Theresa Harbauer arbeitet auf der UKE-Kinderintensivstation – in ihrer Freizeit unterstützt sie in Tansania Kinder mit Behinderungen.
Wenn man Theresa Harbauer fragt, wie das gehen kann, als Ärztin an zwei so unterstschiedlichen Orten zu wirken, dann muss sie nicht lange nachdenken. Sie erzählt ruhig aus ihrer Welt, reiht Satz an Satz, bis es irgendwann so scheint, als würde sich eine Kameralinse vor das verschwommene Bild vor unseren Augen schieben und es schärfer werden lassen, bis am Ende ganz klar zu sehen ist, worum es dabei für sie geht: um Mitmenschlichkeit, die nicht zu verhandeln ist und keine Grenzen kennt. Weder geografische noch kulturelle.
Theresa Harbauer ist Oberärztin auf der Kinderintensivstation am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), ein fordernder Job, der einen Menschen maximal auslasten kann – in der Theorie. In der Praxis lacht an einem sonnigen Nachmittag eine Frau in die Kamera ihres Computers, über den die neue Folge des Abendblatt-Podcasts „Von Mensch zu Mensch“ aufgezeichnet wird. Bildreich nimmt die 40-Jährige ihre Zuhörenden mit auf eine Reise nach Tansania, in eine der ärmsten und ländlichsten Regionen des Landes im Osten Afrikas: Haydom. Ein Ort, den die Kinderärztin regelmäßig besucht, um Menschen zu helfen, die ohne ihr Engagement auf der Strecke bleiben würden.
Die Kinder haben schwere Geburtsdefekte
Natürlich gibt es dazu eine Geschichte. Hier, am Haydom Lutheran Hospital, hat Theresa Harbauer von 2011 bis 2013 als Ärztin auf der Kinder- und Säuglingsstation gearbeitet, immer wieder behandelte sie Kinder, die von schweren Geburtsdefekten betroffen waren. Der häufigste: Spina bifida, eine Fehlbildung der Wirbelsäule und des Rückenmarks, die durch einen Mangel an Folsäure in der Schwangerschaft ausgelöst wird und dazu führt, dass das Rückenmark und wichtige Nerven für die Motorik der Beine und auch der Blasen- und Darmfunktion offen liegen und geschädigt sind – ähnlich wie bei einer Querschnittsverletzung.
Allerdings können die Folgen lebensbedrohlich sein. Keime können in den Blutkreislauf eindringen und das Hirn schädigen, auch die Gefahr eines Hydrocephalus (Wasserkopfes) ist groß. „Dem kann man nur mit einer weiteren Operation begegnen, in der eine künstliche Ableitung dieses Wassers gelegt wird“, erklärt die Ärztin mit ruhiger Stimme. „Ohne diese Operationen besteht ein hohes Risiko, dass das Kind früh verstirbt.“ Große Herausforderungen, wenig Ressourcen – die Situation in Haydom war nichts, womit die damals 30-Jährige in Deutschland je konfrontiert worden war.
Aber Theresa Harbauer hatte genau diesen Weg gewählt und für sich gewollt. Sie musste plötzlich improvisieren, selbst an den OP-Tisch treten, die eigene Komfortzone verlassen. Auch, weil es niemand gab, der es stattdessen hätte machen können. Eine Tatsache, die sie nicht einmal erwähnenswert findet, weil sie „ja nur der mangelnden Infrastruktur und den besonderen lokalen Umständen“ geschuldet war.
Zweimal im Jahr kommt Harbauer nach Haydom
Die Familien, die Theresa Harbauer in ihrer Zeit als Ärztin in Haydom kennenlernte, begleitet sie bis heute. Sie lernt von den Menschen in Haydom – und umgekehrt. Über den von ihr gegründeten Hilfsverein „Haydom Friends“ unterstützt sie die Familien aus der Hamburger Ferne, zweimal im Jahr ist sie selber vor Ort. Aus winzigen Säuglingen sind inzwischen Kinder geworden, die aufblühen und über sich hinauswachsen. Es ist eine Feststellung, die Theresa Harbauer mit großem Glück erfüllt – zu sehen, wie sich etwas zum Besseren verändert, nicht nur für die betroffenen Kinder. Sondern für eine ganze Gesellschaft. Ein Kind mit Behinderung zur Welt zu bringen bedeutet in Tansania für die Eltern oft den Ausschluss aus der Dorfgemeinschaft – weil schwer kranke Kinder als verhext gelten und von ihren Eltern versteckt werden.
Es ist ein Thema über alle Grenzen hinweg: wie überfordert Eltern mit der Behinderung ihrer Kinder sind. Aber während in Deutschland Kranken- und Pflegekassen für die betroffenen Kinder und ihre Familien sorgen, gibt es in Tansania nichts von alldem. Eine Hilfsmittelversorgung ist Glückssache. Und wer auf welchem Weg auch immer einen Rollstuhl ergattert, steht in Regenzeiten trotzdem vor überfluteten Straßen – und behält das Kind über Wochen zu Hause.
Theresa Harbauer schaut nicht staatstragend, wenn sie von diesen Momenten erzählt, die ja auch für sie immer Momente der Einsicht sind: Ach so, hier gibt es noch ein Problem. „Man denkt, man ist so weit gekommen, hat die Kinder operiert und die Eltern in der Nachsorge so weit im Katheterisieren angeleitet, dass die Kinder trocken sind und das Haus verlassen können und damit endlich zur Schule gehen. Doch dann fehlen Krücken oder Rollstühle, damit die Kinder dorthin kommen“, erzählt sie.
McGyver der Intensivstation
Doch dass sie bestimmt auch dafür eine Lösung finden wird, das wird einem schnell klar in diesem Gespräch. Lachend erzählt sie von einem ihrer jungen Assistenten am UKE, der ihr eines Tages mal sagte, sie sei der „McGyver“ der Intensivstation. „Und es stimmt ja“, sagt sie. „Fehlendem Equipment im Alltag begegne ich hier spontan mit Schere, Pflaster und selbst gebastelten Adaptern. Ich bin dann gern für die schnelle Lösung. Geht nicht, gibt’s bei mir selten – Aufgeben übrigens auch.“ Bewusst werde ihr in solchen Momenten immer wieder der krasse Gegensatz – zwischen einer medizinischen Maximalversorgung, wie sie am UKE Normalität ist, und dem Wenigen, das es an Krankenhäusern wie in Haydom gibt.
Dass sie das alles neben ihrer Arbeit als Oberärztin schafft, ist für sie keine Frage der Machbarkeit. Sondern eine der eigenen Haltung: „Die meisten von uns leben in Frieden und Wohlstand, medizinisch abgesichert. Daraus ergibt sich für jeden die Verantwortung, denen zu helfen, die unsere Unterstützung dringend benötigen“, sagt Harbauer. „Wir sollten nicht aus Mitleid helfen, sondern weil wir eine Wahl haben.“
Weitere Infos sowie Angaben zum Spendenkonto unter www.haydom-friends.org.
Das Gespräch mit Theresa Harbauer unter www.abendblatt.de/podcast/Von-Mensch-Zu-Mensch