Hamburg. Die Suche nach Personal wird immer schwieriger. Einige Unternehmen in der Hansestadt setzen dabei auf überraschende Ideen.

Bäckereien schließen ab mittags, weil sie keine Verkäuferinnen für Brot und Brötchen finden. Häuser können nicht fit gemacht werden für den Klimaschutz, weil Fachleute für den Einbau von Solartechnik fehlen. Auch wer sich eine neue Küche oder ein modernes Bad leisten will, muss monatelang auf Handwerker warten, die den Einbau übernehmen könnten. Die Klagen über mangelndes Personal werden immer lauter.

Sie kommen aus der Gesundheits- und Pflegebranche, aus dem Handwerk, der IT sowie der Metall- und Elektrotechnik. Das Ärgernis: viele Unternehmen haben gute Chancen am Markt, doch der größte Bremsklotz für ihr Wachstum ist die Verfügbarkeit von Fachkräften. Nach einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags befürchten 61 Prozent der Firmen, in Zukunft nicht genügend qualifiziertes Personal zu finden.

Personalmangel: Firmen setzen auf kreative Benefits

Bei einer Forsa-Studie im Auftrag der Hamburger Xing E-Recruiting haben zudem 52 Prozent der befragten Unternehmen angegeben, dass sie aktuell größeren Herausforderungen bei der Personalsuche gegenüberstehen als vor der Pandemie.Andererseits gibt es Firmen, auch in Hamburg, die sich bei der Suche nach neuem Personal, auf Neudeutsch Recruiting, besonders hervortun.

Meist setzen sie auf kreative und überraschende Benefits für die Bewerber, oder sie bieten besondere Leistungen, um Talente zu binden. Dabei sind große Dienstwagen und das eigene, repräsentative Eckbüro Schnee von gestern. Obwohl in Bewerbungsgesprächen das Gehalt mit 83 Prozent weiterhin eine zentrale Rolle spielt, sind finanzielle Motive tatsächlich nur bei jedem fünften Jobwechsel für Beschäftigte ausschlaggebend, hat die aktuelle Xing-Studie ergeben.

Zeit ist vielen wichtiger als Geld

Vor allem in der jüngeren Generation hat ein Umdenken stattgefunden. Zeit ist vielen Frauen und Männern heute wichtiger als Geld. Die Frage nach Urlaub oder einer kürzeren Arbeitszeit ist heute selbst im ersten Vorstellungsgespräch kein Tabu mehr. Bei der Erwartungshaltung von Jobsuchenden spielen neben Gehalt und Tätigkeit zahlreiche Themen eine Rolle. So liegen die Vereinbarkeit von Beruf und Karriere (75 Prozent), Jobsicherheit (73 Prozent), flexible Arbeitszeiteinteilung (68 Prozent), Unternehmenskultur (65 Prozent) und gutes Führungsverhalten (64 Prozent) auf den vorderen Plätzen.

Das Abendblatt stellt einige der neuen Recruiting-Ideen von Unternehmen aus der Hansestadt vor:

Unbegrenzter Urlaub

Bei H&S Solutions aus Winterhude gilt eine individuell zu regelnde Urlaubszeit. „Vertraglich setzen wir 30 Tage fest, haben hier aber eine Regelung, dass zusätzliche Tage mit Entgeltfortzahlung genommen werden können“, sagt Mirjam Müller, Personalleiterin der Firma für SAP-Software-Beratung. „Wer gute Arbeit leistet , soll sich auch richtig erholen dürfen.“ Dabei könnten die Beschäftigten sich flexibel ihren Urlaub nehmen, ohne eine fiktive Zahl von Tagen im Rücken zu haben. „So steht auch einem Vier-Wochen-Trip nach Australien nichts im Wege.“

Konkret bedeutet dies, dass ein Angestellter in einem Jahr 50 Tage Urlaub nehmen kann, „wenn es sein Projekt zulässt“, sagt Mirjam Müller. Zudem muss der Betroffene dann im nächsten Jahr nicht auf 20 Tage verzichten. „Er kann auch im folgenden Jahr mehr als 30 Tage nehmen – es muss nur alles im Verhältnis stehen“, ergänzt die Personalexpertin, und weiter: „Unsere Mitarbeiter schätzen dieses Vertrauen.“ Und sie scheinen es auch nicht zu missbrauchen: Im Durchschnitt liegen die Mitarbeiter des Beratungshauses bei 33 Urlaubstagen.

Bei Appinio gilt unbegrenzter Urlaub

Auch bei Appinio gilt ein unbegrenzter Urlaub. „Das bedeutet erst einmal, dass alle Mitarbeitenden selbst entscheiden dürfen, wann, wo und wie sie arbeiten. Die einzige Bedingung ist, dass der Urlaub mit dem jeweiligen Vorgesetzten abgesprochen ist und der Betrieb weiterhin aufrechterhalten werden kann“, sagt der Gründer der Marktforschungsfirma, Jonathan Kurfess. „Wenn also jemand sechs Wochen Urlaub in den Anden machen möchte oder für zwei Monate aus Ibiza arbeiten möchte, dann ist das machbar – wenn es abgesprochen ist und das Tagesgeschäft nicht darunter leidet.“

Die Bezahlung bleibe dabei gleich. „Ob jemand 20 Urlaubstage nimmt oder 40: Es hat keinerlei Auswirkungen auf das Gehalt“, ergänzt der Hamburger. Seit neun Monaten gilt bei Appinio diese Regelung, und es ergibt sich eine spannende Erkenntnis: „Die Mitarbeitenden haben aufs Jahr hochrechnet im Schnitt knapp 30 Urlaubstage beantragt – die einen mehr, die anderen weniger. Das ist insgesamt also nur geringfügig mehr als in den vergangenen Jahren“, sagt der Unternehmer, der in den vergangenen Monaten durchaus bemerkt hat, dass die flexible Urlaubsregelung bei Bewerbungen einen Einfluss hatte. „Im hart umkämpften Arbeitsmarkt ist Appinio dadurch also noch attraktiver geworden“, resümiert Kurfess, der selbst übrigens gerade von Sri Lanka aus gearbeitet hat.

Vier-Tage-Woche

Seit November 2021 hatten die Mitarbeiter in den Hamburger 25-Hours-Hotels die Möglichkeit, an einem Pilotprojekt teilzunehmen und ihre Wochenarbeitszeit auf vier Arbeitstage zu verteilen. Der Test war erfolgreich: Nun soll den Beschäftigten aller Hotels der Kette eine 4-Tage-Arbeitswoche ermöglicht werden, beziehungsweise es gibt drei arbeitsfreie Tage pro Woche. „Einerseits gestaltet sich die Personalgewinnung so schwer wie nie, und andererseits müssen wir uns mit den Ansprüchen einer neuen Generation von Stellensuchenden auseinandersetzen“, begründet Kathrin Gollubits, Personalleiterin der 25 Hours Hotels, diesen Schritt.

Eine interne Umfrage habe ergeben, dass sich mehr als 40 Prozent der Belegschaft vor allem eine Veränderung ihrer Arbeitszeit wünschen und gerne mehr Freizeit genießen wollen. Zugleich ist die Not bei der Kette groß: Dort sei momentan fast jede dritte Stelle – gruppenweit insgesamt 150 Positionen – unbesetzt.

Vier-Tage-Woche bei Rose & Partner

Auch Rose & Partner setzt auf eine neue Arbeitszeitregelung. Bereits seit 2019 gilt eine Vier-Tage-Woche in der Wirtschafts- und Steuerkanzlei. „Wir haben das Personal in der Kanzlei seitdem verdoppelt und konnten mehr als 20 Anwälte für uns gewinnen“, bilanziert Bernfried Rose. „Es hat sich in der Branche der Wirtschaftskanzleien – in der Anwälte 50 bis 60 Wochenstunden arbeiten und wo es mehr offene Stellen als Bewerber gibt – herumgesprochen, dass wir mit 36 Wochenstunden – optional an vier Tagen – einen neuen Standard gesetzt haben“, ergänzt der Jurist der Kanzlei, die in Hamburg am Jungfernstieg sitzt.

Auch die Gebrüder Bröhan GmbH leidet als Hamburger Metallbauunternehmen unter dem Fachkräftemangel. Im vergangenen Jahr hat die Firma die Vier-Tage-Woche eingeführt. Derzeit benötigt das Unternehmen vor allem Bewerber aus dem Montagebereich, beim Recruiting setzt der Familienbetrieb dabei auch auf ausgewählte Social-Media-Plattformen.

Finanzielle Benefits

Kälte-Bast bezahlt für die Bildung der Mitarbeiter. Es geht um die Meisterprüfung oder ein duales Studium. „Es ist ein Mittel, um die Leute zu halten“, sagt Elena Schluger, Prokuristin bei der Firma für Klimatechnik, die sich im Generationswechsel befindet und auf junge, motivierte Führungskräfte angewiesen ist. Für die Meisterprüfung kommen schnell gut 10.000 Euro zusammen, beim dualen Studium übernimmt der Betrieb die Hälfte der monatlichen Kosten von 390 Euro.

Auf diese Weise wurden schon sechs Angestellte unterstützt. Bewerbern aus dem Elektrobereich, die sich zur Fachkraft für Kältetechnik weiterbilden wollen, zahlt das Unternehmen mit Sitz in der Nähe des Volksparks auch diese Maßnahme. Bei sechs Bewerbern hat die Firma diese Unterstützung bereits geleistet, darunter zwei Flüchtlinge aus Syrien.

„Wir tragen die kompletten Kosten der Kita“

H&S Solutions zahlt seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Kita-Zuschuss. „Wir tragen die kompletten Kosten der Kita“, sagt Mirjam Müller von dem Beratungshaus. „Wir finden es nur fair, dass unseren Mitarbeitern ihr volles Gehalt auch zur Verfügung steht“, begründet die Personalleiterin.

Der Malerbetrieb Franz G. Wiese setzt auf den Ehrgeiz seiner Nachwuchskräfte: Die Firma aus Neugraben-Fischbek belohnt gute schulische Leistungen ihrer Auszubildenden finanziell.

Wohlfühlangebote

Thoughtworks eröffnete 2010 mit dem Hamburger Büro seinen ersten Standort in Deutschland, mittlerweile arbeiten bundesweit mehr als 400 Personen für die Technologieberatung, die 1993 in Chicago gegründet wurde. Die Firma hat während der Pandemie eine umfassende Initiative für mehr Wohlbefinden ins Leben gerufen. Dabei konnten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für unterschiedliche Formate, die sich mit Themen rund um mentale und physische Gesundheit beschäftigen, anmelden oder Kreativ- und Sportkurse sowie Seminare zur persönlichen Weiterentwicklung besuchen.

Auch Livekonzerte und Kochkurse werden angeboten, teils von externen Profis oder von passionierten Beschäftigten. Notwendige Materialien wurden zu den Teilnehmern nach Hause geschickt oder die Kosten konnten abgerechnet werden, berichtet Kathrin Jansing, Marketingmanagerin der Firma mit Sitz in der Neustadt.

Personalmangel: New Work schafft Wohlfühlangebote

Auch beim Betreiber des Businessnetzwerks Xing, der Hamburger New Work, wird der Arbeitsplatz für die Mitarbeiter auf Wunsch zum Wohlfühlplatz. Im neu bezogenen Gebäude in der HafenCity sorgen ein Fitnessstudio, Yogakurse, eine Dachterrasse und sogar eine eingebaute Kiezkneipe für Abwechslung.

Die New Work SE, die auch mit ihrer Arbeitgeber-Bewertungsplattform Kununu viele Einblicke in moderne, attraktive Arbeitswelten hat, gibt selbst regelmäßig Studien zum Thema heraus. Demnach wünschen sich 60 Prozent der Befragten Feelgood-Manager im Unternehmen, die sich um die aktive Gestaltung der Unternehmenskultur kümmern.