Hamburg. Nivea-Hersteller Beiersdorf reagiert auf den Klimawandel und die veränderte Nachfrage der Kunden. Die Ziele sind ehrgeizig.

Flaschen in unterschiedlichen Größen, Tuben, Tiegeln. Wenn Jürgen Rechlitz über Verpackungen spricht, ist er in seinem Element. Seit fast 20 Jahren entwickelt der Ingenieur bei Beiersdorf immer wieder neue Ideen, um Produkte von Nivea & Co. zu den Kunden zu bringen.

„Früher“, sagt der 53-Jährige, „stand dabei die Marke im Vordergrund. Es ging um Themen wie Qualität und Sicherheit, Aussehen und Stabilität.“ Ob eine Plastikflasche ein paar Gramm mehr oder weniger wog, spielte dabei kaum eine Rolle. Das hat sich inzwischen grundlegend geändert.

Jetzt gilt: Weniger Verpackung ist mehr. Rechlitz nimmt eine der Plastikflaschen in die Hand, die er auf einem Tisch in der Konzernzen­trale in Eimsbüttel aufgebaut hat. Auch ohne Fachkenntnisse sieht man: Sie ist leichter, das Material dünner, von einer anderen Struktur – und ein Beispiel dafür, wo der größte deutsche Hautpflegekonzern in Sachen Nachhaltigkeit hin will. „Es ist uns gelungen, eine Verpackung mit 50 Prozent weniger Plastik zu entwickeln“, sagt Rechlitz. „Das ist technologisch ein großer Erfolg.“

Beiersdorf: Neue Strategie setzt auf Nachhaltigkeit

Rechlitz gehört zu einem Projektteam in der Beiersdorf Verpackungsentwicklung, das neue Herstellungskonzepte für Kunststoffflaschen entwickelt. Konkret ging es zunächst um die neue Produktlinie Nivea Natural Balance. Drei Jahre hat es gedauert, bis die Experten aus der Idee eine Verpackung gemacht hatten, die alle Anforderungen von der Abfüllbarkeit über die Transportstabilität bis zur Optik im Regal erfüllt.

Der besondere Kniff: Die Flasche ist nicht nur deutlich sparsamer beim Materialeinsatz, sie hat außerdem einen Knick im Boden. „Dadurch lässt sie sich aufrollen, und man bekommt so auch die Reste besser heraus“, sagt Rechlitz. Inzwischen steht der neue Verpackungstyp im Handel in den Regalen. „Jetzt muss man sehen, wie Kundinnen und Kunden es annehmen.“ Dann, so der Plan, könnten die Knick-Flaschen auch für andere Produkte eingesetzt werden.

Beiersdorf kann auch grün

Es ist eins von vielen Projekten, die zeigen sollen: Beiersdorf kann auch grün. Lange gehörte Nachhaltigkeit nicht zu den Topthemen des Konzerns. Später als andere in der Branche hatte der Nivea-Hersteller auf die steigende Bedeutung von Umwelt-und Klimaschutz reagiert. Erst 2019 rückte der vorherige Vorstandschef Stefan de Loecker bei seinem Amtsantritt mit der neuen Unternehmensstrategie Care+ auch eine eigene Nachhaltigkeitsagenda in den Fokus. Seitdem ist einiges in Gang gekommen am Firmensitz in Eimsbüttel.

Sein Nachfolger Vincent Warnery, seit Mai dieses Jahres im Amt, hat dem Kurs weiteren Schub gegeben. „Nachhaltigkeit ist bei uns in allen Bereichen des Unternehmens wichtiger Bestandteil täglicher Entscheidungsprozesse“, sagt Peer Petersen, der in der Nachhaltigkeitsabteilung bei Beiersdorf für Produktthemen zuständig ist.

Naturkosmetik liegt im Trend

Das Traditionsunternehmen, dessen Erfolgsgeschichte 1911 mit der Erfindung der Nivea-Creme in Eimsbüttel begann und dessen wichtigste Umsatzträger neben der internationalen Kernmarke Nivea die medizinische Hautpflege Eucerin und der Luxusanbieter La Prairie sind, reagiert damit auf einen Bewusstseinswandel, der sich schon länger ankündigt. Immer mehr Menschen interessieren sich dafür, was in den Gels, Cremes, Shampoos oder Deos ist, die sie jeden Tag benutzen, und welche Auswirkungen diese für den eigenen Körper, aber auch auf die Umwelt hat.

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Naturkosmetik liegt im Trend und erreicht inzwischen höhere Wachstumsraten als konventionelle Produkte. Im vergangenen Jahr hatte Beiersdorf sich mit dem Kauf des kleinen Naturkosmetik-Labels Stop the water while using me eine erste Option in dem Marktsegment gesichert. Weitere Zukäufe nicht ausgeschlossen. Auch während der Corona-Krise, die den Hautpflegekonzern massiv unter Druck gesetzt hatte, wurde unter Hochdruck daran gearbeitet, für „grüne“ Akzente zu sorgen.

Dabei kann das börsennotierte Unternehmen für ein wichtiges Ziel vorzeitig Vollzug vermelden. Bis Ende 2021 sollen alle Nivea-Produkte frei von Mi­kroplastik sein. „Das erreichen wir“, sagt Urte Koop aus der Nivea-Produktentwicklung. Bis 2023 sollen die umweltschädlichen, mikroskopisch kleinen Kunststoffteilchen auch aus dem Eucerin-Sortiment verschwunden sein. „Unsere Produkte sollen sicher sein für die Haut, aber auch für die Umwelt“, formuliert Koop die Anforderungen für die nächsten Jahre. Dabei macht der Kosmetikkonzern auch mal kleinere Experimente.

Erstes Naturkosmetik-Produkt unter der Marke Nivea auf dem Markt

Gerade ist erstmals ein zertifiziertes Naturkosmetik-Produkt unter der Marke Nivea auf den Markt gekommen. MagicBar ist eine Gesichtsreinigung, aber ähnlich wie festes Shampoo in Form eines kleinen Seifenstücks. Weitere Neuerungen auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit sind Produktlinien wie Nivea Natural Balance und Natural Fresh. Dabei handelt es sich zwar nicht um Naturkosmetik, aber die Formeln basieren immerhin zu 95 Prozent auf natürlichen Inhaltsstoffen.

Dass Beiersdorf im Monatsrhythmus neue Meilensteine in Sachen Klimaschutz meldet, zeigt, wie wichtig das Thema auch für internationale Unternehmen mit gesicherter Marktposition ist. Das reicht von nachhaltiger Palmölproduktion, dem Einsatz von erneuerbarem Plastik und umweltfreundlicheren Aerosolen bis zur neuerdings klimaneu­tralen Produktion im Berliner Werk.

Auch im gerade umgebauten Nivea-Haus am Hamburger Jungfernstieg hat das Thema jetzt eine eigene Ecke erhalten. Am Stammsitz in Hamburg arbeiten weltweit vernetzte Teams in unterschiedlichen Bereichen, um die Entwicklung voranzutreiben. Dabei ist die Reduktion von Plastikmüll ein weiterer entscheidender Bereich.

Als Vorzeigebeispiel für die Umsetzung gilt intern das Nivea-Duschsortiment in Deutschland. Mit 70 Millionen verkauften Flaschen im Jahr ist Nivea in dem Segment Marktführer. Inzwischen sind alle Frauenduschen, die in transparenten Flaschen verkauft werden, fast komplett aus Altplastik. Das Grundmaterial PET kommt aus der Getränkeindus­trie. „Wir haben es geschafft, das Sortiment ganzheitlich nachhaltig auszurichten – durch den Verzicht auf Mikroplastik, den Einsatz von biologisch abbaubaren Inhaltsstoffen und einem fast 100-prozentigen Anteil an recyceltem Kunststoff in den Verpackungen“, sagt Nivea-Managerin Leonie Zuhorn. „Und das, ohne Abstriche bei der Qualität zu machen.“

Viele Firmen stellen auf recycelten Kunststoff um

Deutlich schwieriger wird es, wenn auch Altplastik aus der Wertstofftonne oder aus dem Gelben Sack eingesetzt werden soll. Noélie Lataste und Julia Rainer gehören zu den Spezialistinnen, wenn es um den Einsatz von recyceltem Kunststoffen, sogenannten Rezyklaten, in Verpackungen geht. Dafür müssen Herstellungsprozesse angepasst, teilweise neu entwickelt werden. „Im Moment ist die Nachfrage auf dem Markt nach hochwertigem Recyclingmaterial größer als das Angebot“, sagt Noélie Lataste. Sehr viele Firmen stellen gerade die Produktion um. Das hat mit den veränderten Verbraucherbedürfnissen zutun, ist aber auch eine Reaktion auf das neue Verpackungsgesetz, das höhere Recyclingquoten verlangt.

Aktuell arbeiten Noélie Lataste und Julia Rainer an der Umstellung des Sortiments von Männer-Duschgels der Marke Nivea Men. „Es ist nicht einfach, das ikonische Nivea-Blau aus recyceltem Plastik hinzubekommen“, nennt Julia Rainer nur einen von vielen Problemen in diesem Prozess, die es zu lösen gilt. Inzwischen können die beiden Verpackungsexpertinnen erste Erfolge vermelden. Acht Duschgels der Linie in Deutschland enthalten bereits recyceltes Plastik aus dem Gelben Sack, europaweit sind es 13. Als Nächstes soll die Umstellung von weiteren Produktgruppen, wie etwa Bodylotions, anlaufen.

Bis 2025 will Beiersdorf weltweit den Einsatz von erdölbasiertem Neuplastik um 50 Prozent reduzieren. Dabei ist für den Konzern die Herausforderung, trotz vieler Veränderungen die bekannten Marken nicht zu sehr zu verändern und die Kunden auf dem Weg mitzunehmen. „Unser Ziel ist, CO2-Emissionen so weit wie möglich zu reduzieren“, sagt Nivea-Managerin Leonie Zuhorn. „Aber wir sind in erster Linie ein Hautpflegeunternehmen und die Konsumenten und Konsumentinnen vertrauen unserem Hautpflegeversprechen. Dieses Vertrauen dürfen wir natürlich auch im Zuge unserer Nachhaltigkeitsanstrengungen nicht enttäuschen.“