Die Polit-Diskussion war der Auftakt der „Ihr habt die Wahl“-Tour, die die Hamburger Schulmarketing-Agentur DSA youngstar zusammen mit dem Abendblatt an insgesamt zehn Schulen veranstaltet.
Hamburg. Wer glaubt, die Jugend sei politikverdrossen oder nicht an der Wahl interessiert, der war noch nicht in Volksdorf. In der Aula des Walddörfer-Gymnasiums war praktisch kein Platz mehr frei, als am Dienstag über die wichtigsten politischen Fragen vor der Bundestagswahl diskutiert wurde. Rund 340 Schüler der oberen Jahrgänge lieferten sich eine ausgesprochen muntere Debatte mit den Vertretern der Jugendorganisationen der fünf im Bundestag vertretenen Parteien – und sie brachten überraschende Themen zur Sprache.
Die Polit-Diskussion war der Auftakt der „Ihr habt die Wahl“-Tour, die die Hamburger Schulmarketing-Agentur DSA youngstar zusammen mit dem Abendblatt an insgesamt zehn Schulen verschiedener Formen in der ganzen Stadt veranstaltet. „Dies ist eine Veranstaltung, bei der wir einmal nicht Texte von Parteien lesen, sondern als Schulgemeinschaft lebendige Demokratie mitgestalten“, eröffnete Schulleiter Jürgen Solf die Diskussion.
Politikverdrossenheit habe oft damit zu tun, dass sich die jungen Leute nicht verstanden und von der Politik auf Augenhöhe abgeholt fühlten, weiß André Mücke, Geschäftsführer von DSA youngstar. Deshalb habe man eine Plattform schaffen wollen, die helfe, dies zu ändern.
So ging es in der Aula des Walddörfer-Gymnasiums gleich zu Beginn um ein Thema, das die Jugendlichen interessiert: die Sicherheit ihrer Daten bei Facebook und Co. „Wir können nicht zulassen, dass Staaten riesige Datenbanken aufbauen und die Bürger ausspionieren“, sagte Barnabas Crocker, Vize-Landesvorsitzender der Jungliberalen (Julis), unter dem Applaus der Schüler. Beifall klatschten sie auch, als Carsten Ovens, Landeschef der Jungen Union (JU), „eine europäische Datenschutzrichtlinie oder sogar eine weltweite Regelung“ forderte.
Im Vorfeld hatten sich die Jugendlichen gewünscht, über Mindestlöhne, Arbeitsmarktpolitik und die „Generation Praktikum“ zu diskutieren. Richtiges Feuer aber kam in die von Abendblatt-Redakteur Oliver Schirg moderierte Debatte, als es um ein Thema ging, das den Schülern offenbar sehr am Herzen liegt: die Rechte von homosexuellen Paaren. „Wie kann es sein, dass es im 21. Jahrhundert kein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare gibt?“, hatte eine Schülerin dieses Feld eröffnet. „Wenn zwei Menschen sich lieben, sollten sie die Ehe miteinander eingehen und dann auch Kinder adoptieren können“, sagte Carl Philipp Schöpe, Landesvorsitzender der Jungsozialisten (Jusos). Für ihn sei Familie da, wo Kinder sind, erklärte auch JU-Chef Ovens. „Im Prinzip sehe ich keinen Grund, warum ein homosexuelles oder lesbisches Paar nicht Kinder adoptieren kann.“
Dafür gab es zwar Beifall, doch die Schüler setzten nach: Warum die CDU dem Adoptionsrecht für Homosexuelle dann nicht zustimme? „Wir als junge Generation sehen das anders als Teile der Union und setzen uns für eine Liberalisierung ein“, sagte Ovens. „Gleiche Liebe, gleiche Rechte“, forderte Maximilian Bierbaum, politischer Geschäftsführer der Grünen Jugend in Hamburg, und die FDP erinnerte daran, dass der Bundestag mit Mehrheit gegen die Öffnung der Ehe gestimmt habe. „Freiheitsrechte sind uns wichtig“, betonte der Jungliberale Crocker. Deshalb setze sich die FDP in der Regierungskoalition für die Gleichberechtigung von Homosexuellen ein. An dieser Stelle begehrten die Jugendlichen endgültig auf: Vor der Wahl werde viel versprochen, anschließend passiere nichts. Applaus. Wieso Kanzlerin Angela Merkel nicht auf den Tisch haue, wenn in Russland Homosexuelle verfolgt würden? Riesenapplaus.
Eine klare Haltung haben die Volksdorfer Schüler auch zu Ganztagsschulen und ganztägiger Betreuung: Davon halten sie nichts. Viele Schüler verbänden mit Schule wenig Positives und wollten nicht den ganzen Tag in dieser Einrichtung verbringen. Es gehe darum, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, sagte der Grüne Bierbaum. Ganztagsschulen bedeuteten nicht Paukerei bis zum späten Nachmittag, sondern auch Sport- und Musikangebote, so Juso Schöpe. „Schule soll zu einer Art Jugendzentrum werden.“ Fabian Thiel, Landessprecher der Linksjugend, erklärte, Ganztagsschulen seien besonders in sozial benachteiligten Stadtteilen wichtig.
Schließlich konnten die Schüler entscheiden, ob sie lieber über den Rückkauf der Energienetze oder Studiengebühren diskutieren wollten. Sie wählten die Netze. Aus der erwarteten Rendite von neun Prozent sei der Rückkauf der Energieleitungen locker zu finanzieren, so Linke-Politiker Thiel. „Ratet mal, wie viel Einfluss der Kauf des Energienetzes auf den Energiemix und die Strompreise hat?“, fragte der Juso Schöpe die Schüler. Seine Antwort: „Null.“ Vattenfall sei ein Atomkonzern und kein verlässlicher Partner der Stadt, argumentierte der Grüne Bierbaum.
Am Ende der Runde hatten die Schüler nebenbei 30 Fragen per Textnachricht gestellt. Immer wieder dabei: Wie stehen die Politiker zur Legalisierung von Cannabis? „Ich ja, die Partei nein“, sagte der Juso Schöpe; „schwierig“, meinte JU-Mann Ovens. Dreimal Ja gab es hingegen von den Vertretern von Grünen, Julis und der Linken.
Bundesweit, befürchten Meinungsforscher, dürften nur 37 Prozent der Erstwähler wählen gehen. Am Walddörfer-Gymnasium gaben nach der Debatte bei einer selbst organisierten Wahl 256 Schüler einen Stimmzettel ab. Darauf kreuzten gerade einmal neun Jugendliche an, nicht zu wählen. Die SPD war hier mit 44,9 Prozent der Stimmen klarer Sieger, gefolgt von der CDU, auf Platz drei die Grünen, abgeschlagen auf dem letzten Rang die FDP.
„Wen würdest Du wählen?“, wurden die Schüler auf selbst gedruckten Stimmzetteln gefragt. Darauf konnten sie eine der fünf im Bundestag vertretenen Parteien ankreuzen, eine andere Partei hinzufügen oder angeben „Ich gehe nicht wählen“. Abstimmen durften alle Schüler – egal ob sie 18 Jahre alt sind oder nicht.
Die nächste Diskussionsrunde ist an der Lessing-Stadtteilschule in Harburg. Wer im Netz mit den Jungpolitikern weiter diskutieren oder die Tour durch die Schulen mitverfolgen will, kann dies unter facebook.com/bittewaehlengehen tun.