Hamburg. 93 Prozent weniger Passagiere verzeichnete der Hamburger Flughafen. Das Abendblatt sprach mit den letzten Reisenden über ihre Gründe.

Die Rolltreppe surrt. Eine Stufe nach der anderen schiebt sich nach oben, schon seit Stunden. Stillstand gibt es für sie nicht, dabei trägt sie nur noch wenige Menschen hoch zur Airport Plaza. Alles um sie herum läuft auf Sparflamme. Waren es vor der Pandemie täglich 48.000 Passagiere, die hoch zur ersten Etage gefahren sind, zählte der Flughafen im Januar nur rund 3400 pro Tag.

Wo sich im Februar 2020 noch Schlangen vor den Check-in-Schaltern gebildet hatten, steht nun ein einziger Passagier. Er checkt ein. Auf der Empore über der Plaza sitzen zwei Männer vor dem Reisemarkt. Die Büros sind wegen der Pandemie geschlossen.

Stark eingeschränkter Betrieb im Hamburger Flughafen

Auf insgesamt vier Etagen bildet sich nur eine einzige kleine Menschentraube: Vor McDonald’s wartet ein Dutzend Menschen auf Burger und Fritten zum Mitnehmen. Die Sitzflächen sind mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. So bringt Covid-19 den Betrieb auf dem Hamburger Flughafen nahezu zum Erliegen.

Auf der Tafel mit den Abflügen sind 21 Flüge gelistet. Mehr heben an diesem Tag nicht ab. In eine der Maschinen wird Henri Niemann (21) einsteigen. Er geht durch die Plaza zum Sicherheitscheck und scannt sein Ticket an der Schranke. Wenige Stunden später ist er auf Teneriffa, geht dort an Bord der „Aidamar“. Doch Urlaub macht er nicht. Niemann ist Nautikstudent und absolviert auf dem Kreuzfahrtschiff sein Praxissemester – wegen Corona ohne Touristen.

Die meisten Menschen schränken Reisen ein

Sie fehlen nicht nur auf der „Aidamar“, sondern auch auf dem Hamburger Flughafen. Denn die meisten folgen der Bitte, zu Hause zu bleiben – oder nach Hause zu fliegen, so wie Karina Nolting (24). Sie hat ihre Eltern in Japan besucht und ist jobbedingt zurückgekommen. In Frankfurt ist sie umgestiegen. Mit ihr an Bord waren 20 bis 30 andere Passagiere, sagt sie.

„Das war ganz schön leer, ganz anders als sonst. Ich hatte eine Reihe für mich. Vor und hinter mir war auch keiner, sondern erst in der übernächsten Reihe.“ Sie schiebt den Gepäckwagen mit drei Koffern und Rucksack durch die Türen im Ankunftsbereich. Dort sitzen ein paar Menschen auf Bänken und warten – auf Freunde, Familie und Geschäftspartner. Nolting schiebt ihr Gepäck in einem Bogen um sie herum, geht zum Ausgang und ist weg.

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Zahl der Passagiere um 93 Prozent eingebrochen

Wer geschäftlich und wer touristisch fliegt, darüber sammelt der Flughafen keine Daten. Nur so viel: Die Zahl der Passagiere ist im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit um 93 Prozent eingebrochen, und statt der gewohnten 400 Starts und Landungen pro Tag waren es im Januar 84, davon 54 im Linien- und Touristikverkehr. Das ist ein Rückgang von 79 Prozent. Diese Einbrüche sind beispiellos in der Geschichte des Flughafens. Nie zuvor ist auch die Nachfrage nach Tickets so massiv gesunken.

Deshalb wurden Flüge gestrichen. „Unser Flugprogramm ist derzeit stark auf ein Rumpfprogramm zusammengeschmolzen“, sagt Flughafensprecherin Katja Bromm. Die Anbieter haben ihre Leistungen deutlich reduziert. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen bewertet die Lage als ex­trem angespannt.

84 Prozent des Personals in Kurzarbeit

Mehrere Betreibergesellschaften kämpfen ums Überleben – mit Folgen für Hamburg: Da nur noch 52 Ziele direkt angeflogen werden, ist Terminal 2 vorübergehend außer Betrieb. 84 Prozent des Personals sind in Kurzarbeit, sind nur ein Drittel der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit beschäftigt.

Zudem wurde der Bau einer neuen, notwendigen Gepäckförderanlage verschoben. Derzeit regiert das Prinzip Hoffnung. Bromm geht davon aus, dass die Zahlen für Privatflüge in der zweiten Jahreshälfte wieder steigen werden. Bei Dienstreisen rechnet sie allerdings mit einer verhalteneren Erholung.

Häusliche Quarantäne bei Rückkehr aus Risikogebieten

Doch manche Aufträge lassen sich nur vor Ort ausführen, daher wird es auch weiterhin Dienstflüge geben, zum Beispiel für Reisende wie Arnaud Zambou (30) und Johanna Volm (18). Die beiden haben einen Zwischenstopp in Frankfurt gemacht. Zambou war zuvor in Vietnam, hat dort für seinen Arbeitgeber eine Maschine aufgestellt.

Volm ist aus Südafrika nach Deutschland geflogen, um ein Jahr lang als Au-pair zu arbeiten und danach in Deutschland Medizin zu studieren. Als sie ihren Koffer durch die Tür im Ankunftsbereich schiebt, wartet dort bereits ihre Tante. Sie nimmt ihre Nichte bei sich auf. Die beiden begrüßen sich, dann gehen sie zum Ausgang. Volm muss sich nun direkt in häusliche Quarantäne begeben, das ist Vorgabe für Reisende aus Risikogebieten.

Bei Aufenthaltsberechtigung greift Einreisestopp nicht

Hinzu kommt, dass Südafrika als Gebiet mit Virusvarianten gelistet ist und Deutschland einen Einreisestopp verhängt hat. Das Au-pair darf trotzdem einreisen, weil es aufenthaltsberechtigt ist. Angst, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, habe sie nicht gehabt. „Da waren so wenige Leute im Flug. Das war kein Problem.“

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Wer fliegt, muss eine medizinische Maske tragen. Kinder unter sieben Jahren oder Personen mit ärztlichem Attest sind von der Pflicht befreit. Der Flughafen hat weitere Maßnahmen veranlasst: Desinfektionsspender sind auf dem Gelände verteilt, Passagiere können ihr Gepäck kontaktlos an einem Automaten aufgeben und sich vor Ort von der Firma Centogene auf das Virus testen lassen.

Zahlen vermutlich frühstens 2025 auf Vor-Krisen-Niveau

Außerdem sind fast alle Geschäfte, Restaurants und Aussichtsterrassen geschlossen. Öffnen dürfen nur eine Reinigung, ein Zeitschriftenladen, der Edeka-Supermarkt, eine Bäckerei, der Imbiss Pier 2 Bar und McDonald’s. Vor der Fast-Food-Kette steht immer noch ein Dutzend Menschen. Ein Mann nimmt eine Papiertüte mit Burgern, geht zur fast menschenleeren Plaza.

Ob sich der Flughafen von der Corona-Tristesse wieder erholen wird? „Ja“, sagt Bromm. Sie geht davon aus, dass sich die Zahlen aber frühestens ab 2025 wieder auf Vor-Krisen-Niveau bewegen werden. Ob dann auch alle Mitarbeiter wieder ihrer Arbeit nachgehen? Ob die Luftfahrt wirklich zu alter Stärke zurückfindet? Darüber streiten Experten noch.