Hamburg. Der Hund, der eine Zweijährige attackiert hatte, war schon 2019 als “gefährlich“ eingestuft worden. Die Bissstatistik für Hamburg.
Ein Hund hat am Pfingstmontag in Rahlstedt ein zwei Jahre altes Mädchen angegriffen und lebensgefährlich verletzt. Ärzte des UKE konnten das Leben des Kindes retten, doch auch plastische Eingriffe sind nun am möglicherweise entstellten Gesicht des Kindes notwendig. Der Bulldogge-Mischling mit dem Namen "Rocky" wurde inzwischen eingeschläfert. Ermittelt wird nun wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen den Halter – ein Onkel der Zweijährigen –, die Mutter und die Großmutter des Mädchens. Das teilte die Polizei Hamburg am Mittwoch mit.
Kind fast tot gebissen – Hund attackierte 2019 bereits 7-Jährige
Nach Angaben des Bezirksamts Wandsbek hatte der Hund – ein im Jahr 2017 geborener Rasse-Mix – 2019 bereits ein sieben Jahre altes Mädchen gebissen. Die Beißattacke ereignete sich ebenfalls im Bezirk Wandsbek. Das Tier war anschließend als "gefährlich" eingestuft worden.
Wie die Polizei Hamburg zum aktuellen Fall mitteilte, hatten die Mutter und die Großmutter des Mädchens am frühen Nachmittag gegen 14.19 Uhr aus ihrer Wohnung in der Straße Am Knill um Hilfe gerufen. Anwohner hörten die Schreie aus dem zweiten Stock des Mehrfamilienhauses und verständigten daraufhin die Polizei.
Polizei Hamburg: Bulldogge beißt Zweijährige in Kopf
Die Beamten fanden das Mädchen und die 51 Jahre alte Großmutter mit Bisswunden in der Wohnung vor. Großmutter und Mutter gelang es schließlich mithilfe von Polizeikräften, das Mädchen von dem Tier zu befreien. "Rocky" bekam einen Maulkorb angelegt und wurde zunächst in ein anderes Zimmer gesperrt.
Das Tier war zuerst auf das Kind losgegangen und hatte sich in dessen Kopf und Hals verbissen. Als die Großmutter dazwischenging, um das Kleinkind zu schützen, verletzte der Hund sie an Händen und Beinen. Die beiden Verletzten wurden ins UKE gebracht.
Das Mädchen erlitt lebensgefährliche Verletzungen an Kopf und Gesicht. In einer stundenlangen Notoperation konnten Ärzte das Leben des Kleinkindes retten. Es sei stabil und schwebe inzwischen nicht mehr in Lebensgefahr, hieß es am Dienstagnachmittag. Neben den lebenserhaltenden Maßnahmen begannen die Ärzte auch damit, plastisch zu operieren, um das Aussehen des Mädchens möglichst zu erhalten.
Hund beißt Zweijährige – Tier gehörte dem Onkel
„Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen ist der Besitzer des Hundes ein Familienangehöriger, der diesen aufgrund seiner momentanen Abwesenheit zur Betreuung seinen Verwandten überlassen hatte“, sagte Polizeisprecher Thilo Marxsen am Dienstag. Der Besitzer des Hundes ist demnach ein Onkel des Mädchens, der in Schleswig-Holstein lebt. Seine Verwandten betreuten das Tier – er selbst ist gerade im Urlaub.
Die Mutter des Mädchens soll zu dem Zeitpunkt der Attacke kurz aus der Wohnung gegangen sein. Dann soll sich das Tier selbstständig zu dem Mädchen begeben haben. Wieso der Hund das Kind plötzlich angriff, ist unklar. Es könnte sein Weinen gewesen sein, das Rocky angelockt hatte.
Hund attackiert Zweijährige: Hund als Welpe dem Bezirksamt vorgeführt
Bei dem Tier handelt es sich nach Angaben der Polizei um einen Olde-English-Bulldogge-Mischling. Diese Rasse zählt nicht zu den gefährlichen Rassen nach dem Hamburger Hundegesetz. "Anhand einer genotypischen Untersuchung sollen nun jedoch weitere mögliche Rassen geklärt werden", sagte Polizeisprecher Thilo Marxsen. Fest steht hingegen, dass der Hund bereits vor einigen Jahren als "gefährlich" eingestuft worden war.
"Aufgrund des Verdachts der Zugehörigkeit zu einer 'Listenhund'-Rasse wurde er als Welpe dem Bezirksamt Wandsbek vorgeführt", sagte Jacob Löwenstrom, Sprecher des Bezirksamts Wandsbek am Mittwoch dem Abendblatt. Noch vor der abschließenden Rassefeststellung sei der Hund jedoch an einen anderen Halter außerhalb Hamburgs verkauft worden.
Hund Rocky und Halter nicht in Hamburg gemeldet
Erst als Rocky 2019 eine Siebenjährige im Bezirk Wandsbek attackiert hatte, wurde bekannt, dass der Hund weiterhin in Hamburg lebt. "Die Sicherstellung und Einziehung des Hundes wurden durch das Bezirksamt Wandsbek angeordnet", so Löwenstrom. "Der Vollzug der Anordnung scheiterte daran, dass der Hund an einen anderen Halter in Schleswig-Holstein abgegeben wurde." Das zuständige Amt in Schleswig-Holstein wurde über den Halterwechsel und den Beißvorfall informiert und stufte den Rocky daraufhin als „gefährlich“ ein. In Schleswig-Holstein werden Hunde nicht wegen ihrer Rasse als gefährlich eingestuft. Jedoch gelten sie als "gefährlich", wenn sie etwa einen Menschen gebissen oder unkontrolliert Tiere gehetzt oder gerissen haben.
Anfang 2021 erfuhr das Bezirksamt Wandsbek durch die Kollegen in Schleswig-Holstein, dass sich der Hund erneut im Bezirk aufhalten soll. Löwenstrom: "Die daraufhin erfolgte Überprüfung der Halteradresse und einer weiteren Kontaktadresse ergab jedoch keine Hinweise auf eine entsprechende Hundehaltung. Bis zu dem tragischen Vorfall am 6. Juni hatte das Bezirksamt keine Kenntnis darüber, dass sich der Hund im Bezirk Wandsbek aufgehalten hat." Hund und Halter waren dort nicht gemeldet; der Mann hatte das Tier bei seiner Mutter (51) untergebracht. Die Frau ist Großmutter der Zweijährigen. Ihr Sohn – ein Onkel des Kleinkindes – hatte Rocky dort abgegeben, weil er in den Urlaub gefahren war.
Hund wird nach Attacke eingeschläfert
Rocky wurde nach der Beißattacke in Rahlstedt von der Polizei sichergestellt, er bekam einen Maulkorb angelegt und wurde von Polizisten in Schutzkleidung aus der Wohnung in Rahlstedt gebracht. Das Tier wurde zunächst im Tierheim Süderstraße untergebracht. Am Nachmittag entschied das zuständige Veterinäramt des Bezirksamtes Wandsbek, den Hund mithilfe einer Injektion einzuschläfern.
Polizisten liefen während des Einsatzes an der Straße mit Maschinenpistolen umher. Auch das Kriseninterventionsteam des Deutschen Roten Kreuzes und die Kripo waren vor Ort.
Hundeattacke erinnert an Tod des kleinen Volkan
Die Attacke auf das Mädchen weckt Erinnerungen an den Fall Volkan Kaya. Der sechs Jahre alte Junge war im Juni 2000 beim Spielen auf dem Gelände seiner Grundschule in Wilhelmsburg von zwei Pitbull-Mischlingen angegriffen und getötet worden. Die Politik reagierte mit der Einführung der „Hundeverordnung“, über die seit 1990 diskutiert worden war.
In Hamburg fiel das von den Ländern spezifizierte Gesetz besonders streng aus. Hundehalter Ibrahim K. wurde wegen fahrlässiger Tötung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt und 2003 in die Türkei abgeschoben.
Kommt bald der Hundeführerschein?
Die Tierrechtsorganisation PETA nahm die aktuelle Tragödie in Rahlstedt zum Anlass, die Einführung eines Hundeführerscheins zu fordern. „Meist liegt das Problem nicht beim Hund, sondern am anderen Ende der Leine. Viele Halterinnen und Halter können das Verhalten, die Signale und die Körpersprache ihres Vierbeiners nicht richtig deuten und einschätzen. Somit ist die wahre Ursache für Beißattacken bei ihnen zu suchen – nicht beim Tier“, so Monic Moll, Fachreferentin der Organisation. „Jeder Hund, der falsch gehalten oder behandelt wird, kann zu einer Gefahr für Mensch und Tier werden – unabhängig davon, ob er einer Rasse angehört oder ein Mix ist.“
Ein Hundeführerschein sähe vor, dass künftige Halter bereits vor Aufnahme eines Hundes einen Theoriekurs absolvieren müssen, um das notwendige Fachwissen über eine tiergerechte Haltung und Aspekte wie Kommunikation und Bedürfnisse von Hunden zu erwerben. Ein verpflichtender Hundeführerschein hatte einen weiteren Vorteil: Er könnte Menschen, die sich noch nicht ausführlich mit der Hundehaltung auseinandergesetzt haben, von einem Impulskauf abhalten. Jedes Jahr landen 80.000 Hunde in deutschen Tierheimen, darunter sehr viele Tiere, die unüberlegt angeschafft wurden.
Die Polizei hat nach der Beißattacke Ermittlungen eingeleitet. Sie richten sich gegen die Großmutter, weil zum Zeitpunkt des Angriffs sowohl das Kind wie auch der Hund in ihrer Obhut waren. Es geht um Körperverletzung und Verletzung der Aufsichtspflicht. Die 51-Jährige und auch die Mutter der Zweijährigen werden vom Kriseninterventionsteam des DRK betreut.
So häufig beißen Hunde in Hamburg zu
2021 gab es in Hamburg insgesamt 106 dokumentierte Beißattacken durch Hunde. Die meisten, 48 passierten im größten Bezirk Wandsbek. In Nord wurden 27, in Eimsbüttel zehn Hundebisse registriert. In Mitte und Altona waren es jeweils fünf Hundebisse, im Bezirk Harburg zwei und im Bezirk Bergedorf keiner. Weitere neun Fälle wurden erfasst, ohne sie einem Bezirk zuordnen zu können.
Der überwiegende Teil – nämlich 89 Fälle – passierte im öffentlichen Raum. In 14 Fällen waren Hunde aneinander geraten und hatten gebissen, als man sie trennen wollte. In 85 Fällen, konnten sich die Halter nicht erklären, warum der Hund biss. Hundebisse durch Tiere, die gezielt als Kampfhund gezüchtet oder „scharf“ gemacht wurden, will die Behörde in keinem Fall festgestellt haben – auch wenn Kampfhunde unter den „Top-Beißern“ sind.
Diese Hunde sind am gefährlichsten – und diese am harmlosesten
Rein mathematisch ist der Yakutische Laika, ein Schlittenhund, die bissigste in Hamburg gehaltene Hunderasse. Allerdings sind nur zwei Tiere registriert, von denen einer 2021 einen Menschen gebissen hatte. Darauf folgen der Pitbull-Terrier-Mischling und der American Pitbull Terrier, von denen es 19 registrierte Tiere in Hamburg gibt. Zwei dieser Hunde wurden im vergangenen Jahr als bissig registriert.
Der allergrößte Teil der Hamburger Hundewelt ist eher harmlos – am harmlosesten sind die 3380 Hamburger Dackel. Nur einer hat im vergangenen Jahr einen Menschen gebissen.
Zwei Hundehaltern wurde die Haltung 2021 wegen Beißvorfällen untersagt. In zwei weiteren Fällen dürfen Personen, die einen Hund bei sich hatten, aber nicht offizieller Besitzer waren, die Hunde nicht mehr führen. 43 Hunde wurden nach einer Beißattacke einer Gefährlichkeitsprüfung unterzogen. Ein Hund wurde auf Grundlage der Hundeverordnung beschlagnahmt. In neun Fällen ordnete die Behörde einen Maulkorb- oder Leinenzwang an.