Inzwischen wohnt Friday aus Nigeria seit acht Monaten bei den Petersens. Er ist einer von insgesamt 130 Männern, die in privaten Quartieren leben. Erstmals gewährten die Unterstützer einen Einblick.

Sasel. Der Zeitplan am Morgen hat sich inzwischen eingespielt. Peter Petersen steht als erster auf, dann ist Friday dran. „Die Männer sind nacheinander im Bad, ich mache das Frühstück“, sagt Waltraud Petersen. Danach gehen die beiden aus dem Haus. Unspektakulär klingt das, nach ganz normalem Alltag. Doch seit die Petersens Friday vor acht Monaten bei sich aufgenommen haben, ist ihr kleines Einfamilienhaus in Sasel ein Fluchtpunkt. Der 32-Jährige kommt aus Nigeria und gehört zur Gruppe der Lampedusa-Flüchtlinge. Nach Auffassung der Stadt Hamburg sollte er gar nicht hier sein. Die Petersens sehen das anders.

Erstmals gewähren private Quartiergeber für Flüchtlinge Einblick. „Eigentlich hatten wir uns gerade auf das Alter eingestellt“, sagt Waltraud Petersen. Die 63-Jährige mit dem akkuraten Pagenschnitt sitzt im Wohnzimmer, wo einige Sessel vor den Bücherregalen zusammengeschoben sind. Erst vor Kurzem war der Sohn der Petersens samt Flügel ausgezogen. Doch statt mehr Raum für sich zu haben, ist das Ehepaar noch einmal zusammengerückt. „Das passt schon“, sagt Peter Petersen, der bei der Grone-Schule arbeitet und außerdem aktiver Gewerkschafter ist. Gesellschaftliches Engagement ist beiden nicht fremd. Waltraud Petersen ist bei Amnesty International und Pro Asyl aktiv. Gerade wollte sie eine Patenschaft für ein Mädchen in Mali übernehmen. „Aber dann war klar, hier ist die Hilfe notwendiger“, sagt sie.

Aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik

Das Notquartier in ihrem Haus in Sasel ist auch ein Protest gegen die Flüchtlingspolitik des Hamburger Senats. Fridays Blick wird ernst, wenn er das hört. Er versteht ziemlich gut Deutsch, aber gesprochen wird bei den Petersens meistens Englisch. Es ist kurz vor 19 Uhr und er ist gerade nach Hause gekommen. „Ich bin sehr froh, dass ich hier sein kann“, sagt der junge Afrikaner, der ein kleines silbernes Kreuz um den Hals trägt. Wie fast jeden Tag war er in der Stadt unterwegs, hat Freunde getroffen und seinen privaten Deutschkursus besucht. Manchmal wird er zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen. Er ist vor mehr als einem Jahr nach Hamburg geflüchtet, aber wirklich angekommen ist er bis heute nicht. „Ich möchte eine Perspektive in Deutschland, mir ein Leben aufbauen“, sagt der gelernte Automechaniker. „Und ich will niemandem zur Last fallen.“

Seit fast zwei Jahren sind die Flüchtlinge der Lampedusa-Gruppe in Hamburg und kämpfen darum, bleiben zu können. Es gab harte Auseinandersetzungen, inzwischen ist es ruhiger geworden – eine Art stillschweigender Status quo. Ein Teil der Männer hat sich den Behörden offenbart. Etwa 130 der Männer haben nach Angaben des privaten Zusammenschlusses „Solidarisch Wohnen“ Obdach bei Hamburgern gefunden. Fast alle bieten schon seit mehr als einem Jahr Schlafplätze für Flüchtlinge an, finanzieren sie teilweise auch mit Spenden. „Es funktioniert bei den meisten gut, auch wenn der Zeitraum viel länger ist als geplant“, sagt Annette P., die in einem Wohnprojekt mit Gästewohnung lebt. „Das Netzwerk entwickelt sich weiter“, sagt Unterstützer Axel Gösling. „Das Fatale ist aber, dass die Integration der Flüchtlinge gestoppt ist. Sie brauchen Arbeit.“ Die Gruppe wendet sich deshalb vor der Bürgerschaftswahl mit einem eindringlichen Appell an die Politik, eine Lösung für alle Lampedusa-Flüchtlinge zu finden.

Friday hat sich nicht bei den Behörden gemeldet – aus Angst letztlich doch nach Nigeria abgeschoben zu werden. Er war aus seiner Heimatstadt im Norden des westafrikanischen Landes geflohen, nachdem die islamistischen Kräfte dort immer stärker wurden. In Libyen fand er Arbeit, floh während des Bürgerkriegs aber nach Italien. Er strandete auf Lampedusa, wurde in das toskanische Städtchen Lucca weitergeschickt. „Es war dort schön, auch in Florenz bin ich gewesen“, erzählt er. Er stellte einen Asylantrag, bekam Aufenthalts- und Arbeitspapiere der UNHCR bis 2017 – aber keinen Job. Im Sommer 2013 setzte er sich in ein Flugzeug und landete auf dem Flughafen Lübeck. „Ich wollte nach Hamburg“, sagte Friday. Auf die Frage nach dem Warum, antwortet er ausweichend. Anfangs lebte er eine Zeit lang auf der Straße, kam zu der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“.

Am Hauptbahnhof kennengelernt

Am Infostand am Hauptbahnhof lernte der Flüchtling aus Nigeria die Petersens aus Sasel kennen, als sie Lebensmittel und Decken brachten. „Wir haben uns sofort gut verstanden und immer wieder getroffen“, erzählt Waltraud Petersen. „Ich habe gemerkt, dass sie sich wirklich für mich interessieren“, sagt Friday. Waltraud und Peter Petersen luden ihn zum Essen ein, halfen ihm etwa bei Arztbesuchen. Und sie erfuhren seine Geschichte. Als er im Sommer wieder auf der Straße stand, boten sie ihm eine Unterkunft an. Friday zog in das Einfamilienhaus mit den beiden steinernen Löwen vor der Tür. Auf dem Briefkasten steht jetzt auch sein Name, neben einem Aufkleber „Kein Mensch ist illegal“. Seine Sache haben die Petersens zu ihrer gemacht. Schreiben Briefe, streiten mit Politikern und reichen Petitionen bei Behörden sein. Dazu gehört auch, dass sie Friday finanziell unterstützen.

„Ich habe jetzt zwei Söhne“, sagt Waltraud Petersen, „einen weißen und einen schwarzen.“ Inzwischen hätten sich auch die Menschen in ihrer Umgebung an die Konstellation gewöhnt. Die Nachbarn bringen manchmal Sachen für den jungen Mann vorbei. Abends kochen die drei oft zusammen. „Friday schmeckt alles, nur Labskaus kam nicht an.“ Demnächst will er auch endlich ein paar afrikanische Gerichte in den Speiseplan einführen. Aber natürlich gibt es auch vieles, was fremd ist. Zum Beispiel ist es dem Nigerianer meistens kalt, nachts macht er sich meistens noch einen zusätzlichen Ofen an. Aber auch im Großen. „Friday guckt immer, ob es mir gut geht“, sagt Waltraud Petersen. Das sei ein ganz anderes Miteinander als unter Deutschen.

Wie es weitergeht, weiß niemand

Ähnlich hört sich an, was andere Quartiergeber berichten. „Es gibt eine große Welle der Solidarität“, sagt Simone Borgstede, die von Anfang an für ein Gruppen-Bleiberecht für die Lampedusa-Flüchtlinge gekämpft hat. Man denke anders übers Teilen nach. „Der Blick auf das eigene Leben und die Arbeit ändert sich“, sagt Astrid B. Dass die Flüchtlingshilfe aus Sicht der Behörden unter bestimmten Umständen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt ist, nehmen die Unterstützer in Kauf. Waltraud Petersen: „Für mich sind die Gesetze der Humanität und Hilfsbereitschaft wichtiger als die Gesetze, die von Politikern verabschiedet werden.“

Wie es weitergeht, weiß niemand. Friday will bleiben und arbeiten. „Autos gehen doch überall kaputt“, sagt er. Erstmal sucht er einen Praktikumsplatz. Aber der junge Mann sagt auch kämpferisch: „Die deutschen Behörden müssen sich bewegen und die italienische Arbeitserlaubnis anerkennen. Schließlich sind wir in Europa.“ Noch bis Ende des Jahres kann er im Saseler Notquartier bleiben. Dann wollen die Petersens umziehen, in eine kleinere Wohnung. Wie es dann für ihn weitergeht, ist unklar. Waltraud Petersen sagt: „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es bis dahin eine Lösung für die Lampedusa-Flüchtlinge gibt.“