Hamburg. Immer mehr Banken verlangen Gebühren auf das Geldguthaben der Kunden – auch in Hamburg. Experten beantworten die wichtigsten Fragen.
Es sieht aus wie eine Werbebotschaft, was die Hamburger Volksbank an ihre Kunden verschickt hat. Erst am Ende erfährt der Leser, dass es ein neues Preisverzeichnis gibt, das an die Mail angehängt ist. Der Hamburger Bernd L. war beunruhigt. Immerhin war da auch von einem Verwahrentgelt in Höhe von 0,5 Prozent die Rede, also einem Negativzins auf sein Erspartes. Manche nennen es: Strafzins.
Bernd L. erkundigte sich – und erhielt keine genaue Antwort, aber viele Vorschläge, was er mit seinem Geld auf dem Tagesgeldkonto, mehr als 100.000 Euro, machen soll. Die Angebote für den über 80-Jährigen reichten von Gold über ein Schließfach bis zu einer Rentenversicherung und börsengehandelten Indexfonds (ETF). Doch all das wollte L. nicht. Die Bank drohte mit Konto-Kündigung.
Eine Volksbank-Sprecherin sagt: „Wir schlagen Alternativen vor, damit Negativzinsen vermieden werden können. Der Kunde entscheidet, und bislang haben wir immer Vereinbarungen und Lösungen gefunden, die passen.“ Immer mehr Bankkunden in Hamburg machen Erfahrungen wie Bernd L..
Experten beantworten die wichtigsten Fragen über Negativzinsen.
Verlangen wirklich immer mehr Banken Negativzinsen?
Das ist ein klarer Trend. „Allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres haben mehr als 60 Geldhäuser Negativzinsen eingeführt“, sagt Horst Biallo, Chef des gleichnamigen Verbraucherportals. „Geht es in diesem Tempo weiter, dann wird Ende 2021 gut jedes zweite Geldinstitut in Deutschland offiziell ein sogenanntes Verwahrentgelt kassieren.“ Insgesamt werden nach der Analyse des Verbraucherportals aktuell bei 322 Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken Negativzinsen für Privatkunden fällig. Zumeist ist der Strafzins ebenso hoch wie der sogenannte negative Einlagensatz der Europäischen Zentralbank (EZB). Er beträgt derzeit 0,5 Prozent. Sieben Banken setzen das Verwahrentgelt aber höher als die EZB an. In der Spitze beträgt der Negativzins 0,75 Prozent.
Warum gibt es Negativzinsen?
Bereits im Juni 2014 hat die EZB Strafzinsen für Geldhäuser eingeführt, damals in Höhe von minus 0,1 Prozent. Inzwischen liegt der Zinssatz bei minus 0,5 Prozent für Einlagen der Banken, die bei der Zentralbank geparkt werden. Statt Geld zu horten, sollen die Geschäftsbanken das viele billige Geld an Unternehmen und Verbraucher weiterreichen. So sollen Investitionen und Konsum angekurbelt, die Konjunktur angeschoben und der Preisauftrieb verstärkt werden. Doch viele Banken haben wesentlich mehr Einlagen, als sie an Krediten vergeben können oder wollen. Deshalb müssen sie für die überschüssigen Einlagen Strafzinsen entrichten, haben allerdings selbst einen hohen Freibetrag.
Wie ist die Lage in Hamburg?
Von den regionalen Instituten in Hamburg verlangen bis auf die PSD Bank Nord alle Geldhäuser bereits ein Verwahrentgelt, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Freibeträgen (siehe Tabelle), also die Hamburger Sparkasse (Haspa), die Sparkasse Harburg-Buxtehude, die Sparda Bank Hamburg und die Hamburger Volksbank. Den höchsten Freibetrag haben mit derzeit noch 500.000 Euro die beiden Sparkassen, während die Sparda Bank ab 50.000 Euro Negativzinsen berechnet. Die Haspa kündigte am Freitag jedoch an, dass auch sie die Freigrenze für Privatkunden vom 1. Mai an auf 50.000 Euro reduziert. Berechnet wird der Negativzins auf die Summe, die diese Grenze überschreitet. „Allein 2020 sind der Haspa zusätzlich Giro-Einlagen in Höhe von rund 2,8 Milliarden Euro zugeflossen. Wir müssen uns vor einem weiteren unkontrollierbaren Zulauf von Einlagen schützen“, erklärte der stellvertretende Vorstandssprecher Frank Brockmann. „Das ist das Ergebnis der Niedrigzinspolitik der EZB“, betonte er.
Wer ist betroffen?
Es sorgen sich vor allem viele ältere Hamburger Bankkunden um ihr Erspartes. „Sie sind sehr verunsichert“, sagt Sandra Klug von der Verbraucherzentrale Hamburg. Die Verbraucherschützer hatten zum Thema Negativzinsen ein Sorgentelefon eingerichtet. „Die Resonanz hat uns überrascht“, sagt Klug. „Es gibt sehr viele ältere Leute, die mehr als 100.000 Euro in ihrem Leben angespart haben und jetzt von den Banken unter Druck gesetzt werden, das Geld anders anzulegen. Es geht eben nicht nur um vermögende Hamburger.“
Das Problem wird sich in diesem Jahr noch verschärfen, denn 2020 haben die Deutschen besonders viel gespart. „Bereits im ersten Quartal 2020 lag die Sparquote aus Verunsicherung über die Auswirkungen der Pandemie deutlich über der in den Vorjahren. Im zweiten Quartal wurde dann mit mehr als ̈20 Prozent die mit Abstand höchste Sparquote seit der deutschen Wiedervereinigung erreicht“, sagt Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ Bank. Nach Einschätzung von Biallo „gibt es seit einigen Wochen einen sich verstärkenden Trend, dass die Freibeträge bei Negativzinsen deutlich sinken“.
Müssen Kunden die Negativzinsen akzeptieren?
„Es bedarf einer Vereinbarung dazu, in der Regel in Schriftform. Einfach so darf ein Verwahrentgelt nicht von den Bestandskunden erhoben werden“, sagt Finanzexpertin Klug. Eine Änderung des Preisverzeichnisses oder der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) reiche nicht aus. Durch neue AGB könne bei bereits abgeschlossenen Einlagegeschäften nicht nachträglich und einseitig durch die Bank eine Entgeltpflicht für den Kunden eingeführt werden, urteilte das Landgericht Tübingen (4 O 187/17). Allerdings schlossen die Richter für Neuverträge Negativzinsen nicht generell aus. Wenn man – wie von der Hamburger Volksbank ein neues Preisverzeichnis zugeschickt bekomme – sollte man nach Einschätzung von Verbraucherschützerin Klug erst einmal gar nicht reagieren.
Was geschieht, wenn Kunden nicht einwilligen?
Dann können keine Strafzinsen erhoben werden. „Wenn die Bank dennoch ein Verwahrentgelt abbucht, kann man dagegen vorgehen“, sagt Klug. Allerdings können die Banken das Konto dann kündigen – und sie drohen Kunden auch damit. „Ich habe schließlich eingewilligt, weil ich das nicht wollte“, sagt Bernd L. „Die vielen Anrufe der Volksbank, das war zu viel für mich.“ Mit dieser Strategie haben Banken leichtes Spiel. „Sie gehen ein kalkuliertes und überschaubares Risiko ein. Vielen Kunden ist in diesen bewegten Zeiten Sicherheit wichtiger als Rendite“, sagt Max Herbst von der FMH-Finanzberatung. „Und so gibt es nicht wenige, die ihr Erspartes trotz der Strafzahlungen auf dem Tagesgeld- oder Girokonto liegen lassen.“ So wie Bernd L.
Ist eine Kontokündigung rechtmäßig?
Ja. Bei Kontoverträgen sieht das Gesetz lediglich vor, dass eine angemessene Kündigungsfrist von zwei Monaten eingehalten werden muss. Ansonsten sind Privatbanken und Genossenschaftsbanken in ihrer Entscheidung frei, einem Kunden zu kündigen – auch ohne Angaben von Gründen. Etwas anders kann die Lage bei einer Sparkasse sein, denn Sparkassengesetze können Kündigungsrechte einschränken. Auf die Haspa als freie Sparkasse trifft das allerdings nicht zu.
Was passiert dann mit dem Guthaben?
Wenn der Kunde kein alternatives Konto zur Verfügung stellt, wird das Guthaben beim Amtsgericht hinterlegt. „So weit sollte man es nicht kommen lassen“, rät Verbraucherschützerin Klug.
Welche Banken verlangen derzeit keine Negativzinsen?
Dazu gehören nach Angaben von Biallo die Targobank, die HypoVereinsbank und die Sparkasse Holstein sowie die PSD Bank Nord. Doch auch diese Geldhäuser könnten künftig Negativzinsen einführen. Eher unwahrscheinlich ist das bei Banken, die für Spargelder noch überdurchschnittlich hohe Zinsen zahlen. Dazu gehören nach einer Aufstellung der Verbraucherzentrale Hamburg die Deniz Bank, die Hanseatic Bank oder die Santander Bank.
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So bringt Festgeld bei der Deniz Bank für ein oder auch zwei Jahre angelegt derzeit 0,20 Prozent Zinsen. Sparbriefe und Festgelder können nach Abschluss des Vertrags nicht nachträglich mit Negativzinsen belegt werden. Wer über sein Geld immer verfügen möchte, dem bleibt nur ein Tagesgeldkonto. Teilt man das Geld auf mehrere Institute auf, lässt sich ein hoher Betrag unterbringen. Allerdings akzeptieren manche Institute Neukunden, die viel Geld mitbringen, nur unter bestimmten Bedingungen.
Welche Alternativen gibt es noch?
„Zunächst sollte man sich fragen, ob man wirklich 100.000 Euro in sicheren Anlagen immer sofort verfügbar haben muss“, sagt Sandra Klug. Wenn nicht, kommen andere Anlageformen für einen Teil des Geldes in Frage. Oder das klassische Sparbuch. Nach Einschätzung von Verbraucherschützerin Sandra Klug kann ein Sparbuch nicht mit Negativzinsen belegt werden.