Hamburg. Jobcenter-Chef Dirk Heyden über die Probleme Alleinerziehender, Chancen für bedürftige Kinder und wo ihm die Hände gebunden sind.
Dirk Heyden (58) ist seit 2016 Geschäftsführer des Jobcenters team.arbeit.hamburg mit seinen 18 Standorten, die über das ganze Stadtgebiet verteilt sind. Rund 180.000 hilfsbedürftige Menschen betreut das Jobcenter aktuell. Durch die Ukrainekrise kommen nun schätzungsweise rund 17.000 Geflüchtete dazu.
In einem Interview sagten Sie einmal, dass Alleinerziehende Ihnen besonders am Herzen liegen. Warum diese Gruppe?
Das größte Risiko, lange Zeit Leistungen vom Jobcenter zu beziehen, haben Alleinerziehende. Vor allem Frauen benötigen im Dreieck von Arbeitgeber, Kita und Jobcenter besondere Unterstützung bei der Arbeitssuche. Wenn der Arbeitgeber nach dem Kitaplatz fragt und die Kita nach dem Arbeitsplatz, um Betreuung abzusichern, dann ist das für alleinerziehende Frauen manchmal unauflösbar. Alleinerziehend zu sein ist oft eine Herausforderung für die berufliche Biografie mit Langzeitfolgen bis zur späteren niedrigen Rente.
Antragsteller beim Abendblatt-Verein vor allem Alleinerziehende
Ich wünsche mir, dass unsere Gesellschaft besser darin wird, Alleinerziehende auf dem Weg zurück in Arbeit zu unterstützen. Auch durch Anreize zur Aufnahme einer Weiterbildung. Wir reden in der Grundsicherung in Deutschland immerhin von rund 350.000 alleinerziehenden erwerbsfähigen Menschen und sollten natürlich auch die Folgen für ihre Kinder bedenken.
Viele unserer Antragsstellerinnen beim Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ sind genau diese alleinerziehenden Mütter, die jeden Cent umdrehen müssen. Sie beklagen, dass wenn sie neben ihrer Niedriglohnarbeit Zuschüsse vom Jobcenter bekommen, ständigen Kontrollen ausgesetzt sind. Ist das sinnvoll?
Wir haben im Jobcenter einen gesetzlich bedingten hohen Administrationsaufwand, mehr als die Hälfte unserer Beschäftigten sorgen für die Auszahlung der Geldleistungen. Sehr gern würden wir die Beratung stärken.
Hohe Erwartung in das Bürgergeld
Ich setze daher hohe Erwartungen in das Bürgergeld, das zum Januar 2023 kommen soll. Wenn das Gesetz einfacher wird, können auch die Bescheide und die Anrechnung von Einkommen verständlicher werden. Aktuell müssen wir zum Beispiel jeden einzelnen überzahlten Euro zurückfordern, das bedeutet einen enormen Verwaltungsaufwand. Wir haben hier bisher keinen Spielraum. Mit dem Bürgergeld sollen zukünftig auch mehr finanzielle Anreize für die berufliche Weiterbildung geschaffen werden, denn Qualifizierung ist der Schlüssel für eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration.
Warum gibt es bei vielen Frauen offenbar so wenig Motivation, an der eigenen Situation etwas zu ändern – ist es gesellschaftlich akzeptiert, ein Leben lang von Hartz IV zu leben?
Im Sozialgesetzbuch II ist das Recht auf eine Elternzeit von bis zu drei Jahren für jedes Kind verankert, auch für Mütter, die bereits Hartz IV beziehen. Doch je länger Alleinerziehende beruflich pausieren, desto schwieriger wird der Weg zurück in Arbeit. Deswegen organisieren wir gemeinsam mit den Familienberatungsstellen der Bezirke Jobmessen und laden Alleinerziehende zu Weiterbildungsbörsen ein, um frühzeitig über Chancen am Arbeitsmarkt zu informieren. Dabei mangelt es nicht an Qualifizierungsangeboten.
Arbeitgeber sollten mehr Langzeitarbeitslosen eine Chance geben
Die Herausforderung liegt vielmehr darin, für die Weiterbildung zu werben und die Frauen und Männer dafür zu gewinnen. Aber auch Arbeitgeber sind hier gefragt. Mit dem Teilhabechancengesetz gibt es die Möglichkeit, langzeitarbeitslose Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Dabei übernimmt das Jobcenter in den ersten zwei Jahren die kompletten und in den drei darauf folgenden Jahren einen Großteil der Lohnkosten. Ich würde mir wünschen, dass viele Arbeitgeber gerade auch Alleinerziehenden und Langzeitarbeitslosen eine Chance geben und diese finanzielle Förderung nutzen.
Welche Chance haben Ihrer Meinung nach Kinder, aus Hartz-IV-Familien herauszukommen?
Ganz wichtig ist, dass Kinder in die Kita gehen, denn hier beginnt sofort der Erwerb von sprachlichen und sozialen Kompetenzen. Unsere Integrationsfachkräfte sprechen das in der Beratung an, um auch die Vereinbarkeit von Arbeitsaufnahme und Kinderbetreuung zu fördern. Unser Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen aus Familien mit geringem Einkommen Chancen zu eröffnen und eine Ausgrenzung zu vermeiden. Das gilt selbstverständlich jetzt auch für ukrainische Mütter und Kinder, die Leistungen der Grundsicherung erhalten.
Würdevolles Leben mit 449 Euro monatlich?
Kann eine Hartz-IV-Empfängerin aktuell mit 449 Euro pro Monat würdevoll leben – auch angesichts einer steigenden Inflation, galoppierenden Strom- und Lebensmittelpreisen?
Dass das nicht einfach ist, das ist mir bewusst. Aber das Sozialgesetzbuch II sichert aus Steuergeldern eben nur das Existenzminimum und die Kosten der Unterkunft ab. Daneben können auch in entsprechenden Lebenssituationen zusätzliche finanzielle Hilfen gewährt werden, zum Beispiel für Schwangere oder bei einem Umzug.
Aber es gibt ein riesiges Problem, mit dem wir als Abendblatt-Verein oft konfrontiert sind. Wenn zum Beispiel Frauen aus dem Frauenhaus kommen oder Familien aus Flüchtlingsunterkünften haben sie keine Möbel. Sie bekommen, wenn sie Glück haben, eine Erstausstattungspauschale von rund 1200 Euro – das reicht nicht für eine Wohnung, die fast immer komplett leer ist. Ist das noch eine realistische Pauschale?
Als Jobcenter haben wir hier leider keinen Ermessensspielraum. Die Höhe dieser finanziellen Unterstützung ist durch verbindliche Weisungen pauschal festgelegt und wir als Jobcenter müssen uns an diese Beträge halten. Das ist gerade angesichts der aktuellen Inflation für hilfebedürftige Menschen extrem herausfordernd. Wir helfen hier mit der Förderung von Sozialkaufhäusern, die den Erwerb gebrauchter Möbel ermöglichen.
Gibt es denn keinen Topf für Notfälle?
Leider nein, alle Pauschalen sind gesetzlich vorgegeben.
Langwierige Entscheidungen erschweren den Alltag
Probleme erleben wir auch oft wegen Mietkautionen, die nicht rechtzeitig vom Jobcenter überwiesen werden – die Wohnung ist dann weg. Beklagt werden sehr schleppende, langwierige Entscheidungen, vor allem auch, wenn Unterlagen fehlen. Die Jobcenterberater seien durch die Corona-Pandemie schwerer erreichbar – das sagen uns auch Betreuer von Hartz-IV-Empfängern.
In besonderen Fällen haben wir die Möglichkeit, vorläufig Leistungen zu gewähren, auch wenn uns noch nicht alle Antragsunterlagen vorliegen. Wir haben die Zeit der Pandemie genutzt, um unsere Prozesse serviceorientierter zu gestalten. Neben der Einrichtung von zusätzlichen Telefon-Hotlines mit guter Erreichbarkeit und den neuen Infotheken in unseren Eingangsbereichen der 18 Jobcenter-Standorte haben wir unsere digitalen Angebote und alternative Kontaktmöglichkeiten ausgeweitet.
Früher mussten immer alle Antragsteller persönlich vorbeikommen, seit Anfang 2021 gibt es neue Formen der Telefon- und Video-Beratung. Terminbuchungen sind online möglich. Neuerdings sogar auf Ukrainisch. All das spart den Menschen Zeit und Wege und ermöglicht eine schnellere Bearbeitung.
Inwieweit sehen sich Jobcenter-Mitarbeiter als Dienstleister, wie wichtig ist der Servicegedanke?
Im Rahmen einer internen Umfrage haben die Beschäftigten des Jobcenters bestätigt, dass sie ihre Aufgabe als sinnerfüllend erleben und sich ihrem sozialen Auftrag und der Arbeit sehr verbunden fühlen. Die Herausforderung ist das komplizierte Recht, das kaum Ausnahmen zulässt.
Mir sind die Qualifizierung der Beschäftigten und der Zugang zu einem vielfältigen Seminarangebot sehr wichtig. Das Spektrum reicht von Fachschulungen bis hin zur Weiterbildung in Beratungs- und Kommunikationstechniken, um neben der Fach- auch die Beratungskompetenz weiter zu stärken.