Hamburg. Hamburg streitet über den MSC-Einstieg. Senatoren Melanie Leonhard und Andreas Dressel über ihr Vorgehen und neue Gerüchte.

Seit dem 13. September ist im Hafen nichts mehr, wie es war. Seit Bekanntgabe des Verkaufs der knappen Hälfte der HHLA an die weltgrößte Reederei MSC herrscht Unruhe – und es bilden sich überraschende Allianzen. Den MSC-Deal lehnen Union und Linkspartei ebenso einträchtig ab wie Betriebsräte oder der Investor Klaus-Michael Kühne. Das Abendblatt spricht mit den Senatoren, die den MSC-Deal möglich gemacht haben.

Hamburger Abendblatt: Vor zwei Monaten sind Sie im Rathaus vor die Presse getreten, um den Deal zu verkünden. Mit etwas Abstand - war das wirklich eine gute Idee?

Melanie Leonhard (nickt): Ja.

Andreas Dressel (nickt): Zweimal ja.

Leonhard: Man kann über strategische Ausrichtungen diskutieren oder darüber, wie viele Anteile man verkauft, an wen man verkauft oder ob man ein anderes Verfahren wählt – das bilden die Debatten ab. Aber unumstritten ist, dass wir Handlungsbedarf hatten, um die HHLA zukunftsfähig aufzustellen. Unsere Entscheidung für die Mediterranean Shipping Company als strategischen Partner haben wir sehr genau abgewogen. Dieser Weg führt uns aus einem Dilemma. Vorher fehlte der Stadt als größtem Anteilseigner ein strategisches Gegenüber. Das hat die Zukunftsplanung erschwert.

Dressel: Es ist nachvollziehbar, dass es am Anfang Unruhe gab. Aus Gründen der Kapitalmarktregeln konnten wir die Idee nicht öffentlich auf dem Marktplatz diskutieren. Sonst wäre die HHLA-Aktie zum Ziel von Hedgefonds und Spekulanten geworden. Jetzt nutzen wir die Gelegenheit, alle Fragen der Bürgerschaft, der Beschäftigten, der Gewerkschaften und der Hamburger Wirtschaft fundiert zu beantworten. Manches ist auch noch im Fluss. Je intensiver wir in die Diskussion kommen, umso mehr wächst das Verständnis. Langsam lichtet sich der Nebel.

Sie sprachen vom Marktplatz – aber selbst die HHLA-Vorstandsvorsitzende Angela Titzrath hätte sich gewünscht, vorab informiert zu werden. Warum haben sie das unterlassen?

Leonhard: Auch da gelten börsenrechtliche Regularien. Einige vorab zu informieren, andere jedoch noch nicht einbeziehen zu können – das hätte Menschen in eine schwierige Situation gebracht. Stellen Sie sich vor, dass eine Vorstandsvorsitzende nicht offen mit ihren Kollegen hätte sprechen dürfen. Das wollten wir vermeiden..

Manche haben das als Misstrauensvotum gegen Frau Titzrath gedeutet.

Leonhard: Als Eigentümervertreter haben wir eine Entscheidung für die Weiterentwicklung des Unternehmens getroffen. Uns ging es um ein ordnungsgemäßes Verfahren.

Dressel: In dem Moment, in dem wir sprechen konnten, haben wir die Vereinbarung gemeinsam mit den Gremien der HHLA in sehr intensiven Gesprächen konkretisiert. Das mündete nun in einem positiven Votum von Vorstand und Aufsichtsrat für den MSC-Einstieg. Aber die Gesellschafter waren und sind wir – wir mussten die Entscheidung treffen.

Hat Sie das negative Echo überrascht? Bei der Präsentation des Deals spürte man einen gewissen Stolz – und dann hagelte es Kritik.

Leonhard: Überrascht hat uns das nicht. Es geht um eine grundsätzliche Neuausrichtung der HHLA. Bei einigen Reaktionen war klar, warum das kritisiert wird: Natürlich reagiert beispielsweise ein Wettbewerber überrascht, der ein anderes Konzept hatte, oder ein Marktteilnehmer, der nicht zum Zuge gekommen ist. Und im politischen Spektrum gibt es sehr gegensätzliche Positionen. Zum Teil haben wir innerhalb von wenigen Tagen erlebt, dass Akteure ihre Position ziemlich verändert haben. Einige kritisierten zunächst, zu wenig zu verkaufen und forderten dann, wir sollten es lieber anderen verkaufen.

Dressel: Der Erste Bürgermeister hat es betont: Wir können nicht ewig warten. Unserer Entscheidung sind viele Sondierungen und Verhandlungen vorangegangen, auch was mögliche Kooperationen im norddeutschen Raum betrifft. Diese anderen Varianten sind nicht zum Zuge gekommen, weil sie unsere Mindestbedingungen nicht erfüllen konnten und daher für Hamburg nicht den besten Weg darstellten. Abwarten war die schlechteste Option für den Hamburger Hafen. Wir mussten tätig werden, um in einer schwierigen Gesamtsituation wieder nach vorne zu kommen.

Und das verspricht MSC?

Dressel: Ja. Wir hatten zuvor rote Linien definiert. Die Mehrheit muss bei der Stadt bleiben, die Mitbestimmung gewährleistet sein. Das war in den anderen Konstellationen nicht erreichbar. Wenn man die Chance hat, mit dem Weltmarktführer, der eine beeindruckende Wachstumsstory hingelegt hat, zu einer Verständigung zu kommen, ist das gut. Man kann nicht immer in Sonntagsreden sagen, wir wünschen uns ausländische Direktinvestitionen, und dann absagen, wenn der Weltmarktführer bereit ist, Hamburger Bedingungen zu akzeptieren. Insofern haben wir uns in der Verpflichtung gesehen, nach einer ersten Verständigung die Partnerschaft näher auszuarbeiten.

Leonhard: Uns ging es darum, die HHLA ganz grundsätzlich anders auszurichten als heute. Es wurde deutlich, dass sich das Unternehmen im Weltmarkt anders aufstellen muss. Es ist außerdem offenbar geworden, dass die Konstruktion als börsennotiertes Unternehmen sich für die Stadt nicht als optimal erwiesen hat. Wir haben daher nun nicht das zweitbeste Modell gewählt, sondern die bestmögliche Lösung, die alle Maßgaben erfüllt und strategische Entwicklungsperspektiven mitbringt: die Bereitschaft zum Fokus auf Hamburg, die Bereitschaft, im Intermodalverkehr Potenziale zu heben, die Bereitschaft, hier mit uns zu investieren. Das alles wird auf Augenhöhe mit der Stadt passieren. Die strategische Partnerschaft mit der Mediterranean Shipping Company wird sich für den Hamburger Hafen als vorteilhaft erweisen, und die Stadt in eine neue strategische Position zur Hafenentwicklung bringen.

Die Stadt hat auch mit Hapag-Lloyd geredet, dort bestand man auf der Mehrheit der Anteile.

Dressel: Genau. Die Vorstellungen gingen da eher in die Richtung, alles oder nichts. Wie hätten wir da vor die Bürgerschaft treten sollen?

Klaus-Michael Kühne sprach von einem „Affront“ gegen Hapag-Lloyd als größten Nutzer und Kunden des Hamburger Hafens.

Leonhard: Eine Woche später klang er schon versöhnlicher und empfahl, mehr als die Hälfte zu verkaufen. Das ist eine legitime Haltung, aber für uns kam das nicht infrage. Wir haben festgelegt, Mehrheitsgesellschafter zu bleiben – und angesichts der Debatten dieser Tage zeigt sich auch, dass das gut ist.

Dressel: Wir wollen mit Hapag-Lloyd weiter sehr gut zusammenarbeiten. Das haben wir auch persönlich kundgetan. Wir sind vielfältig miteinander verbunden, über die Terminalbeteiligung an Altenwerder und über die städtische Beteiligung. Hapag-Lloyd wird Premiumkunde und Premiumpartner für uns bleiben. Übrigens hat auch MSC kein Interesse daran, Kunden zu verdrängen, weil es künftig schließlich zum eigenen Nachteil wäre, hier Umsatz zu verlieren. Diese Motivation hilft allen, auch denen, die sich jetzt noch Sorgen machen.

Warum wollten Sie partout die Mehrheit behalten?

Dressel: Die HHLA ist fundamental für die wirtschaftliche und maritime Entwicklung dieser Stadt. Es geht um einen Teil der DNA dieser Stadt, wir werden daher die Beibehaltung der städtischen Mehrheit bei der HHLA auch für die Zukunft absichern.. Es geht darum, Ladung nach Hamburg zu bringen, Wertschöpfung und damit auch Arbeitsplätze.

Geht es am Ende vielleicht auch um Stadtentwicklung?

Leonhard: Die HHLA ist für die gesamtstädtische Entwicklung bedeutsam. Wie wir die Flächen im Hafen verwenden, ist stadtentwicklungs- wie wirtschaftspolitisch wichtig. Es gibt gute Gründe, da als Stadt die Mehrheit zu behalten, um Ressourcen im Hamburger Hafen weiter zielgerichtet einzusetzen. Neben der HHLA im engeren Sinne geht es daher auch um Fragen der Hafenentwicklung.

Läuft es am Ende darauf hinaus, im westlichen Teil den Hafen zu belassen und im Osten die Stadt mit Wohnungsbau zu erweitern?

Leonhard: Nein. Wir sind ein Universalhafen und wollen das bleiben. Beispielsweise die Versorgung mit Energie, Nahrungsmitteln und Stückgut sind wichtig für die Stadt. Und das alles kann nicht allein durch einen Liniendienst abgewickelt werden. Deswegen wird es weiterhin Teile des Hafens geben, die neben Containern auch mit anderen Nutzungen aus Logistik und Industrie verwendet werden. Das haben wir vertraglich abgesichert. Dabei werden wesentliche Entwicklungspotenziale des Hafens in der Tat in dessen westlichen Teil gelegt. Hamburg steht es als Millionenstadt gut zu Gesicht, auch in Zukunft auf Industrie und Hafen zu setzen.

Es geht um große Flächen und Immobilien, da dürfte im Rahmen des Deals viel Grunderwerbssteuer anfallen. Wer zahlt die?

Dressel: Das Schöne bei der Grunderwerbsteuer ist ja: Sie landet in der Hamburger Kasse, das ist in der Gesamtbetrachtung in jedem Fall neutral. Wir haben auch da eine gute Lösung gefunden: Jeder zahlt einen entsprechenden Anteil.

Die Hafenarbeiter lehnen den Einstieg weiter ab. Macht Ihnen das Sorgen?

Leonhard: Wir sind engagiert in Gesprächen mit den Arbeitnehmern. Da gibt es einen sehr unterschiedlichen Blick auf die Dinge. Viele hätten sich gewünscht, alles würde so bleiben, wie es ist. Aber das ist keine Option, gerade wenn man die Sicherheit der Jobs und die Arbeitnehmerinteressen im Blick hat. Unter den gegebenen Umständen, die sich aus der globalen Entwicklung ergeben, müssen wir das Unternehmen entwickeln, um Hafenarbeit auch in Zukunft zu sichern. Mit der Zeit wird das Verständnis für diese Entscheidung wachsen.

Sie fürchten nicht, dass die Arbeiter am Ende den Hafen lahmlegen?

Leonhard: Es gibt durchaus auch bei den Beschäftigten im Hafen unterschiedliche Interessen. Es gibt eine Menge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Fragen haben und auch kritisch sind, aber nicht das Interesse haben, das Unternehmen zu blockieren.

Dressel: Wir merken, dass sich gerade vieles klärt. Einige haben vorgeschlagen, statt der Partnerschaft mit MSC den Rest der Anteile als Stadt selbst aufzukaufen. Ich rechne gern vor, was das bedeuten würde. Dann hätte es ein Kursrallye gegeben, die Spekulanten reich und uns arm gemacht hätte. Und wir hätten nicht einen Euro gehabt, um in das Unternehmen, in seine Wettbewerbsfähigkeit und die Transformation zu investieren. Eine Vollverstaatlichung der HHLA wäre mit Sicherheit in der schwierigen Marktlage schlechter gewesen.

Leonhard: Die Schifffahrt ist ein weltweites Geschäft. Wir stellen in den zurückliegenden Jahren am Markt radikale Veränderungen fest. Wir haben enormen Investitionsbedarf, aber bislang keinen Partner, der mit uns investiert. Wir brauchen eine strukturelle Neuaufstellung.

Dressel: Als Finanzsenator treibt mich die Frage um, woher wir sonst fast eine halbe Milliarde Euro für die Hafenentwicklung herbekommen. So viel Geld werden wir nun gemeinsam mit MSC in die Hand nehmen: Es ist ein echter Gewinn, in dieser schweren See eine solche Kapitalspritze hinzubekommen. Da kommt keine der anderen Konstellationen heran, die andere favorisieren.

Zuletzt ist der Hamburger Hafen geschrumpft. Kann er durch diesen Deal wieder deutlich wachsen?

Leonhard: Die konjunkturelle Entwicklung und die Entwicklung der Weltschifffahrt wird uns noch ein paar anstrengende Jahre bescheren. Für das kommende Jahr darf man keinen großen Turnaround von Ladungsmengen erwarten. Umschlag ist zudem kein Selbstzweck, wir leben vom Erfolg der Unternehmen hier am Standort, die im- und exportieren. Konjunkturell stehen wir vor großen Herausforderungen. Wir glauben aber, dass wir mit dieser Neuaufstellung des Unternehmens in ein besseres Fahrwasser kommen, wenn es wieder aufwärts geht.

Dressel: MSC will aus Hamburg eine Drehscheibe im eigenen Netz machen: Dieses Bekenntnis des Weltmarktführers zum Standort Hamburg kann man nicht hoch genug einschätzen. In den weltweiten Linien wird Hamburg fortan mitgedacht. Wir sind dann nicht das letzte Glied der Nahrungskette der Nordrange, sondern stehen zentral auf der Landkarte.

Man hört aus der Wirtschaft, dass einige immer noch vergrätzt sind, zum Beispiel Hapag-Lloyd. Haben sie da inzwischen die Wogen geglättet?

Leonhard: Aus den jüngsten Äußerungen von Hapag-Lloyd lese ich keine Verärgerung heraus. Das Unternehmen ist sehr konstruktiv und fokussiert sich auf die eigene Rolle. Das ist auch richtig. Wir werden die Interessen von Hapag-Lloyd wahren und berücksichtigen. Überdies ist auch vertraglich festgelegt, dass alle Kunden auch künftig diskriminierungsfrei und neutral bedient werden.

Man hört auch von Irritationen in Marseille bei der Reederei CMA CGM …

Leonhard: Ich war gerade im Oktober dort und hatte gute Gespräche. Wir haben diskutiert, wie wir Hamburg noch stärker in den Fokus rücken können. CMA CGM ist für uns ein guter Partner, und der deutsche Markt ist für das Unternehmen wichtig. Es ist ein gutes Zeichen, dass CMA CGM Interesse an Hamburg hat, in welcher Form auch immer.

Ihr neuer Partner MSC genießt nicht den besten Ruf, die Reederei gilt als intransparent.

Leonhard: Wissen Sie, das wird immer von interessierter Seite gestreut. Wir finden es bedeutsamer, über die tatsächlichen Inhalte zu sprechen statt über Gerüchte. Alles, was für die Entscheidung wichtig war, ist uns transparent gemacht worden. Und die Zusagen in der Sache sind für Hamburg sehr vorteilhaft. Das ist für uns maßgeblich.

Es gab auch Drogenermittlungen gegen MSC.

Leonhard: Der Drogenschmuggel ist ein weltweites Problem, weil die Schmuggler ihre Ware zum Teil in fremden Schiffen oder Containern verstecken. Fast jede Reederei ist betroffen. Deswegen müssen alle Akteure in der Schifffahrt dagegen gemeinsam vorgehen. Das Thema ist aber viel zu ernst, als dass man Einzelne stigmatisieren darf. Die Vorwürfe, nach denen Sie fragen, sind nur allgemein und ohne Quelle. Man sollte die Kriminalität bekämpfen, aber schadet der Sache, wenn man Dinge unpräzise wiederholt.

Es gibt das Gerücht, dass Sie den Vorständen allen eine Vertragsverlängerung bis 2026 angeboten haben.

Dressel: Vertragsverhandlungen können wir nicht per Zeitungsinterview führen. Ich kann Ihnen aber versichern: Solche Absprachen, wie sie hier unterstellt werden, gibt es nicht. Das gehört zu den vielen falschen Gerüchten, die in dieser Phase verbreitet werden. Einige, die ihre Interessen durchsetzen wollen, führen falsche Behauptungen oder Unterstellungen ins Feld. Das hilft niemanden. Wer im Moment versucht, mit solchen Gerüchten diese Verträge zu Fall zu bringen, wird scheitern. Und im Übrigen tut er dem Hamburger Hafen auch keinen Gefallen.

Die Abstimmung in der Bürgerschaft ist die letzte große Hürde. Manche Sozialdemokraten und junge Grüne zweifeln.

Dressel: Wir sind mit allen Beteiligten im guten Austausch. Die Regierungsfraktionen wurden unmittelbar am Tag der Verkündung eingebunden und unterstützen uns. Je mehr vorgelegt und erklärt werden kann, umso mehr wächst auch bei denjenigen die Zustimmung, die es vielleicht am Anfang skeptisch gesehen haben.

Wie geht es jetzt weiter?

Leonhard: Bis Anfang Dezember können Aktionäre sich entscheiden, das Angebot von MSC anzunehmen. Danach wird klar sein, wie die künftigen Mehrheitsverhältnisse genau sein werden. Schon heute steht fest, dass die Stadt und MSC mit ihren Anteilen gemeinsam über den künftigen Kurs des Unternehmens entscheiden können. Derzeit finalisieren wir die Verträge, und werden alles gesammelt der Bürgerschaft Anfang kommenden Jahres zur Entscheidung vorlegen.