Peter Drews erlitt als Kind einen Mittelohrschaden. Seit 55 Jahren engagiert er sich in Hamburg, um Schwerhörigen rechtzeitig zu helfen.
Wie einen dummen Jungen behandelte ihn der Dorflehrer, denn er konnte Zahlen und Wörter nicht richtig wiederholen. Mitschüler hänselten ihn, weil er immer nachfragen musste. „Keiner wollte was mit mir zu tun haben, ich hatte keine Freunde. Für die anderen Schüler war ich einfach doof im Hirn“, sagt Peter Drews und man hört die Bitterkeit in seiner Stimme.
Keiner kam auf die Idee, dass der kleine Junge schwerhörig sein könnte – der Lehrer nicht und auch nicht der Arzt in Brokstedt bei Neumünster, der seine häufigen Mittelohrentzündungen falsch behandelte und nie auf die Idee kam, einen Hörtest zu machen. Dann wurde sein Vater nach Hamburg versetzt. „Dort war es erst noch schlimmer, denn ich kam in eine Schule mit 30 Kindern, da hagelte es nur noch Fünfen und Sechsen. Ich blieb einmal sitzen“, erinnert sich der 73-Jährige im Podcast „Von Mensch zu Mensch“ zum Thema Schwerhörigkeit.
Zumindest schickte die Lehrerin den damals Zwölfjährigen zu einer Sprachheilschule, weil sie dachte, da stimme etwas nicht. Die Fachleute verwiesen ihn von dort an eine Schwerhörigenschule. „Es gab nur kleine Klassen mit zwölf Schülern, das war toll. Zudem hatte ich die Aufnahmeprüfung zur mittleren Reife bestanden. Meine Eltern und ich waren sehr stolz, weil ja keiner geglaubt hat, dass ich das schaffen könnte.“
Heute ist er Träger des Bundesverdienstkreuzes
Gleichzeitig wurde er von einem HNO-Arzt 1961 operiert. Er bekam eine Tympanoplastik, sein Trommelfell und die Hörknöchelchen wurden ersetzt. Er konnte so fast wieder normal hören, blieb aber dennoch auf der Schwerhörigenschule, war sogar Klassensprecher, machte die mittlere Reife. Heute ist Peter Drews Hörakustiker und Träger des Bundesverdienstkreuzes – wegen seines Engagements beim Bund der Schwerhörigen. Sein kindliches Trauma wurde quasi zur Lebensaufgabe: Schwerhörigen rechtzeitig zu helfen. Schließlich sind rund 16 Millionen Menschen ab 14 Jahren davon in Deutschland betroffen.
Inzwischen ist es schwer vorstellbar, dass die Schwerhörigkeit eines Kindes nicht frühzeitig erkannt wird. In vielen Krankenhäusern erhalten Neugeborene ein Hörscreening, zur Einschulung wird die Hörfähigkeit untersucht. Eltern sollten darauf achten, ob ihr Kind gut hört. „Im Alter zwischen drei und sechs sind temporäre Schwerhörigkeiten durch Paukenergüsse im Ohr an einer verspäteten Reaktion auf Geräusche bis hin zu einer Sprachentwicklungsverzögerung zu erkennen. Ganz wichtig ist dann, dass die Kinder zeitnah behandelt werden, schon eine leichtgradige Schwerhörigkeit im Kindesalter muss versorgt werden“, sagt Privatdozent Adrian Münscher, Chefarzt der HNO-Klinik am Marienkrankenhaus.
Rund 40 Prozent der 65-Jährigen haben einen Hörschaden
Während Schwerhörigkeit bei Kindern selten ist, sind jedoch ältere Erwachsene häufig davon betroffen, bei den 65-Jährigen sogar rund 40 Prozent. „Man merkt es, wenn der Fernseher immer lauter gestellt wird, man häufig nachfragen oder die Ohrmuschel nach vorne klappen muss oder man Gesprächen in einer Gruppe, wenn mehrere gleichzeitig reden, nicht mehr folgen kann“, sagt Dr. Münscher.
Wer die Anfangsbuchstaben eines Wortes nicht mehr hört und erraten muss, was der andere gesagt hat, ermüdet auf die Dauer. Peter Drews hat die Erfahrung gemacht, dass viele gar nicht selber merken, dass sie schlecht hören: „Das fällt eher den Menschen im Umfeld auf. Und dann reagieren Schwerhörige gern dünnhäutig und geben den anderen die Schuld, sagen etwa: ,Ich höre dich nicht, weil du nuschelst oder zu leise sprichst.‘ Denn kein Mensch will schwerhörig sein und manche meinen, Hörgeräte seien nur lästig, würden pfeifen und seien teuer.“
Leider haben Hörgeräte keinen guten Ruf. Viele denken, sie seien alt, wenn sie ein Hörgerät benötigen, dabei fängt eine leichte bis mittelgradige Schwerhörigkeit oft schon mit 50 Jahren an. Sie wird durch ein Sprachaudiogramm beim HNO-Arzt festgestellt.
So früh wie möglich ein Hörgerät
„Die Versorgung mit Hörgeräten sollte so früh wie möglich einsetzen, um einerseits die für das Gehirn notwendigen Hörstimuli möglichst lange zu erhalten und andererseits eine hörbedingte Isolation zu unterbrechen. Hörgeräte erhöhen die Lebensqualität enorm“, sagt Dr. Münscher.
Denn Hörgeräte sind heute kleine Wunderwerke der Technik. Bereits Basis-Hörgeräte, die von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt werden, können schon über eine App gesteuert werden. Sie kosten rund 700 Euro pro Ohr, die Top-Geräte liegen bei 3000 Euro. „Mit dem Basisgerät kann man gut hören. Hochwertige Hörgeräte haben einfach mehr Frequenzkanäle, die Spracherkennung ist feiner und deutlicher. Sie lenken zum Beispiel Störgeräusche in den Hintergrund und man kann sogar zwischen Live- und CD-Musik unterscheiden“, erklärt Michelle Wulff, Hörakustikerin bei Zacho in Halstenbek, die sich als Meisteranwärterin mit der neuesten Technik auskennt.
Drei Geräte sollte man ausprobieren
Sie rät dazu, maximal drei verschiedene Hörgeräte unterschiedlicher Niveaus auszuprobieren. „Mehr verwirrt nur“, sagt die 22-Jährige. Doch sie verspricht, dass man dann vor allem wieder hohe Töne hört wie Zischlaute, das Piepen der Waschmaschine und Vogelstimmen. „Das ist vor allem für Vogelliebhaber eine echte Offenbarung“, sagt Michelle Wulff. Obwohl sie ein so wichtiges Hilfsmittel sind, warten nach Drews’ Erfahrung dennoch die meisten nach einem auffälligen Hörtest noch mal zehn Jahre, bis sie sich ein Gerät anpassen lassen. In diesen Jahren verlernt das Gehirn weiter das Hören.
Und plötzlich höre man wieder viele ungewohnte Geräusche. Daran müsse man sich wieder gewöhnen. „Deswegen gibt es oft die Situation, dass Oma Meier mit 70 Jahren viel zu spät kommt und erst mal über das Hörgerät flucht, weil alles viel zu laut ist auf der Straße. Was macht sie? Sie packt das Gerät in die Schublade und holt es nur raus, wenn Besuch kommt. Das ist definitiv zu wenig. Auch zu Hause muss ich es immer tragen“, sagt Drews, der inzwischen selbst Hörgeräte trägt.
Schwerhörigkeit fördert vermutlich Demenz
Zwar ist es wissenschaftlich umstritten, ob Schwerhörigkeit auch Demenz fördert. „Fakt ist, sie macht einsam, denn ich ziehe mich immer mehr zurück, führe keine Gespräche mehr und schwelge in alten Erinnerungen“, sagt Drews. Er führt ein Beispiel an, das viele kennen: Der schwerhörige Großvater soll mit zu einer Geburtstagsfeier, aber er weigert sich, weil er nichts hört und nur alleine am Tisch oder in der Ecke sitzt. „Oft ist es dann so, dass man mit der Person auch nicht mehr reden möchte, weil es so schwierig ist“, sagt Drews.
Er erzählt von einem berührenden Erlebnis, als er noch hochaltrige Senioren in häuslicher Umgebung und Altenheimen mit Hörgeräten versorgt hat. Er wurde in ein Pflegeheim in die Demenzabteilung gerufen, dort sollte er eine Frau versorgen. „Das war sehr schwierig. Die Person war sehr aggressiv. Doch als ich ein Hörgerät eingesetzt habe, sprang sie auf, lachte und hat alle Menschen umarmt. Sie war nicht dement, sondern nur schwerhörig und wurde kurze Zeit später wieder in eine normale Wohngruppe integriert“, sagt er und fügt hinzu: „So etwas dürfte eigentlich heutzutage nicht mehr passieren.“
Seit 55 Jahren beim Bund der Schwerhörigen engagiert
Peter Drews hat viel dafür getan, dass Schwerhörigkeit aus der Tabuzone gekommen ist, engagiert sich seit 55 Jahren beim Bund der Schwerhörigen e. V. Hamburg und hat dort lange die Hörmittelberatungsstelle geleitet. „Es gibt eine Kinder- und Jugendabteilung, doch die meisten, die bei uns Rat suchen, sind zwischen 50 und 80 Jahre alt. Sie haben Schwierigkeiten im Beruf oder benötigen technische Hilfe. Auch Hörgerätefinanzierung ist Thema und Beratung für ein Cochlea-Implantat“, sagt Drews. Er ist schon als Jugendlicher in den Verein eingetreten. „Dort fühlte ich mich sofort angenommen, ich war unter Gleichgesinnten.“ Und seinen alten Dorflehrer hat er später noch einmal besucht: „Der wollte gar nicht glauben, dass ich so einen erfolgreichen Lebensweg gehen konnte.“
Infos zum Hörberatungszentrum: Tel. 29 16 05, E-Mail: info@bds-hh.de, www.bds-hh.de
Den Podcast zum Thema gibt es unter www.abendblatt.de/podcast/von-mensch-zu-mensch