Hamburg. Immer mehr Deutsche wollen sich nicht mehr mit Besitz belasten. Wie die Ökonomie des Teilens unsere Gesellschaft verändert.
Das schillernde Paillettenkleid ist ausgesprochen beliebt. „Das ist fast immer ausgeliehen“, sagt Thekla Wilkening, während sie durch die Zentrale der Hamburger Firma Kleiderei führt. Hunderte Blusen, Pullover und Röcke von jungen Designern hängen im sechsten Stock eines unscheinbaren Hochhauses an den Elbbrücken und warten darauf, an Kundinnen in ganz Deutschland verschickt zu werden.
Vor gut vier Jahren hatten die beiden Studentinnen Pola Fendel, 27, und Thekla Wilkening, 29, die Idee, modebewussten Frauen einen quasi unendlichen Kleiderschrank anzubieten. Für 34 Euro im Monat bekommen die Kundinnen des Hamburger Start-ups nun im Wechsel vier Designer- oder Vintage-Stücke zugeschickt. Speziell auf ihre Wünsche abgestimmt und mit handgeschriebenen Stylingtipps versehen.
Das Unternehmen hat mittlerweile mehr als 1000 Abonnentinnen
„Mit dem Kleidertausch setzen wir der nicht gerade nachhaltig und fair ausgerichteten Modeindustrie ein anderes, umweltbewussteres Modell entgegen“, sagt Pola Fendel. Das Konzept scheint aufzugehen. Mehr als 1000 Abonnentinnen hat das Unternehmen mittlerweile, die sich über das Internet ihre Lieblingsstücke zum Leihen aussuchen.
Gerade haben die Gründerinnen auch einen Laden auf Zeit an der Kampstraße im Schanzenviertel eröffnet, wo die Kundinnen die Blusen und Mäntel direkt anprobieren können. Erstmals bieten die Unternehmerinnen dort auch Männermode zum Leihen an, unter anderem von dem Luxuslabel Herr von Eden.
Die ersten Firmen wollen das Teilen von Taxifahrten ermöglichen
Die Kleiderei will in der Modebranche das etablieren, was in anderen Wirtschaftsbereichen längst verbreitet ist. Carsharing kennt mittlerweile jeder, gerade sind in Hamburg die ersten Unternehmen dabei, sogar das Teilen von Taxifahrten über eine Smartphone-App zu ermöglichen. Es gibt Firmen wie Shelfsailor, die das Vermieten von privaten Dachböden als Lagerstätten organisieren. Plattformen wie Airbnb machen mit der Vermittlung privater Wohnungen als Übernachtungsmöglichkeiten der Hotelbranche Konkurrenz.
Am weitesten fortgeschritten ist die Shareconomy – also die Ökonomie des Teilens – dort, wo sich physische Güter komplett durch digitale ersetzen lassen. Filmanbieter wie Netflix oder Maxdome treten zunehmend an die Stelle der alten DVD-Sammlungen. Und das Streaming von Musiktiteln macht mittlerweile rund ein Viertel des Jahresumsatzes im deutschen Markt aus. Allein an Heiligabend 2016 ließen sich die Bundesbürger mit 160 Millionen gestreamten Songs berieseln – ein neuer Allzeitrekord, meldete die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) und befand, Streaming sei mittlerweile in der breiten Masse angekommen.
Auch der Media Markt bietet online Produkte zum Mieten an
„Die Nutzung von Gütern ist für viele Konsumenten interessanter als deren Besitz“, sagt der Trendforscher Peter Wippermann. Viele wollten sich mit physischen Dingen einfach nicht mehr belasten. Ursprünglich mal als sozialromantische Idee des Teilens gestartet, habe sich die Shareconomy heute zum bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt. „Diese Entwicklung steht noch immer am Anfang“, glaubt er.
Für diese These spricht, dass nun auch die eher traditionellen Handelskonzerne das Thema für sich entdecken. Seit Freitag bietet die Elektronikhandelskette Media Markt in ihrem Onlineshop fast 500 Produkte zum Mieten an – von der Virtual Reality-Brille für 69,90 Euro im Monat über einen Bodenwischroboter für 24,90 Euro bis zur Apple Watch.
„Die Einkaufsgewohnheiten verändern sich“, sagt der zuständige Manager der Holding Media-Saturn, Lennart Wehrmeier. „Die Konsumenten wollen mehr Flexibilität, mehr Entscheidungsmöglichkeiten.“ Die Zeit sei reif, das Mieten von besonders begehrten und innovativen Elektronikartikeln zu testen. Dabei zielt die Kette auf technikaffine Kunden, die stets die neuesten Smartphones haben wollen oder die eine Drohne oder eine professionelle Filmkamera einmal für kurze Zeit ausprobieren möchten.
Mindestlaufzeit für die Miete ist ein Monat, danach können die Geräte jederzeit zurückgegeben werden. Kunden sollen aber auch auf Wunsch Optionen für einen Kauf angeboten werden. Media Markt kooperiert bei dem neuen Service mit dem Berliner Start-up Grover, das bereits seit zwei Jahren auf dem Gebiet von Mietkauf-Angeboten für Technik-Geräte tätig ist. Mittelfristig ist eine Ausweitung des Miet-Services auf die stationären Märkte denkbar.
Ende vergangenen Jahres ist auch der Otto-Konzern ins Mietgeschäft eingestiegen. Über Ottonow.de bieten die Hamburger Fotokameras und sogar so sperrige Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen oder Kühlschränke an. Der monatliche Mietpreis deckt dabei einen Rundumservice ab – inklusive Lieferung, Aufbau und Anschluss. Aus der Sicht von Otto hat die Idee, Dinge lediglich auf Zeit zu besitzen, ein neues Level in Deutschland erreicht. Nach einer ausführlichen Marktanalyse hat sich der Onlinekonzern für die Bereiche Technik, Haushalt und Sport entschieden, um die wirtschaftliche Tragfähigkeit des neuen Modells zu testen.
Zu Jahresbeginn mieten viele Kunden Sportgeräte
„Die bisherigen Zahlen liegen über unseren Erwartungen“, sagt Unternehmenssprecher Frank Surholt dem Abendblatt. Besonders gern werden nach seinen Worten Kaffeevollautomaten ausgeliehen, obwohl diese mit einer Gebühr von bis zu 50 Euro im Monat vergleichsweise teuer sind. „Seit Jahresbeginn werden auch verstärkt Laufbänder und andere Sportgeräte geordert“, sagt Surholt. „Da zeigen sich offenbar die guten Vorsätze für 2017.“ Einen Cross-Trainer oder ein Ergometer erst einmal zu mieten, ist vielleicht nicht die schlechteste Idee: Wer nach drei Monaten die Lust am neuen Sportgerät verliert, kann dieses einfach wieder zurückschicken.
Tatsächlich haben sich große Versender wie Otto, Amazon oder Zalando ohnehin schon seit Jahren zu Verleihern entwickelt – allerdings eher unfreiwillig. Das liegt daran, dass manche Kunden die Onlinehändler als kostenlose Vermieter missbrauchen, indem sie etwa eine über das Wochenende benötigte Kamera oder ein Abendkleid kaufen, dann aber kurz darauf als unpassend wieder zurückschicken. Der kulante Umgang mit Retouren macht dies möglich und ist ins Geschäftsmodell schon eingepreist.
Internethändler sind gut auf das neue Geschäftsmodell vorbereitet
In jedem Fall sind die Internethändler gut auf das Verleihgeschäft vorbereitet, weil sie lange Erfahrung damit haben, zurückgeschickte Waren wieder in einen nahezu neuen Zustand zu versetzen. Bei Otto etwa kümmern sich Tausende Mitarbeiter in Hamburg und Haldensleben darum, die Retouren zu bearbeiten. Sie überprüfen beispielsweise zurückgesandte Smartphones und löschen persönliche Daten, die darauf gespeichert wurden – Tätigkeiten, die nun auch beim erneuten Verleih über Ottonow benötigt werden.
Was im Konzern zahlreiche Angestellte erledigen, machen die Chefinnen der Kleiderei zusammen mit einer Mitarbeiterin und zwei Praktikantinnen noch selbst. In ihrer Zentrale stehen Bügelbretter zwischen den Kleiderstangen, die Waschmaschinen sind ein Stockwerk höher untergebracht. „Die meisten unserer Kundinnen gehen sehr sorgsam mit den Kleidern um und schicken sie ordentlich zusammengefaltet wieder zurück“, sagt Thekla Wilkening. „Es gibt Pullover, die wir schon seit vier Jahren verleihen, empfindlichere Stücke wie Blusen oder T-Shirts gehen natürlich schneller kaputt.“
Langfristig liegt das Eigentum nur noch in wenigen Händen
Das Kreislaufsystem funktioniert bei der Kleiderei deshalb so gut, weil sich die Kundinnen als Teil einer Gemeinschaft fühlen. Viele von ihnen stellen dem Unternehmen auch ihre eigenen, abgelegten Lieblingsstücke zur Verfügung und unterstützen die Idee des Teilens ideell.
Von solch sozialromantischen Vorstellungen sind die Konzerne, die die Share-Economy vorantreiben, freilich weit entfernt. Auf der großen Ebene führt das immer verbreiterte Leihen von Konsumgütern eher dazu, dass es zu einer Polarisierung von Anbietern auf der einen und abhängigen Nutzern auf der anderen Seite kommt. Am Ende könnte sich das Eigentum in der Hand weniger konzentrieren.
„Mieten statt kaufen ist so verführerisch, weil sich dadurch unsere Möglichkeiten erst einmal unendlich erweitern“, sagt Trendforscher Wippermann. Millionen von Musiktiteln stehen auf einen Schlag bereit oder eine riesige Auswahl an Filmen. „Doch wenn das Abonnement bei einem Anbieter endet, dann haben die Kunden nichts.“
Die große Macht von Plattformen wie Spotify ist auch für die Produzenten problematisch. Wird ein Album gestreamt, dann erhalten die Musiker nur einen Bruchteil der Summe, die sie beim Verkauf einer CD bekommen würden. Die Erlöse sind so gering, dass viele mittlerweile freiwillig darauf verzichten, auf den Streamingplattformen vertreten zu sein.
Kleine Anbieter haben wahrscheinlich langfristig das Nachsehen
Wie in anderen ökonomischen Bereichen auch dürfte das Verleihgeschäft am Ende von einer Reihe großer Anbieter dominiert werden. Die Konsolidierung hat jedenfalls schon begonnen. So musste das Hamburger Start-up Life-thek den Geschäftsbetrieb Ende vergangenen Jahres einstellen. Kindersitze, Werkzeuge und große Gartengeräte hatte Gründer Dirk Feldmann zum Leihen angeboten. Doch der Löwenanteil dieses Geschäfts läuft heute über große Baumarktketten wie Obi oder Bauhaus. „Wir haben es leider nie geschafft, in die Gewinnzone zu kommen“, räumt Feldmann ein. In der Spitze wurden jährlich etwa 5000 Artikel geordert – zu wenig, um die Kosten für das Unternehmen zu decken.