Parkinson-Nurse Beate Schönwald bietet für ihre Patienten aus dem UKE einen Kampfsport-Kurs an. Das hilft, beweglicher zu werden.
So richtig nett ist es hier nicht. Graues Industriegelände, Werk- und Lagerhallen, Beton, die Autobahn dröhnt im Hintergrund. Seevetal hat sicher schönere Ecken als dieses Gewerbegebiet. Mal schauen, irgendwo hier muss sie sein, die Martial Arts Factory. „Fabrik“ – passt schon. Dann macht man die Tür auf von einem dieser grau-gräulichen Funktionsgebäude. Und steht mitten in einem Hort der Energie und Lebensfreude. Wow!
„Setz die Hüfte schön ein! Gut so!“, fordert und lobt der Trainer. Hitmusik schallt aus Lautsprechern. Die Sportler üben und bewegen sich und versuchen und sind erfolgreich. Werden motiviert, lachen, helfen sich und flachsen. Wir sind beim Kickboxen, die Aktiven sind zwischen 55 und 75 Jahre alt. Und sie sind an Parkinson erkrankt. Ja, und? „Sie machen alle toll mit“, sagt Trainer Gunnar Striezel (50), „ich hätte nicht gedacht, dass sie so motiviert sind.“
Sport ist gut für Körper und Geist
Beate Schönwald (48) – Kampfmontur, grüner Gürtel – ist mittendrin statt nur dabei. Sie leitet auch an, unterstützt. Die energiegeladene Frau hatte die Idee zu diesem Projekt, zu dieser Gruppe. Ein zehnwöchiger Kurs, ein Auftakt, dem weitere regelmäßig folgen sollen. Die engagierte Parkinson-Nurse arbeitet unter der Leitung von Prof. Buhmann in der Parkinson-Tagesklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, viele der Sportler hier kennt sie schon lange.
Dass Aktivität und sportliche Bewegung für Körper und Geist ein gute Sache ist, das gilt auch für Menschen mit dieser chronischen und unheilbaren Erkrankung. Für Menschen mit Morbus Parkinson ist ein aktiver Lebensstil besonders wichtig, um die Begleiterscheinungen der Krankheit – häufig Gleichgewichtsstörungen, Stürze oder auch Depressionen – zu lindern. Also machen sie Sport. „Wir wissen, dass die nicht medikamentöse Therapie ein wichtiger Bestandteil in der Parkinson-Behandlung ist“, sagt Beate Schönwald, selbst begeisterte Kickboxerin, in der aktuellen Ausgabe des Podcasts „Von Mensch zu Mensch“.
Dass diese Kampfsportart für Parkinsonpatienten geeignet sein soll, wirkt zunächst seltsam. Auch vor dem Hintergrund, dass der große Boxweltmeister Muhammad Ali sehr wahrscheinlich durch die zu vielen Schläge an seinen Kopf erkrankte. Aber keine Sorge, es gibt natürlich Kopfschutz – „und wir schlagen auch nie zum Kopf“.
Die Bewegungen aktivieren den ganzen Menschen
Dennoch: „Am Anfang war es für mich komisch, bei den anderen auch nur auf die Handpratzen zu hauen“, erzählt Monika Wahlberg (72), „aber ich weiß ja inzwischen, es tut dem anderen nicht wirklich weh.“ Stattdessen aktivieren die spezifischen Bewegungen mit Beinen, Händen, Körper den ganzen Menschen. „Mir gefällt der ganzheitliche Ansatz, Gleichgewicht, Koordination, Kraft und Schnelligkeit werden trainiert“, sagt Carsten Köpcke (61), der früher einmal Marathon gelaufen ist.
Bei „Morbus Parkinson“ sterben Nervenzellen im Kleinhirn ab, die Dopamin herstellen. Dieser Dopaminmangel kann zum typischen Zittern, Bewegungseinschränkungen, Muskelkrämpfen führen und auch die psychische Befindlichkeit negativ beeinflussen. „Hier kann ich mich auspowern, der Körper wird gefordert, ich merke, wie gut mir das tut“, sagt Monika Wahlberg. Carsten Köpcke berichtet, dass „meine Stimmung besser wird und ich nach dem Sport zwei Tage volle Beweglichkeit habe.“ Für Heidi Sartor (63) ist nicht nur der körperliche, sondern auch der soziale Faktor sehr wichtig. „Wir haben alle die gleiche Krankheit, aber die Krankheit gleicht sich nie“, sagt sie. „Es ist toll, sich über die Erfahrungen auszutauschen. Und ja: Ich traue mir insgesamt mehr zu.“
Um den positiven Einfluss vom Kickboxen wissenschaftlich genau zu untersuchen, startet im Frühsommer am UKE nun ein von der Hilde-Ulrichs-Stiftung unterstütztes Forschungsprojekt. „In den USA wird Kickboxen für Menschen mit Parkinson bereits in vielen Fitness- und Reha-Einrichtungen angeboten“, weiß die ausgebildete Krankenschwester Beate Schönwald, „die wissenschaftliche Evaluation dieser Programme erfolgte jedoch noch nicht im zufriedenstellenden Umfang.“
Wissenschaftliche Studie zum Effekt des Kickboxens
Das soll sich ändern. Die Teilnehmer an der Studie werden in drei Gruppen von jeweils acht Teilnehmenden eingeteilt, je nach Alter und Fortschreiten ihrer Erkrankung. „Dynamik und Schwere der Übungen werden an die Leistungsfähigkeit der Teilnehmer und Teilnehmerinnen angepasst“, sagt Beate Schönwald.
Analog dazu wird eine Kontrollgruppe gebildet aus Patienten der Tagesklinik, die nicht am Kickboxtraining teilnehmen. Nach Abschluss des Aufenthalts in der Tagesklinik werden die Patienten ermuntert, das Training fortzuführen. Nach drei Monaten wird überprüft, ob ein eventueller Trainingseffekt der Therapie anhält, und ob sich ein Unterschied hinsichtlich der motorischen und nicht motorischen Symptome zwischen Patienten, die trainiert haben und denen, die nicht trainiert haben, erkennen lässt.
Auch für den Trainer ist die Arbeit mit Parkinsonkranken Neuland
In der Halle in Seevetal arbeiten sich die Sportler und Sportlerinnen jetzt an den sieben Boxsäcken ab, die von der Decke hängen. Acht Frauen und sechs Männer sind am Start. Coach Gunnar achtet auf die richtige, dynamische Körperhaltung: „Faust unter das Kinn.“ Zwei Minuten sollen sie durchhalten, „Gut, klasse, komm, weiter, das schaffst du!“ „Für mich war diese Gruppe auch absolutes Neuland“, sagt der Eigentümer der Martial Arts Factory, „ich bin wirklich beeindruckt, was sie leisten.“
Am Ende der Stunde zum Abschluss des Zehn-Wochen-Kurses holt sich der Trainer die Sportler zusammen in einen Kreis. Verabschieden, verbeugen, Respekt ausdrücken. „Hut ab, ihr habt das super gemacht, das war echt klasse“, lobt Gunnar Strietzel. Dann gibt es Applaus – füreinander, aber auch für den Trainer, „ich hoffe, wir sehen uns zum nächsten Kurs wieder.“ Da darf er ziemlich sicher sein.
Kickboxangebot in der Parkinson Tagesklinik des UKE, Infos unter Tel. 741 03 58 20 oder E-Mail: b.schoenwald@uke.de
Tischtennis für Parkinson-Kranke: Der Verein TTG Hamburg Nord bietet zwei Trainingseinheiten an, donnerstags 20–22 Uhr, Redderbarg 46–48, und sonnabends 12.30-14.30 Uhr im Kupferredder 12. Das Training wird unter Berücksichtigung der individuellen Einschränkungen von Jan Rüssmann gestaltet. Kontakt E-Mail: abteilungsleitung.hamburgnord@gmail.com. Tel.: 0170 7705925
Der ganze Podcast mit Beate Schönwald unter www.abendblatt.de/podcast/von-mensch-zu-mensch