Hamburg. Die Bagger dürfen wieder rollen in Rahlstedt. Richter sieht keine Zerstörung des Biotops. Denn dieses ist bereits kaputt.
Der BUND hatte sich zu früh gefreut. Begleitet von großen Hoffnungen der Großloher Bürgerinitiative gegen das neue, länderübergreifende Gewerbegebiet „Victoriapark“ in Rahlstedt und Stapelfeld hatten die Naturschützer im Juli zunächst einen Baustopp erreicht. Die Umweltbehörde zog ihre Sondergenehmigung für die Erschließungsarbeiten für den 28 Hektar großen Gewerbepark zurück. Doch jetzt rollen die Bagger schon wieder.
Die Behörde befand nach neuerlicher Prüfung, dass die Arbeiten auf rund einem Drittel der Erschließungsfläche unproblematisch sei, weil gesetzlich geschützte Biotope „nicht betroffen“ oder ihre „Zerstörung bereits abgeschlossen“ sei. Sie ließ die Arbeiten wieder aufnehmen. Die massiven Erdarbeiten gehen seitdem weiter. Umweltschützer befürchten die Gefährdung von Knicks und Feuchtflächen durch Absenkung des Grundwasserstandes. Das neuerliche Eilverfahren des BUND gegen die Sondergenehmigung der Umweltbehörde scheiterte.
BUND greift Hamburgs Behörden an
Das Verwaltungsgericht schloss sich in einer ersten kursorischen Prüfung der Argumentation der Umweltbehörde an. Die Wasserfläche sei zwar „ursprünglich ein Komplex aus verschiedenen Feuchtbiotopen“ gewesen, zitiert die richterliche Begründung die Umweltbehörde, „allerdings erfüllt dieser Biotop-Komplex bereits seit erstmaligem Beginn der Bauarbeiten im Februar 2019 nicht mehr die Voraussetzungen eines geschützten Biotops. Gleiches gilt für die Nasswiese. Durch die nun wieder begonnene Bautätigkeit auf diesen Flächen werden gesetzlich geschützte Biotope daher weder zerstört noch erheblich beeinträchtigt.“
BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch: „Das ist absurd. Weil die Zerstörungen im Februar erfolgreich waren, darf man im August damit weiter machen? Was ist mit den Biotopen, wenn bis an den Knick heran gearbeitet wird und daneben die Vögel brüten sollen? Liegt da keine Betroffenheit vor?“ Braasch sieht jedoch weniger das Gericht als Adressaten seiner Kritik, sondern vor allem die städtischen Behörden.
„Sie haben eine Strategie entwickelt, die Angriffsmöglichkeiten für rechtliche Einwände und Verfahren gegen Baumaßnahmen zu verringern oder ganz zu vermeiden“, sagte er. „Bereits beschlossene Bebauungspläne wie der für das Rahlstedter Gewerbegebiet werden einfach nicht im Amtlichen Anzeiger veröffentlicht. Diese Veröffentlichung aber ist Voraussetzung für eine Klage gegen den Plan und damit den Rechtsschutz der Anwohner und der Natur.“
Der Bebauungsplan ist verabschiedet ...
Trotz der fehlenden Klagemöglichkeit kann aber auch ohne Bebauungsplan schon gebaut werden: Denn nach seiner Verabschiedung durch die Politik und vor seiner Veröffentlichung im Amtlichen Anzeiger hat der Bebauungsplan die sogenannte „Vorweggenehmigungsreife“, auf deren Basis die Ämter Baugenehmigungen erteilen können. Für Erschließungsmaßnahmen und Zuwegungen sind nach Auffassung der Verwaltung oft gar keine Baugenehmigungen nötig. So auch in Rahlstedt.
„Diese Praxis schränkt die Rechte der Bürger und Naturschutzverbände massiv ein oder macht ihre Verteidigung sogar unmöglich“, sagte Braasch. „Bürger und Verbände müssen zusehen, wie der Bauherr Fakten schafft.“ Braasch sprach von irreversiblen Schäden für das gesamte Gebiet um den Victoriapark.
In 94 Fällen haben Ämter und Behörden die Vorweggenehmigungsreife seit 2007 für vorgezogene Baugenehmigungen genutzt. Das antwortete der Senat auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Heike Sudman. Nicht enthalten sind die Bezirke Wandsbek und Hamburg-Nord.
Braasch: „Der Rahlstedter Plan für den Victoriapark ist Ende 2018 verabschiedet worden. Im Januar hatte er die Vorweggenehmigungsreife. Jetzt haben wir August, und der Plan ist immer noch nicht veröffentlicht. Senat und Bezirk verschleppen offenbar mit voller Absicht die Veröffentlichung, um vor Ort Fakten zu schaffen und wirksame Klagen des BUND auszuhebeln. Anders sind die monatelange Hinhaltetaktik und der aktuelle skandalöse Einsatz der Bagger in Rahlstedt nicht zu erklären.“
... aber unveröffentlicht und deshalb unangreifbar
Die Bürgerinitiative läuft seit Jahren Sturm gegen den Plan. Ihr Bürgerbegehren im Bezirk scheiterte an einer Anweisung des Senats. Er wies Wandsbek an, den Plan weiter zu verfolgen, so dass das Bürgerbegehren mangels bezirklicher Zuständigkeit abgelehnt werden konnte. Rot-Grün verabschiedete den Plan. Anfang des Jahres schließlich fragte der BUND im Bezirksamt an, warum der Plan noch nicht im Anzeiger stehe. Man vertröstete ihn auf März.
Jetzt erklärte das Bezirksamt Wandsbek auf Nachfrage: „Die abschließende Prüfung dauert noch an.“ Danach werde der Bezirksamtsleiter unterschreiben und die Veröffentlichung im Amtlichen Anzeiger erfolgen.
Auch für Straßenbäume ist das Sterberisiko deutlich gestiegen. Nach Einschätzung der Verwaltung „benötigt der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer für Baumfällungen auf Flächen, die zur öffentlichen Erschließung (des Victoriaparks, Anmerkung der Redaktion) vorgesehen sind, keine weitere Genehmigung“, teilte die Bezirksverwaltung dem BUND auf Anfrage mit. Für Straßenbäume auf öffentlichem Grund sei „die Baumschutzverordnung nicht anzuwenden“.