Hamburg. Ein Unternehmen aus Hamburg bietet besondere Übernachtungsplätze. Die Corona-Pandemie beflügelt den Camping-Trend.

Marcus Oltmanns war 14 Jahre alt, als er zu seinem ersten Camping-Abenteuer aufgebrochen ist: eine Radtour an die Nordsee zusammen mit ein paar Kumpels aus seinem Heimatdorf. „Wir hatten Zelte dabei und haben bei Bauern gefragt, ob wir auf ihrer Wiese übernachten können. Das hat immer geklappt“, sagt er. So sind sie von der Elbmarsch bis zur Nordsee gekommen. Bis heute, 34 Jahre danach, schwärmt Marcus Oltmanns von dieser Art des Reisens.

„Mein Traumplatz ist in Alleinlage, von Bäumen umgeben, am Wasser oder in den Bergen – irgendwo im Hinterland“, sagt er. Inzwischen ist der Bauernjunge aus Niedersachsen selbst Familienvater und Co-Chef einer Strategie-Agentur in Hamburg.

Und weil die besonderen Übernachtungsplätze für kleine Fluchten ins Freie gar nicht so einfach zu finden sind, hat er gemeinsam mit dem IT-Spezialisten Christian Neubert das Online-Portal Hinterland gegründet. „Wir sind das Airbnb für Camper und Abenteurer“, sagt Oltmanns.

Campen: Übernachtungsplätze für kleine Fluchten ins Freie

Seit 2020 gibt es Hinterland. Über die Plattform lassen sich – wenn touristische Reisen wieder erlaubt sind – Stellplätze für Wohnmobile, Zelte und Caravans auf privaten Grundstücken buchen – als Alternative zu klassischen Campingangeboten. „Die Idee hatten wir schon länger. Corona war der Innovationsbeschleuniger“, sagt der studierte Betriebswirt. Seine Mission beim Start: den Sommer 2020 retten. Viele Auslandsreisen fielen aus.

Ziele in Deutschland waren plötzlich begehrt, Camping- und Wohnmobilplätze oft überfüllt. Innerhalb von wenigen Wochen war die Internetseite hinterland.camp entstanden. Über ein Netzwerk von Familie und Freunden fahndeten Oltmanns und einige Mitstreiter nach Gastgebern mit „Stellplätzen mit Erlebnischarakter“. Beim Bio-Bauern unter Apfelbäumen, am Ufer eines Sees, an einer historischen Wassermühle.

Vier Tage, nachdem die ersten neun Inserate im Juni freigeschaltet waren, kamen die ersten Buchungen. „Die Resonanz war überwältigend. Es ist Zeit für eine neue, nachhaltige Art des Reisens“, schwärmt Oltmanns. Inzwischen sind 250 Plätze an 100 Orten in ganz Deutschland im Angebot – oft inklusive Kontakt zum Gastgeber. „In diesem Jahr wollen wir unser Angebot deutlich ausbauen“, so der Gründer.

Auch dieses Jahr setzt sich der Camping-Trend fort

Der Bedarf ist da. In der vergangenen Saison sind gut 78.000 Wohnmobile neu zugelassen worden, ein Plus von knapp 40 Prozent zum Vorjahr. Insgesamt sind nach Angaben des Caravaning Industrie Verbands 590.000 Reisemobile in Deutschland unterwegs. Es gibt außerdem 700.000 Wohnwagen und 110.000 umgebaute Fahrzeuge, die als Pkw zugelassen aber auch fürs Reisen genutzt werden. Auch dieses Jahr setzt sich der Trend fort.

Marcus Oltmanns und Lesley-Ann Jahn von Hinterland.
Marcus Oltmanns und Lesley-Ann Jahn von Hinterland. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Unbekannt

 Und alle suchen Stellplätze für die schönste Zeit im Jahr. Nach einer Befragung des Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts für Fremdenverkehr an der Universität München (dwif) sind die Kapazitäten für Reisemobil-Stellplätze in den vergangenen drei Jahren zwar um 8,4 Prozent gestiegen – die Zahl der Übernachtungen aber um 19,5 Prozent. „Wir laufen auf einen Engpass in Deutschland zu, vor allem wenn Auslandsziele wegen der Corona-Einschränkungen wegfallen“, sagt Viktoria Groß vom Deutschen Camping Club.

Neue Camper-Generation sucht Individuelles

Es ist nicht nur eine Frage des Platzes. Eine neue Camper-Generation sucht nach individuellen – und legalen – Erlebnissen jenseits von großen Anlagen mit Dauercamper-Wagenburgen, Gartenzwergen und Satellitenschüsseln oder betonierten Stellplätzen. Auf der anderen Seite gibt es zwischen Flensburg und Füssen viele Landwirte, Weinbauern und andere Grundbesitzer, die für ihr Land zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten brauchen.

Während die etablierte Campingbranche noch abwartet, haben junge Gründer längst ein neues Geschäftsmodell gewittert. Motto: Natur teilen. Das Hamburger Start-up Hinterland ist eins von knapp einem Dutzend neuer Online-Vermittler, die in den vergangenen Monaten entstanden sind. Ebenfalls aus Hamburg kommt Pop-up Camps, andere heißen mycabin, stadt-land-bus-camping, vansite oder zeltzuhause. Fast alle stecken noch in den Startphase.

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Pionier in dem Segment ist Landvergnügen, der inzwischen mehr als 1100 landwirtschaftliche Betriebe in ganz Deutschland listet. Das alternative Camping-Konzept, das es in ähnlicher Form auch in anderen europäischen Ländern gibt, war zunächst vor allem darauf ausgerichtet, im ländlichen Raum neue Absatzmärkte zu erschließen.

Die Nachfrage ist enorm

Mit dem Kauf des Stellplatzführers für knapp 35 Euro, ganz analog als Buch oder per App, bekommt man eine Vignette, die zum kostenfreien Aufenthalt auf einem der Mitgliedshöfe für 24 Stunden berechtigt – gern verbunden mit einen Einkauf im Hofladen. Die Nachfrage ist enorm. Im vergangenen Jahr war nur zwei Monate nach dem Verkaufsstart Ende März die komplette Auflage mit 45.000 Exemplaren ausverkauft – und damit auch das Kontingent der Übernachtungsplätze für die Saison.

In die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage ist auch der Hamburger Jobst von Paepcke, Mitinhaber des Eventveranstalters BSP Media, im vergangenen Jahr mit der Stellplatzvermittlung eingestiegen. Während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 waren die Aufträge des Unternehmens, das den Windsurf-Event Red Bull Storm Chase und die Deutsche Meisterschaft im Stand-up-Paddling managt, plötzlich auf Eis gelegt.

„Wir haben überlegt, womit wir Geld verdienen können. So sind wir auf den Urlaubsnotstand gekommen“, sagt der 44 Jahre alte Familienvater, der selbst gerne surft und mit dem Mountainbike unterwegs ist. Im Mai startete er mit einigen Mitstreitern die Plattform Pop-up Camps. Der Plan: ungenutzte Festivalflächen kurzfristig als temporäre Camping-Stellplätze zu vermieten.

Mit 300 bis 400 Plätzen will Pop-up Camps in dieser Saison durchstarten

Bald stellte sich heraus, dass das Modell für die Betreiber wirtschaftlich bei Preisen bis 29 Euro pro Tag und Platz nicht funktionierte. Strom, Wasser, Toiletten und WLAN – das alles wird vorausgesetzt, kostet Geld und muss vor allem gewartet werden. Von der ursprünglichen Idee ist in diesem Jahr nur das Festivalgelände Ferropolis nördlich von Leipzig übrig geblieben, wo ab April 200 Camper in einem ehemaligen Braunkohlerevier Platz finden sollen. Ansonsten setzt die Plattform inzwischen auch auf die Vermittlung von Stellflächen bei privaten Gastgebern. Mit 300 bis 400 Plätzen will Pop-up Camps in dieser Saison durchstarten.

Jobst von Paepcke von der Plattform Pop-up Camps
Jobst von Paepcke von der Plattform Pop-up Camps © Pop-up Camps | Unbekannt

Auch wenn alle neuen Anbieter ein etwas anderes Profil haben, ist das Prinzip ähnlich. Die privaten Gastgeber inserieren ihre Flächen im Grünen mit Foto, Preis, Ausstattung wie Toilette oder Wasseranschluss und Angaben zur Umgebung auf den Plattformen, über die in der Regel gegen eine Provision Buchung und Zahlung erfolgt. Einer von denen, die es wissen wollen, ist der Hamburger Hinterland-Gründer Marcus Oltmanns.

„Wir haben den ganzen Winter mit Hochdruck unsere Seite weiterentwickelt und vollständig automatisiert“, sagt der 48-Jährige, der seine gesamten Altersrücklagen in das Projekt gesteckt hat. Gerade hat er in einer privaten Finanzierungsrunde einen niedrigen sechsstelligen Betrag eingesammelt. Gemeinsam mit seinem Co-Gründer und diversen Freelancern treibt er sein Projekt voran. Inzwischen gibt es die erste feste Mitarbeiterin, die sich um Social Media und Kommunikation kümmert.

Die Bandbreite ist groß

Im Moment läuft noch viel im persönlichen Kontakt über das Büro im Schanzenviertel. Künftig sollen Gastgeber und Camper direkt über die Buchungsplattform kommunizieren. Die Hinterland-Macher sehen sich vor allem „als Kuratoren schöner Plätze und als Plattform-Entwickler, die Reisen ins Hinterland einfach und kompliziert buchbar machen – inklusive sicherer Zahlungsabwicklung und Bewertungssystem“. Als Betreiber des Portals nehme man keinen Einfluss auf Angebote, Preise oder Auswahl der Gäste, sagt Oltmanns, der mit dem Slogan „Verdiene Geld mit Schlaf“ um neue Gastgeber wirbt.

Die Bandbreite ist groß: vom Stellplatz für vier Euro bei einem Bauern in Krummendeich bis 57 Euro für die Übernachtung im Garten eines Ritterguts bei Reutlingen. Gerade im ersten Jahr sei es vielen Gastgebern nicht vorrangig ums Geldverdienen gegangen sondern auch um neue Kontakte, sagt der Gründer. Hinterland verdient über Provisionen. 15 Prozent des Übernachtungspreises geht an die Vermittler, mindestens aber drei Euro. Im Startjahr lagen die Einnahmen im vierstelligen Euro-Bereich. Das soll 2021 deutlich mehr werden.

In der etablieren Camping-Branche werden die neuen Anbieter noch vorsichtig beäugt. „Es erinnert an die Anfangszeit der Campingplätze“, sagt Christian Günther, Geschäftsführer des Bundesverbands der Campingwirtschaft. Auch damals hätten Landwirte die ersten Flächen zur Verfügung gestellt. Grundsätzlich sieht er angesichts des Nachfragebooms ein größeres Stellplatzangebot positiv. „Es muss allerdings ein fairer Wettbewerb herrschen, bei dem sich alle an die Regeln halten“, sagt er. Nicht wenige fühlen sich an frühe Airbnb-Zeiten erinnert.

 Außergewöhnliche Erlebnisse für Outdoor-Enthusiasten

Auch die privaten Gastgeber müssten Brandschutz, Mindestabstände, Abwasser- und Müllentsorgung und die Einhaltung der jeweiligen Campingverordnungen in den Bundesländern berücksichtigen. Auch beim Deutschen Camping Club ist man abwartend. „Es sind neue Wege, aber ob sich die durchsetzen, lässt sich nach der kurzen Zeit noch nicht sagen“, erklärt Viktoria Groß.

Marcus Oltmanns sieht Hinterland gut aufgestellt. „Wir haben uns mit hohem Entwicklungsaufwand und unserer Team-Expertise einen Vorsprung erarbeitet“, sagt er. Inzwischen lassen sich über die Plattform auch Unterkünfte mieten, für die kein Wohnmobil oder Zelt nötig ist – ein Baumhaus im Wendland oder eine umgebaute Schießbude im Frankenwald.

„Wir bieten außergewöhnliche Erlebnisse für Outdoor-Enthusiasten“, sagt er. Jeden Tag kommen ein knappes Dutzend Anfragen, obwohl die Saison noch gar nicht angefangen hat und weiterhin strenge Corona-Beschränkungen fürs Reisen gelten. „Wir hoffen, dass es bald losgeht.“ Es ist ein Abenteuer mit offenem Ausgang.