Mehr Wiesen, Solaranlagen, Fahrräder und ÖkoFaire Gemeinden – die Nordkirche hat eigene Klimaschutz-Ziele für ihre Mitglieder gesetzt.
Dass Klimaschutz im Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein eine wichtige Rolle spielt, wird schon bei einem Rundgang um das „Haus der Kirche“ in Niendorf deutlich. In einer Blühwiese für Insekten vor dem neuen Gebäude steht ein großes Banner mit der Aufschrift „Gemeinsam für Gottes Schöpfung – Churches for future“. Direkt vor dem Eingang können sich Mitarbeitende des Hauses der Kirche Fahrräder ausleihen, auf dem Dach gibt es eine große Photovoltaik-Anlage und auf dem Parkplatz gleich sieben Elektro-Säulen an dem zwei E-Dienstfahrzeuge gerade Strom laden.
Drinnen verweist Lena Kühl auf die Geothermie-Heizung, einen recycelten, mechanischen Süßigkeitenautomaten namens Fair-o-mat und die vielen Fahrräder in der Tiefgarage. „Vergangenes Jahr sind wir als fahrradfreundlicher Arbeitgeber geehrt worden“, sagt die 32-Jährige sichtlich stolz. Schließlich hat sie mit einem Leasingprogramm für Dienstfahrräder und diversen Aktionen dafür gesorgt, dass der Anteil der Fahrradfahrer im Haus der Kirche innerhalb von vier Jahren von 20 auf 33 Prozent gestiegen ist.
Haus der Kirche ist Vorzeigeprojekt
Seit 2016 leitet Lena Kühl die Stabsstelle Klimaschutz und das Klimabüro im Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein und entwickelt Konzepte für weniger Energieverbrauch, mehr Fahrradmobilität und ökologisch einwandfreie Materialbeschaffung. Das erst zwei Jahre alte Haus der Kirche ist dabei ein Vorzeigeprojekt in Sachen Klimaschutz und wurde dafür in der Umweltbehörde Hamburg im Juni 2021 als Ökoprofit-Betrieb ausgezeichnet. Für die Zertifizierung muss ein Betrieb innerhalb eines Jahres an zehn Workshops teilnehmen, Daten im Umwelt-, Arbeits- und Gesundheitsschutz erheben und praxisnahe Maßnahmen erarbeiten, um die Umweltkosten systematisch zu senken „Das ist natürlich eine tolle Auszeichnung, die Zertifizierung dafür war anspruchsvoll, aber wir wollen auch Vorbild sein für die Kirchengemeinden“, sagt Kühl, die Nachhaltigkeitswissenschaft studiert hat.
Keiner kann sich mehr davor drücken: Denn 0,8 Prozent der Kirchensteuerzuweisungen müssen die Kirchenkreise in der Nordkirche und muss die Nordkirche selbst nachweislich für den Klimaschutz ausgeben. Das schreibt das eigene Klimaschutzgesetz vor, das die Nordkirche im Oktober 2015 verabschiedet hat. Das sei notwendig, weil die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland sich einsetzt für „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung und sich deshalb zum Schutz des Klimas und zur Begrenzung der nachteiligen Folgen des Klimawandels verpflichtet“ sieht. Ziel ist es, bis zum Jahr 2050 mit allen Mitgliedsgemeinden klimaneutral zu sein.
Ein Mitarbeiter nur für das Energiecontrolling
„Das ist angesichts der vielen denkmalgeschützten Gebäude durchaus eine Herausforderung, denn rund 80 Prozent unserer CO2-Emissionen entstehen durch unsere Gebäude, das heißt Kirchen, Gemeindehäuser, Pastorate und so weiter“, sagt Lena Kühl, die das Klimaschutzgesetz in ihrem kirchlichen Umfeld als Beraterin umsetzen soll. „Manche Gemeindevertreter und Einrichtungen sind offen dafür, bei anderen muss ich Überzeugungsarbeit leisten, aber zumindest ist das Thema durch die vielen Fridays for Future-Demonstrationen und das wachsende Bewusstsein in der Stadt sehr präsent.“
Für die jährlichen Klimaschutzberichte arbeitet sie eng mit der Bauabteilung des Kirchenkreises im Haus der Kirche zusammen. Dort gibt es einen Mitarbeiter, der nur für das Energiecontrolling im Kirchenkreis und in den Kirchengemeinden zuständig ist. Diese sind dazu angehalten, jeden Monat ihren Stromverbrauch abzulesen und zu melden. „Mein Kollege ist immer in den Gemeinden unterwegs und berät sie, wie sie Strom sparen, welche Zuschüssen sie zum Beispiel für eine neue, klimafreundliche Heizung von uns bekommen können und ob eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach angebracht werden kann“, erklärt Kühl. Alle Kirchenkreise der Nordkirche kaufen bereits gemeinsam Ökostrom ein.
Lena Kühl und ihre Kollegin beim Kirchenkreis Hamburg-Ost, Sylvia Hansen, werben in den Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen zudem dafür, sich als ÖkoFaire Gemeinde oder Einrichtung zu qualifizieren. Die Aktion gibt es seit 2018 im ganzen Bereich der Nordkirche und ist laut Kühl ein niedrigschwelliges Programm, das vor allem einen Anreiz schaffen soll, sich intensiver mit dem Klimaschutz zu befassen. Bisher gibt es in beiden Kreisen auf Hamburger Stadtgebiet nur vier ÖkoFaire Gemeinden, etliche seien jedoch auf dem Weg dahin, versichert Lena Kühl.
Man muss auch in kleinen Dimensionen denken
Zwei Jahre hat allein die Kirchengemeinde Eimsbüttel, zu der die Christus- und Apostelkirche gehören, gebraucht, um ausgezeichnet zu werden. Dafür musste es erst einen Beschluss im Kirchengemeinderat geben, dann einen konkreten Selbstverpflichtungsplan, wie man mindestens zehn Kriterien aus einem Maßnahmenkatalog der Nordkirche erfüllen kann. „Wir waren schon immer aufgeschlossen für das Thema und nach einer Informationsveranstaltung 2019 zur ÖkoFairen Gemeinde haben wir gesagt, wir machen das“, erinnert sich Astrid Barth, Mitglied des Kirchengemeinderats.
Ein Team aus sechs Haupt- und Ehrenamtlichen hätte sich gebildet, sie haben an Workshops teilgenommen und jeder hat einen Verantwortungsbereich übernommen. Barth beschäftigt sich mit dem Kauf von umweltverträglichen Reinigungsmitteln, Diakonin Karin Kluck hat sich um die Anschaffung von recycelbaren Teelichtern für den Lichterbaum gekümmert. „Man muss auch in kleinen Dingen umdenken“, sagt sie. So nutzt sie bei ihren Seniorennachmittagen jetzt abwaschbare Tischsets statt Wegwerftischdecken und Blumen aus dem Garten für die Dekoration.
Jedes Teammitglied hat eine Aufgabe übernommen
Andere Teammitglieder haben sich um die Energieeinsparung durch LED-Lichter, die Beschaffung von umweltfreundlichen Büromaterialien und fair gehandelten oder regionalen Lebensmittel für die Gemeindefeiern gekümmert. Statt einen neuen Gemeindebus anzuschaffen, nehmen sie nun teil an einem Car-Sharing-Programm.
Zudem überlegt das Team, ob es ein Lastenfahrrad für die Gemeinde anschaffen soll, denn dafür gibt es gerade einen Zuschuss von ihrem Kirchenkreis Hamburg-Ost. „Dass wir nun unseren Gemeindeboten auf Recycling- statt Hochglanzpapier drucken hat allerdings viele Diskussionen gekostet“, sagt Barth lächelnd. Ihr gefällt, dass bei der Umsetzung der Ziele „oft meine Fantasie angeregt wird, wie ich zum Beispiel Plastik durch umweltfreundliches Material ersetzen kann. Außerdem passt Klimaschutz zum christlichen Konzept der Nächstenliebe“.
Die 75-Jährige hat sich auch um das Anlegen einer insektenfreundlichen Blühwiese vor der Kirche gekümmert, bei der viele Gemeindemitglieder mitgeholfen hätten, und die zudem eine neue Zusammenarbeit mit der Initiative „Buntes Band“ ergeben hat, die für eine Begrünung verschiedenster Flächen im Stadtteil zuständig ist.
Überhaupt habe sich die Zusammenarbeit mit verschiedenen Initiativen im Quartier verbessert durch die Auszeichnung, die mit einem großen Gottesdienst im Mai feiert wurde. „Wir erfahren viel mehr Wertschätzung, seit da draußen ein Schild hängt, das uns als ÖkoFaire Gemeinde beschreibt“, sagt Diakonin Karin Kluck.
Und seine Erfahrungen, wie Klimaschutz schon durch kleine Maßnahmen funktionieren kann, gibt das Team auch weiter. Im August organisierte es eine Podiumsdiskussion mit verschiedenen sozialen Initiativen aus Eimsbüttel, mit dem Titel „Nachhaltig leben: Nicht erst irgendwann, sondern jetzt“. Denn Astrid Barth und Karin Kluck zeigen gern, „dass Klimaschutz echt Spaß machen kann“.