Hamburg. Die Pandemie hat die Probleme in der kriselnden Branche nur beschleunigt. Was Hamburgs Friseurbetriebe jetzt fordern.

Es ist erst gut ein Jahr her. Aber wenn Birger Kentzler sich an das vergangene Frühjahr erinnert, ist das wie ein Blick in eine andere Zeit. Nach zehn Wochen in zweiten Corona-Lockdown war der Ansturm riesig. Alle Stühle in dem kleinen Friseursalon in Hamburg waren besetzt, vor der Tür warteten schon die nächsten Kunden, und das Telefon klingelte laufend.

„Wir haben Sonderschichten gemacht und anfangs jeden Tag bis 22.30 Uhr durchgearbeitet“, sagt der Friseurmeister. Natürlich war klar, dass das nicht so bleiben würde. Aber inzwischen zeigt sich, dass die Pandemie die Branche nachhaltig verändert. An diesem Vormittag sitzen bei ihm zwei Frauen vor den großen Spiegeln. Als einzige Friseurin jongliert Kentzlers Ehefrau Heike zwischen den Köpfen hin und her. „Die Situation ist schwierig“, sagt der 52-Jährige, der auch Obermeister der Hamburger Friseurinnung ist.

Corona-Folgen: Weniger Männer beim Friseur

Dabei läuft es für den Traditions­betrieb noch vergleichsweise gut. „Die Kundinnen im Damensalon sind treu“, sagt Birger Kentzler. Sein Urgroßvater hatte den Friseurladen vor mehr als 100 Jahren schräg gegenüber des jetzigen Standorts an der Bahrenfelder Chaussee eröffnet. Er schneidet seit 36 Jahren Haare. Sein Metier sind Männerköpfe.

Dort kürzt er auf die richtige Länge über den Ohren, bringt Locken in Fasson oder sorgt für modischen Chic. „Bei den Herren gibt es einen Einbruch. In der Pandemie haben sich viele einen Corona-Schnitt zugelegt“, sagt der Friseur. Sie trügen die Haare jetzt länger oder stutzen sie mit einer Haarschneidemaschine weiterhin selbst.

Weniger Feste bedeuteten weniger Ausgehfrisuren

Außerdem macht sich bemerkbar, dass im vergangenen Jahr viele Feste und Veranstaltungen ausgefallen sind. Ausgehfrisuren für Hochzeiten, Konfirmationen oder Abi-Bälle, vor Corona ein wichtiger Umsatzbringer, brachten kaum Geld in Kasse. „Insgesamt ist die Zahl der Kundenbesuche um ein Viertel gesunken“, sagt Kentzler.

Konkrete Zahlen zu wirtschaftlichen Einbußen nennt er nicht. „Wir kommen über die Runden.“ Statt wie früher zu fünft, arbeiten jetzt nur noch er, seine Frau und eine Teilzeitkraft im Betrieb. „Die Kunden haben sich in den vergangenen zwei Jahren ein anderes Verhalten angewöhnt, das wird sich so schnell nicht wieder ändern.“ Welche Auswirkungen das Ende der Maskenpflicht für Kunden am vergangenen Wochenende hat? Kentzler will erst einmal abwarten.

Corona-Folgen bedrohen viele Existenzen

„Das Friseurhandwerk hat durch die Pandemie langhaltig wirtschaftliche Folgen zu verkraften, die für viele Betriebe existenzbedrohend sind“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Friseurhandwerks, Jörg Müller. Wochenlange Geschäftsschließungen im Lockdown, Belastungen durch Hygienemaßnahmen und Zutrittsbeschränkungen sowie verändertes Kundenverhalten – im ersten Corona-Jahr 2020 lag das Umsatzminus nach Zahlen des Statistischen Bundesamts bei 11,7 Prozent.

„Im vergangenen Jahr waren es nochmals 5,6 Prozent“, so der Branchenexperte. Betroffen sind vor allem die größeren Filialunternehmen mit hohen Betriebs- und Personalkosten, aber auch Inhaber von kleineren Salons hätten an ihre Reserven gehen müssen. Nach Angaben des Verbands gibt es 80.000 Friseurbetriebe mit 240.000 Beschäftigten in Deutschland. In Hamburg sind in der Handwerksrolle aktuell 1486 Unternehmen eingetragen. Die Zahl ist auch in der Krise relativ konstant geblieben. Mit Insolvenzen rechne er erst in den Folgejahren, sagt Müller. Er erwartet, dass mindestens zehn Prozent der Betriebe verschwinden.

Friseure fordern Mehrwertsteuer von 7 Prozent

Dabei beschleunigt die Corona-Krise die Probleme in der Branche, in der es schon länger kriselt. Einige Friseurunternehmer haben deshalb jetzt eine groß angelegte Aktion ins Leben gerufen. Sie fordern von der Politik eine Senkung der Mehrwertsteuer für Friseurdienstleistungen von aktuell 19 auf sieben Prozent und haben dafür eine Onlinepetition gestartet. Zu den Initiatoren der Kampagne „Friseure brauchen Zukunft! 7% jetzt“ gehört Marc Breckwoldt, Inhaber des Hamburger Unternehmens Ryf mit bundesweit 70 Salons mit 500 Mitarbeitern.

„Wir brauchen dringend eine Entlastung, damit das Friseurhandwerk eine Zukunft hat“, sagt der 51-Jährige, der in den vergangenen zwei Jahren rund 20 Prozent Umsatzverluste verkraften musste und insgesamt acht Salons geschlossen oder zusammengelegt hat. „Die Kosten für Mieten, Energie und durch die Anhebung des Mindestlohns vor allem für Personal steigen massiv. Gleichzeitig sind die Betriebe nach zwei Pandemiejahren extrem geschwächt.“ Seine Sorge: Wenn jetzt die Preise in den Salons deutlich erhöht werden müssten, blieben noch mehr Kunden weg. Ein Teufelskreis.

Kritik: „eklatanten Wettbewerbsverzerrung“

„Die Senkung würde wieder finanzielle Luft für zukunftsgerichtete Investitionen geben und für einen fairen Wettbewerb sorgen“, argumentiert Breckwoldt. Die Branche leide zudem seit Jahren an einer eklatanten Wettbewerbsverzerrung. Kleinstbetriebe (mit einem Umsatz von weniger als 22.500 Euro pro Jahr) sind nämlich von der aktuellen Mehrwertsteuer befreit.

Inzwischen fallen nach seinen Angaben etwa 30.000 Unternehmer unter diese Regelung. „Das führt dazu, dass sie günstigere Preise berechnen können“, sagt der Ryf-Chef. Gerade in einer Zeit, in der viele Menschen eher zurückhaltend Geld ausgeben, habe das massive Auswirkungen für die Unternehmen, die die Steuer zahlten. „Dazu kommt, dass der Schwarzmarkt, der schon vor der Pandemie florierte, weiter zugelegt hat.“ Eine größer werdende Gruppe von Kunden, komme so nicht mehr in die Salons.

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Initiatoren der Kampagne sammeln Unterschriften

Bis Mitte Juni wollen die Initiatoren der Kampagne 50.000 Unterschriften sammeln, um mit ihrer Forderung ein Anhörungsrecht im Petitionsausschuss des Bundestages zu bekommen. Der Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks unterstützt den Vorstoß, auch Industrieunternehmen wie L’oreal, Wella oder Henkel sind im Boot. „Wir wollen aber nicht nur Branchenteilnehmer erreichen, sondern auch Kundinnen und Kunden, die von einer Mehrwertsteuer-senkung profitieren würden“, heißt es.

Die Aussichten für die Initiative sind offen. Vorbild ist die Gastronomie. Bis Ende 2022 gilt dort der ermäßigte Steuersatz von sieben Prozent für Speisen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen, dass der „ermäßigte Umsatzsteuersatz für Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen auch nach diesem Datum unbefristet anwendbar ist“.

Corona-Folgen: Nachwuchs- und Personalmangel

Auch der Obermeister der Hamburger Friseurinnung, Birger Kentzler, befürwortet eine Mehrwertsteuersenkung. „Ich unterstütze alles, was dem Handwerk hilft“, sagt er. Dabei hat er auch die Personalsituation in der Branche im Blick. Schon jetzt bilden nach Angaben des Zentralverbands 80 Prozent der Betriebe nicht mehr aus. In Hamburg war die Zahl der neuen Ausbildungsverträge 2021 von normalerweise etwa 200 auf 70 gesunken.

„Man findet kaum gut ausgebildetes Personal, weil sich viele in der Pandemiezeit aus der Branche verabschiedet haben“, sagt der Friseur. Er ist auch betroffen. Zwei Mitarbeiterinnen habe er in den vergangenen zwei Jahren verloren. Jetzt springt er selbst häufiger im Damenbereich ein. „Glücklicherweise kann ich alles.“ Am Schaufenster seines Salons blinkt eine LED-Tafel „Friseure gesucht“ – bislang ohne Erfolg.