Hamburg. Bei „Märchen im Michel“ stimmten sich die Besucher auf den 3. Advent und auf Weihnachten ein. Wem das Traditionsereignis zugute kommt.
Feierliche Note in Hamburgs Hauptkirche St. Michaelis: Die Benefizveranstaltung „Märchen im Michel“ ließ am Sonnabend vor dem dritten Advent Vorfreude auf das Weihnachtsfest keimen. Zu Herzen gehende Geschichten, einfühlsam vorgetragen, ebenso besinnliche wie fröhliche Lieder, von drei Chören inbrünstig dargebracht, standen in wundersamem Einklang.
Courage ist eine Voraussetzung, Charakter eine weitere. Ohne Klasse jedoch geht gar nichts. Mit dieser Formel glückte einer zwölfjährigen Gymnastin am Sonnabend das Kunststück, die Gemeinde im Michel in ihren Bann zu ziehen. Im Alleingang.
Mucksmäuschenstill war es im Gotteshaus, als Johanna Wood an das Mikrofon vor dem vielfach größeren Tannenbaum trat. Selbstbewusst, einfühlsam betont trug die Schülerin das entzückende Märchen von einer cleveren Karotte und ihrem betagten Hundefreund vor. Das sonderbare Tandem fahndet nach Schnee. Es findet ihn auf Umwegen, den Kindern zum Wohlgefallen – und kehrt auf einer Wolke heim.
Märchen im Michel: Ein „Lichterfest mitten im Dezember“
Das Beste an dieser Geschichte: Sie entstammt dem Ideenreichtum von Elina, einer weiteren jungen Hamburgerin. Kein Wunder, dass die Erwachsenen große Ohren machten. So wie es seit vielen Jahren guter Ton ist bei „Märchen im Michel“. Zum Finale sprach Hauptpastor Alexander Röder von einem „Lichterfest mitten im Dezember“. Freude könne mitreißenden Charakter haben.
Beim Traditionsereignis wurde im Gotteshaus zweimal Unterhaltung mit Tiefgang und Gefühl zelebriert: Während nachmittags die Kinder im Mittelpunkt standen, verlief das märchenhafte Beisammensein abends eine Nuance gesetzter: „Ich steh an deiner Krippe hier“ statt „In der Weihnachtsbäckerei“.
Eine gelungene Einstimmung auf das Christfest in Kombination mit sinnstiftenden Taten durch den Erlös der Eintrittsgelder – das ist typisch für den Verein „Hamburger Abendblatt hilft“. Pastor Röder brachte es so auf den Punkt: „Freude schenken und Gutes tun.“ Diese Mischung gefiel Klein wie groß.
Hauptkirche St. Michaelis: Ein Fest vor dem Fest
Tatsächlich war es ein Fest vor dem Fest. Nachmittags wie abends läuteten Orgelspiel und gemeinsamer Gesang gut eineinhalb besinnliche Stunden ab: „O du fröhliche“. Parallel verließen die sechs Lucia-Sängerinnen mit ihrer Lichterkönigin das Kirchenschiff. Alexander Röder erteilte den Segen. Er selbst hatte zuvor am Mikrofon ein entzückendes Märchen präsentiert: „Der kleine Nikolaus.“
Die anderen Märchenerzählerinnen wussten gleichfalls zu begeistern. Die Intendantin Isabella Vértes-Schütter, die Schauspielerin Pheline Roggan und eben Johanna Wood zogen die Gemeinde in ihren Bann. Während der Märchen war es mucksmäuschenstill in St. Michaelis – von Lachen und Beifall abgesehen.
Johanna ist Siegerin des Landesvorlesewettbewerbs 2021 in der Hansestadt. Vor der Fabel von der selbstlosen Karotte am Abend hatte die zwölfjährige Gymnasiastin bei der Vorstellung am Nachmittag eine aktuell passende Erzählung von „Mutter Natur“ vorgetragen.
Johanna Wood liest das Siegermärchen von 2020 vor
Geschrieben wurde diese in Norwegen spielende Geschichte von Minu Böhme (Gymnasium Kaiser-Friedrich-Ufer). Damit gewann die Schülerin den Schreibwettbewerb der Hamburger Märchentage. Diese Initiative wird vom Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ unterstützt. Ein Teil der beiden Benefizveranstaltungen kommt diesem Projekt zugute, ein anderer den Kindern alleinerziehender Mütter.
Am Abend las Johanna Wood dann das Siegermärchen des Märchenschreibwettbewerbs von 2020 vor – als die märchenhafte Veranstaltung im Michel coronabedingt ausfallen musste. Autorin ist Elina Koeslag aus Klasse fünf des Gymnasiums Heidberg. Es handelt sich um ein spannendes Abenteuer, geprägt von unkonventioneller Freundschaft und wahrhaftigem Zusammenhalt: Die hilfsbereite Karotte lebt fortan im Gesicht eines Schneemanns munter weiter. Beim Zuhören kam Freude auf.
Märchen im Michel: Lucia-Sängerinnen mit zauberhaften Stimmen
Zur festlichen Atmosphäre im stilvoll geschmückten Michel trugen die mitwirkenden Chöre entscheidend bei.
Die Lucia-Sängerinnen („Latvian Voices“) aus dem Baltikum mit ihren zauberhaften Stimmen, der Mädchenchor Hamburg sowie der Neue Knabenchor in großer Besetzung ließen die Herzen der Besucher höherschlagen. Einhaltung der Spielregeln war Ehrensache: 2G plus. Einlass und Kontrollen waren perfekt organisiert.
„Wir sind sehr froh, dass wir diese stimmungsvolle Benefizveranstaltung durchführen konnten“, sagte Abendblatt-Ressortleiterin Sabine Tesche im Namen des Vereins „Hamburger Abendblatt hilft“. Der Abend bringe „etwas Licht und Wärme in diese derzeit besonders düstere Zeit“. Vivian Hecker, die Gesamtleiterin Marketing & Events des Abendblatts, freute sich vor Ort über „endlich wieder strahlende Augen bei Groß und Klein“. Und bilanzierte abschließend: „Es war unsere bewegendste Veranstaltung des Jahres.“
Als die Gemeinde den Michel nach kurzweiligen 100 Minuten beseelt verließ, war vielfach Zuversicht der Wegbegleiter. Die Märchen im Michel, der Chorgesang, der Adventskranz mit elf brennenden Kerzen und die stilvoll geschmückte, mehr als zehn Meter hohe Tanne mit viel Lametta bescherten Vorfreude: Menschenskinder, übernächstes Wochenende ist Weihnachten.