlich alles über die Wasserpflanzen, die mit mehr als 40.000 Arten die weltweit am häufigsten vorkommenden Pflanze sind. „Algen können einen wertvollen Beitrag zur Ernährung leisten.“ Sie sind nicht nur gesund mit entgiftender Wirkung, vielen Vitaminen und Mineralstoffen. Sie wachsen zudem schnell, brauchen weder Landfläche, Süßwasser oder Düngemittel und gelten daher als Gemüse der Zukunft für die wachsende Weltbevölkerung.
Wundermittel der Natur
„Im Prinzip sind Algen ein Wundermittel der Natur“, so Viva-Maris-Chefin Busse-Uhrig. Und deshalb will sie Algen auch möglichst vielen Menschen schmackhaft machen. Mit wachsendem Erfolg. Gerade hat Öko-Test ihre vegane Algen-Bratwurst als einzige mit der Not „sehr gut“ zum Testsieger unter den fleischfreien Wurstprodukten gekürt.
Die Veggie-Würstchen waren vor sechs Jahren auch die erste Produktkategorie ihres Start-ups. „Es gab viele Vorurteile“, erinnert sich die 52-Jährige. Gemeinsam mit einem Mini-Team hatte sie das Rezept entwickelt und – das war ziemlich schwierig – einen Produktionsbetrieb im niedersächsischen Bienenbüttel gefunden.
Qualifizierte Aquakulturen
Danach dauerte es noch einige Monate, bis die ersten Würstchen in den Kühlregalen im Einzelhandel lagen. „Wir sind Pioniere“, sagt sie. Und obwohl sich die Essgewohnheiten in den vergangenen Jahren stark verändert haben und die Akzeptanz der Verbraucher jenseits der konventionellen Wege gewachsen ist, muss die Viva-Maris-Chefin immer noch viel erklären.
Wichtig ist ihr, dass ihre Algen in qualifizierten Aquakulturen in den nördlichen Regionen des Atlantik, von Island bis zum Polarkreis, gezüchtet werden. „Dort ist das Wasser sauber. Es gibt es wenig Schiffsverkehr und wenig Schadstoffe“, sagt die Betriebswirtin, die lange in dem Kosmetikunternehmen als Produktmanagerin gearbeitet hat. Je nach Produkt machen die Algen drei bis sieben Prozent der Zutaten aus.
Intensiver Eigengeschmack
Dass der Anteil so gering ist, habe einerseits mit dem intensiven Eigengeschmack zu tun, erklärt die Unternehmerin. Ein weiterer Punkt: Algen haben einen sehr hohen Iod-Gehalt. Ernährungswissenschaftler und Verbraucherschützer warnen bei übermäßigem Iod-Konsum vor gesundheitlichen Risiken etwa bei Menschen mit Schilddrüsenproblemen. „Wir reduzieren deshalb die Menge der Algen in unseren Produkten, damit wir sicher unter den Richtwerten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung liegen.“
Drei bis fünf Tonnen Algen verarbeitet Viva Maris inzwischen im Jahr, neben sogenannten Makroalgen wie den Braunalgenarten Zuckertang und Flügeltang, auch die Rotalgenart Dulse und die Mikroalgen Chlorella.„Pflücken, trocknen, abpacken, das ist alles Handarbeit“, sagt die Unternehmerin über den Herstellungsprozess. Ein Kilo frische Algen aus dem Nordatlantik kostet 15 bis 20 Euro, getrocknete zwischen 60 und 70 Euro.
Sortiment von Viva Maris ist stetig gewachsen
In den vergangenen Jahren ist das Sortiment von Viva Maris stetig gewachsen. Es gibt Pasta mit Algen, Senf, Saucen und vitaminreiche Shots mit Ingwer-Chili oder Kurkuma-Sanddorn sowie getrocknete Algen oder Flocken – insgesamt 16 Produkte, alle ohne künstliche Zusätze, die meisten in Bioqualität und vegan. Ende vergangenen Jahres sind drei neue Pasta-Saucen dazugekommen.
Zu den Bestsellern gehören die Algen-Würstchen von Viva Maris, die es auch als Currywurst und Wiener gibt. Eine Million setzt Busse-Uhrig davon inzwischen im Jahr ab. Mit Beginn der Corona-Pandemie und der neuen Lust am Kochen konnte Viva-Maris einen Nachfrageschub verzeichnen.
Das Start-up hat den Umsatz stark gesteigert
Die Öko-Test-Auszeichnung hat den Absatz weiter angeheizt – trotz Preisen von 4,29 Euro pro Paket. Zwischen 700.000 und 800.000 Euro liegt der Jahresumsatz des kleinen Unternehmens mit fünf Mitarbeitern inzwischen – das ist eine Steigerung um 70 Prozent in den vergangenen fünf Jahren. Profitabel ist Viva Maris seit 2019. Erhältlich sind die Produkte in Bio-Märkten und Reformhäusern, bei ausgewählten Lebensmittelhändlern sowie im Onlineshop über viva-maris.de.
Claudia Busse-Uhrigs Algen-Wissen ist inzwischen auch bei Lebensmittelherstellern und Universitäten gefragt. Sie hält Vorträge und ist in Forschungsvorhaben eingebunden, unter anderen soll an der Universität Hamburg ein Projekt zur ersten landgestützten Aquakultur von Makroalgen starten.
Besondere Ehre
Als einziges kleines mittelständisches Unternehmen aus Deutschland wurde Viva Maris zudem in das EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ aufgenommen. Dabei geht es um Proteinforschung aus Algen. Mit ihrem Verein Meeres-Bildung will die zweifache Mutter Jugendlichen die Bedeutung des Meeresschutzes näherbringen. Bei ihren eigenen Kindern klappt das schon ganz gut. Beim Grillabend zu Hause in Rissen geht es nicht ohne Algen-Würstchen.