Hamburg. Die Zahl der Pkw ist in Hamburg seit 2009 um gut elf Prozent gestiegen. Experten sehen neue Fahrdienste kritisch.
Bei seinem jüngsten Börsengang ist der US-amerikanische Fahrdienstleister Uber mit umgerechnet rund 75 Milliarden Euro bewertet worden. Damit ist das Unternehmen weit teurer als etwa Daimler oder Volkswagen. Auf immerhin knapp 20 Milliarden Euro brachte es der Uber-Konkurrent Lyft bei seinem Börsendebüt im April. Beiden Firmen ist gemeinsam, dass sie bisher zwar immense Verluste angehäuft haben, aber dennoch als potenzielle Gewinner des Umbruchs auf dem Mobilitätsmarkt angesehen werden.
In Hamburg sind sie beide noch nicht aktiv. Einen Wandel im Hinblick auf ihre eigene Mobilität dürften sich aber die meisten Menschen in der Hansestadt wünschen: Wer mit dem Auto zur Arbeit fährt, kommt viel zu häufig nur stockend voran, wer nach Feierabend die Metrobuslinie 5 nutzt, steht dicht gedrängt auf kleinstem Raum – und der S-Bahn-Betrieb ist immer wieder gestört oder unterbrochen. „In den Stoßzeiten werden die Kapazitätsgrenzen der Infrastruktur schon heute nicht nur erreicht, sondern überschritten“, sagt Dennis Thering, Verkehrsexperte der CDU-Bürgerschaftsfraktion.
Auch der Senat hat das Problem schon vor Jahren erkannt. In einer Broschüre zu den Zielen seiner Verkehrspolitik von 2017 findet sich folgende „Vision“ für eine unbestimmte Zukunft: „Die Belastung von Umwelt, Gesundheit und Klima durch den Verkehr ist minimal. Hamburg ist Fahrradstadt. Die guten Bedingungen für den Fuß- und Radverkehr sowie das hervorragende ÖPNV-Angebot in Kombination mit innovativen Mobilitätsangeboten haben dazu geführt, dass viele Hamburgerinnen und Hamburger kein eigenes Auto mehr benötigen. Die verbliebenen Autos sowie die gewerblichen und öffentlichen Fuhrparks sind weitestgehend auf Elektromobilität und andere emissionsarme Antriebsarten umgestellt worden.“
Experten loben Leihfahrrad-Konzept
All das ist von der Realität noch sehr weit entfernt. Wohl auch mit Blick auf den Weltkongress zu Intelligenten Transportsystemen (ITS), der 2021 in Hamburg stattfindet, hält der Wirtschafts- und Verkehrssenator Michael Westhagemann (parteilos) Innovationen für „entscheidend, um die Mobilität in Hamburg umweltfreundlicher, leiser und sicherer zu machen.“ Zu diesen Innovationen gehören aus Sicht seiner Behörde die sogenannten „Ride-Sharing“-Anbieter mit ihren Sammeltaxis, die per App gebucht werden können. Erst Mitte April startete die VW-Tochtergesellschaft Moia in Hamburg mit 100 Elektro-Kleinbussen. Schon länger in Hamburg aktiv sind die beiden zur Deutschen Bahn gehörenden Dienste Clever Shuttle mit 50 Fahrzeugen und ioki mit 20 Sammeltaxis (bisher nur in Osdorf und Lurup). Nach Angaben von ioki sitzen im Schnitt 1,74 Personen pro Fahrt im Wagen, in privat genutzten Pkws seien es nur 1,47 Personen.
Sollten sich diese Anbieter etablieren, könnten sie einen Beitrag dazu leisten, „die Unabhängigkeit vom eigenen Pkw zu fördern, die bestehende Straßeninfrastruktur effizienter zu nutzen und die Umwelt zu entlasten“, sagt Susanne Meinecke, Sprecherin der Behörde für Wirtschaft und Verkehr. Allerdings müssten die Dienste zukünftig zeigen, „dass die Einsparungen höher sind als zusätzliche Fahrkilometer durch Leerfahrten.“ Viele Fachleute sind von dem Konzept nicht überzeugt. Verkehrspolitisch betrachtet könnten solche digital gebuchten Sammeltaxis „nicht die Zukunft sein“, sagt Tilman Bracher, Bereichsleiter Mobilität am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin: „Über den größten Teil des Tages gesehen führen sie nicht dazu, dass weniger Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind.“
Zu einem ähnlichen Urteil kommt David Ennen vom Institut für Verkehrswissenschaft an der Uni Münster, der die Nutzung solcher Dienste untersucht hat: „Sie führen zu insgesamt mehr Verkehr auf der Straße.“ Denn nach den Erkenntnissen von Ennen nutzen drei Viertel der Kunden die Sammeltaxis für Wege, die sie sonst mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt hätten. Nur ein Viertel der Fahrgäste sparte damit Fahrten mit dem Privat-Pkw ein. Hinzu komme, wie Bracher anmerkt: „Erfahrungen in den USA und in London haben gezeigt, dass diese Fahrdienste dort tätig werden, wo sie am leichtesten Kunden finden – also in zentralen Stadtvierteln, die aber auch gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln versorgt sind.“
Außenbezirke werden nicht abgedeckt
Ebenfalls mit dem erklärten Ziel, Privatautos zu ersetzen, waren Car-Sharing-Firmen wie car2go, DriveNow, Cambio, Oply und Sixt share angetreten. Zusammen sind sie inzwischen mit rund 2000 Autos in Hamburg aktiv. Auch diese Firmen decken aber gerade die Außenviertel der Stadt, wo das ÖPNV-Angebot geringer ist, nicht gut ab, wie die Verbraucherzentrale kritisiert. Wie bei den Sammeltaxis ist der verkehrspolitische Nutzen dieser neuen Form der Mietwagen keineswegs eindeutig. „Stationäre Car-Sharing-Angebote haben den Effekt, per saldo Privatautos überflüssig zu machen“, sagt Bracher. Dagegen würden die besonders stark wachsenden Dienste ohne festen Standort „offenbar häufig von Menschen genutzt, die weiter ein eigenes Auto besitzen“, so der Experte. „Außerdem belegen die Fahrzeuge solcher Dienste noch Parkplätze, die in Städten ohnehin knapp sind.“
Einer Studie des Infas-Instituts im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums mit Daten aus dem Jahr 2017 zufolge sind pro Tag 87 Prozent der Hamburger in der Stadt unterwegs, wofür sie im Schnitt 93 Minuten benötigen. Seit der ersten Untersuchung im Jahr 2002 hat sich der Anteil der mit Privat-Pkws zurückgelegten Wege von 47 Prozent auf 36 Prozent verringert. Klarer „Gewinner“ ist das Fahrrad, das seinen Wegeanteil von neun Prozent auf 15 Prozent steigern konnte. Dabei dürfte auch die Einführung des App-gestützten Leihfahrrad-Angebots der Bahn (StadtRAD) im Jahr 2009 eine Rolle gespielt haben. Heute stehen in Hamburg mehr als 2500 der roten Räder an 214 Stationen zur Verfügung. Mehr als drei Millionen Fahrten wurden damit 2018 unternommen. „Beim Bike-Sharing hat die Stadt Hamburg gute Voraussetzungen geschaffen“, sagt Bracher. „In anderen Städten, wo mehrere Anbieter an den Stadt gegangen sind, hat das nicht so gut funktioniert.“
Nur Minderheit verwendet Car- und Radsharing
StadtRAD ist neben car2go, DriveNow, cambio und dem HVV auch in die Mobilitäts-App switchh der Hamburger Hochbahn eingebunden, über die sich Angebote der Partner buchen und Preisvorteile nutzen lassen. Sie soll nach Angaben der Hochbahn für einen „sparsamen Umgang mit Ressourcen“ sorgen. Allerdings hat sie lediglich rund 2500 angemeldete Nutzer. Ohnehin verwendet nach Erkenntnissen von Experten nur eine Minderheit der Bürger solche App-basierten Formen der bedarfsgerechten Mobilität; mehr als 95 Prozent der Deutschen hätten noch nie ein Mietrad oder ein Car-Sharing-Auto genutzt, heißt es.
Trotz aller Alternativen hat der Pkw-Bestand in Hamburg stetig zugenommen – seit 2009 um gut 83.000 auf 794.000 Autos. Zwar ist, wie überall in Deutschland, die Verbreitung von Fahrzeugen mit Elektroantrieb noch äußerst gering. Immerhin kann Hamburg aber mit dem bundesweit höchsten E-Auto-Anteil glänzen: Er liegt bei knapp 0,3 Prozent. Auch bei der Zahl der öffentlich zugänglichen Ladepunkte hat Hamburg im deutschlandweiten Vergleich der Metropolen die Nase vorn. „Aber dennoch ist E-Mobilität in Hamburg noch nicht wirklich angekommen“, sagt Thering.
Damit auch Einwohner in Stadtteilen wie etwa Eimsbüttel, in denen Einzel- oder Tiefgaragen selten sind, besseren Zugang zu Ladepunkten erhalten, fordert er die Wiedereinführung der Stellplatzpflicht für Immobilieninvestoren. Diese müssten dann auch für die Installation von Ladesäulen für die jeweiligen Bewohner sorgen, zudem sollen nach den Vorstellungen von Thering Straßenlaternen zu Ladepunkten gemacht werden. Die Wirtschafts- und Verkehrsbehörde setzt hingegen auf ein Förderprogramm des Bundes. Im Rahmen des Programms „Elbe“ will man bis zum Herbst 2022 in bis zu zwei „hoch- verdichteten urbanen Wohnquartieren“ Ladestationen im öffentlich zugänglichen Raum einrichten, die aber nur den Anwohnern zur Verfügung stehen.
Während der Ausbau der Elektromobilität einhellig begrüßt wird, scheiden sich am autonomen Fahren die Geister. Derzeit sind in der Hamburger City fünf Autos von VW im Testbetrieb unterwegs, bis zu drei Kleinbusse der Hochbahn sollen in der HafenCity den autonomen Betrieb erproben. Langfristig biete das automatisierte Fahren die Chance, die Verkehrseffizienz zu erhöhen, sagt Meinecke. Sie nennt das Beispiel der Ampel: „Alle Fahrzeuge könnten gleichzeitig losfahren, wenn Grün ist. Bereits wenn ein kleiner Teil der Fahrzeuge vernetzt ist, wird der Verkehr flüssiger.“ Auf der anderen Seite kommt unter anderem die Technische Uni Wien in einer Studie zu dem Ergebnis, dass selbstfahrende Autos wohl zu einer weiteren Zunahme des Straßenverkehrs führen, schon weil sich künftig auch Kinder oder andere Personen ohne Führerschein im Pkw fortbewegen könnten.
SPD will kein 365-Euro-Jahresticket für HVV
Auch wenn weniger umweltschädliche Verkehrsmittel wie das Fahrrad in Hamburg heute stärker genutzt werden, wird noch immer der größte Anteil der täglichen Wege mit dem Privatauto zurückgelegt. „Allerdings haben nur die öffentlichen Verkehrsangebote das Potenzial, die großen Verkehrs- und Mobilitätsprobleme wirklich zu lösen“, heißt es von der Hamburger CDU. „Aber gerade beim ÖPNV verschläft der Senat wichtige Entwicklungen“, sagt Thering und verweist auf die nach seiner Auffassung dringend benötigten Projekte U 5 und S 4. Während sich die Hamburger SPD gerade gegen die Einführung eines 365-Euro-HVV-Jahrestickets für alle entschieden hat, fordert Thering ein solches Angebot für Schüler, Auszubildende und Senioren sowie versuchsweise auch für Bürger, die ihr eigenes Auto zugunsten öffentlicher Verkehrsmittel abmelden. Unabdingbar sei natürlich eine Kapazitätssteigerung des HVV: „Gelenk- und Doppelgelenkbusse müssen zum Standard werden.“
In den neuen Leih-E-Rollern sieht Thering ebenso wie die Wirtschaftsbehörde eine sinnvolle Ergänzung von Bussen und Bahnen für die „letzte Meile“ von der Haltestelle bis zum Ziel. „Es wird erwartet, dass sie die Unabhängigkeit vom eigenen Auto weiter fördern und den innerstädtischen Verkehr entlasten“, so Meinecke. Bracher ist anderer Meinung: „Ich glaube nicht, dass E-Roller in nennenswertem Umfang Fahrten mit dem Privatauto ersetzen.“ Zudem müsse man dafür sorgen, „dass sie dann nicht ungenutzt auf Gehsteigen herumliegen, wie das bei Leihfahrrädern in anderen Städten leider zu beobachten ist.“
Thering will für den innerstädtischen Verkehr künftig aber nicht nur die Straße und die Schiene nutzen. So fordert seine Partei ein „Pilotprojekt zur Wiederbelebung des Linienbetriebs auf der Alster“. Die Stadt solle darüber hinaus sogar „auf festgelegten Routen den Einsatz von Flugtaxis erproben.“