Hamburg. Branchenverband sieht keinen Bedarf für geplante Pier Süd in Fuhlsbüttel und lehnt deutliche Erhöhung der Gebühren ab.
Es ist ein Rieseninvestitionsvorhaben: Mehr als 500 Millionen Euro will der Hamburger Flughafen in den nächsten Jahren ausgeben, um für zukünftiges Wachstum gewappnet zu sein. Auf dem Vorfeld soll ein drittes Terminal errichtet werden, zu dem die Passagiere mit alle paar Minuten fahrenden Bussen befördert werden. Auf dem Gelände des alten, abgerissenen Frachthofs ist an der Pier Süd der Bau von sechs neuen Gates geplant – doch dieses Infrastrukturprojekt stößt nun auf Ablehnung.
„Die Fluggesellschaften sehen für die Dauer der nächsten fünf Jahre keinen Bedarf für den Bau der Pier Süd“, sagte Ralf Teckentrup dem Abendblatt. Der 61-Jährige ist Chef der Fluglinie Condor und Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften (BDF) und sagt: „Der Flughafen Hamburg baut zu viel Infrastruktur auf. Das kostet viel Geld, das wir über eine Erhöhung der Entgelte bezahlen müssen – und in einer Zeit, in der wir diese Kapazitäten noch gar nicht brauchen.“
34 Gates gibt es in Fuhlsbüttel derzeit. Die Situation dort sei durchaus noch entspannt, sagt Teckentrup: „Richtig voll ist es nur morgens zwischen 8 und 9 Uhr, aber das ist dann auch gut so. Der Airport hat auch heute noch Reserven für Wachstum.“ Durch das neue Terminal auf dem Vorfeld, das Ende des nächsten Jahres in Betrieb gehen soll, sollen 14 weitere Gates hinzukommen. Zusammen mit Pier Süd wären es dann 54 Flugsteige, die voraussichtlich Mitte der 2020er zur Verfügung stünden.
Wie lange bleibt das Interims-Terminal stehen?
Teilt man die 2017 erreichte Passagierzahl von 17,6 Millionen Euro, kommt man zu dem Ergebnis, dass an jedem Gate etwa 500.000 Passagiere pro Jahr abgefertigt werden. Bei 54 Flugsteigen wären also 27 Millionen Passagiere möglich. Mit einer ähnlichen Größenordnung rechnet der Flughafen. „Wir planen auf der Basis eines Verkehrswachstums um 2,25 Prozent pro Jahr. Diese Prognose ist unstrittig“, sagt Flughafen-Sprecherin Stefanie Harder, ohne eine absolute Passagierzahl zu nennen. Rechnet man die Entwicklung hoch, kommt man auf 26 Millionen Passagiere im Jahr 2035.
Allerdings: Bliebe der Zeitplan bestehen, wäre die Infrastruktur dafür schon rund zehn Jahre vorher fertig. Und: Die Airlines sind der Meinung, dass der Flughafen den Bedarf an Gates viel zu hoch ansetzt, mit zu hoher Nutzungszeit rechnet und einen zu hohen Puffer einplant. Bei 54 Flugsteigen könnten nach Rechnung der Fluggesellschaften rund 30 Millionen Passagiere abgefertigt werden. Harder bestätigt diesen Konflikt: „Es stimmt, dass die Airlines der Auffassung sind, wir würden den Bedarf an Gates für die Zukunft zu hoch ansetzen. Das liegt aber daran, dass sie ohne jeden Puffer in der Nutzung der Gates kalkulieren.“
Entscheidend für die zukünftige Kapazität ist das dritte Terminal. Bei den avisierten 14 Gates könnten rund sieben Millionen Passagiere ab Ende 2019 dort abgefertigt werden. Die entscheidende Frage ist: Wie lange wird das Terminal – das nach Darstellung von Harder an der Stelle heute schon genutzter Flugzeugpositionen auf dem Vorfeld gebaut wird – stehen bleiben? Zunächst war immer von einem „Interimsgebäude“ die Rede. Auf die schriftliche Kleine Anfrage des FDP-Fraktionsvorsitzenden Michael Kruse hieß es im Oktober, die Nutzung sei zunächst für 15 Jahre vorgesehen.
Verteuerung um 10,5 Prozent
Das habe mit einer Interimslösung nichts mehr zu tun, monierten Politiker und die Bürgerinitiativen für Fluglärmschutz (das Abendblatt berichtete). Harder sagt nun: „Die vom Senat genannte Nutzungsdauer von 15 Jahren bezieht sich auf den Abschreibungszeitraum, nicht auf die tatsächlich geplante Nutzung. Voraussichtlich werden die Shuttlegates für einen kürzeren Zeitraum als 15 Jahre in Betrieb sein.“ Das Gebäude werde nur so lange benötigt, wie die Bauarbeiten für den Ausbau der Pier Süd dauern. Aber reißt der Flughafen dann das Interimsgebäude – immerhin eine rund 30 Millionen Euro schwere Investition – wirklich wieder ab? Daran zweifeln neben Politikern auch Insider der Luftfahrtbranche, die allerdings nicht genannt werden wollen.
Seit Monaten ringen Vertreter des Flughafens und der Airlines nun um eine Einigung auf eine sogenannte Entgeltrahmenvereinbarung. In diesem Jahr trafen sich beide Parteien rund 20-mal. Über die Gebühren bezahlen die Airlines die Infrastruktur. „Der Flughafen finanziert sich über die Entgelte der Nutzer, also der Fluggesellschaften“, sagt Harder. Von 2000 bis 2014 schlossen Flughafen und Airlines drei Fünfjahresverträge in Folge. Nachdem sich beide Seiten aber 2015 nicht auf einen neuen Vertrag einigen konnten, wurde nun versucht, für die Periode 2019 bis 2023 einen neuen Rahmen zu finden. Bisher ohne Erfolg.
Der Airport wolle die Gebühren in der Fünfjahresperiode für diesen Zeitraum um bis zu 15 Prozent erhöhen, heißt es von Sitzungsteilnehmern. Das sei nach der Verteuerung um 10,5 Prozent im Sommer 2017 viel zu hoch. So eine hohe Erhöhung habe es seit drei bis vier Jahrzehnten nicht in Deutschland gegeben, sagt Teckentrup: „Wir liegen mit dem Flughafen bei der geplanten Gebührenordnung für die nächsten fünf Jahre um 50 Millionen Euro auseinander.“ Man sei mit den Fluggesellschaften „nicht einer Meinung“, bestätigt Harder. Aber man befinde sich noch mitten in den Gesprächen. Konkret gehe es um 55 Cent pro abfliegendem Passagier mehr, sagt Harder: „Wir investieren bedarfsgerecht, Schritt für Schritt für den Komfort unserer Fluggäste.“
Ticketpreise würden steigen
Allein der Ausbau der Pier Süd soll rund 160 Millionen Euro kosten. Im Jahr 2020 will der Flughafen mit dem Bau beginnen. Das sei viel zu früh, sagt Teckentrup: „Wenn der Flughafen die Marke von 22 Millionen Passagieren erreicht, kann man über den Start des Ausbaus reden.“ Die Fluggesellschaften votieren also für einen Ausbau, der erst beginnt, wenn der Bedarf dafür absehbar ist. Laut BDF und den Airlines drohen die Gespräche zu platzen, weil die Fronten verhärtet sind. Ihre Vertreter haben einen Brief an die Aufsichtsratsmitglieder des Flughafens geschrieben, um weitere Gesprächsbereitschaft zu signalisieren – und Teckentrup baut schon vor für den Fall, dass dies nichts nützt: „Wir bieten dem Flughafen eine Mediation an.“
Doch was passiert, wenn es am Ende nicht zu einer Vereinbarung kommt? Grundsätzlich könnten Flughäfen eine Entgeltrahmenverordnung festlegen und sich von ihren Aufsichtsbehörden genehmigen lassen, sagt der Condor-Chef. Den Airlines bliebe dann nur, die Gebühren nicht zu bezahlen.
Teckentrup kann sich vorstellen, dass nicht alle Kunden eine kräftige Erhöhung hinnehmen würden. Insider halten ein Plus von fünf Prozent für akzeptabel. Bei einem kräftigeren Plus könnten sich Auswirkungen auf das Flugangebot ergeben, sagt Teckentrup: „In Einzelfällen könnten Airlines Flugzeuge aus Hamburg abziehen. Ich vermute aber eher, dass einige Airlines den Flugplan um einige Prozentpunkte ausdünnen.“ Sollte das eintreffen, hat das nach den Worten des BDF-Präsidenten auch spürbare Auswirkungen auf die Passagiere: „Das Angebot würde verknappt, die Ticketpreise steigen.“