Hebamme Güneş Brown begleitet Eltern, die ein Kind mit einer Behinderung zur Welt bringen - oder sich dagegen entscheiden.
Ein gesundes Kind ohne Komplikationen auf die Welt zu bringen – dieser Wunsch gehört wahrscheinlich zu den ältesten der Menschheit. Es ist eine große Sehnsucht und eine Idealvorstellung – die sich allerdings nicht immer erfüllt.
Für die betroffenen Eltern bedeutet dieser Moment der Erkenntnis, dass sie eben kein gesundes Kind zur Welt gebracht haben, eine harte Landung in der Realität. Einige von ihnen waren auch schon in unserem Abendblatt-Podcast „Von Mensch zu Mensch“ zu Gast: Simone Braunsdorf-Kremer zum Beispiel, deren Kind kurz nach der Geburt die Diagnose Mopd1 bekam – ein Gendefekt aus dem Kleinwuchsbereich, der für die Neugeborenen eine Lebenserwartung von rund neun Monaten bedeutet.
Die bewährten Ratgeber liefern wenig Infos
Oder der Münchner Fotograf Florian Jänicke, der diesen Moment mit schonungslos klaren Worten beschreibt, in seinem Buch über das Leben mit seinem mehrfach schwerstbehinderten Sohn Friedrich: „Als klar war, dass all das, was wir in verschiedenen Geburtsvorbereitungskursen über Kliniken, Wasser-, Haus- und Geburtshausgeburten gelernt hatten, hinfällig war und ,Die Hebammensprechstunde‘, ein in unserem Bekanntenkreis sehr gern zur Schwangerschaft verschenktes Buch, keine Antworten auf Fragen nach dem realen Leben mit einem Frühgeborenen mit schwerer Behinderung lieferte, mussten wir uns völlig neu aufstellen und einen Weg finden, wie wir die neue Situation annehmen und bewältigen können.“
Aber warum ist das eigentlich so? Warum spielt das Thema Behinderung in der Geburtsvorbereitung keine Rolle, warum fühlen sich Eltern nach der Diagnose oft hilflos und überfordert? Warum wird das Thema auch in der gängigen Literatur für werdende Eltern fast immer ausgeklammert? Ist es gar ein Tabu?
Hebammen fangen die Gefühlslagen der Frauen auf
Auf diese Fragen versucht die Hamburgerin Güneş Brown in der aktuellen Folge des Abendblatt-Podcasts Antworten zu finden. Entstanden ist daraus ein offenes und persönliches Gespräch, in dem die gestellten Fragen oft neue aufwarfen und nicht immer Antworten zu finden waren. „Hebammen sind ja primär für den physiologisch verlaufenden Teil in der Schwangerschaft zuständig“, erklärt Güneş Brown im Podcast. „Das ist unsere Kompetenz, wo wir auch alleine tätig sein dürfen. Wenn wir wiederum Auffälligkeiten feststellen, und die gab es natürlich auch in Schwangerschaften, die ich begleitet habe, dann müssen wir weiterleiten an ärztliches Personal.“
Gespräche über die Wahrscheinlichkeit und Auswirkung einer Behinderung können Hebammen also im Grunde gar nicht führen. Und doch sind sie es, die die Gefühlslagen der Frauen spüren und auffangen. „Für Hebammen ist das ein breites Spektrum, nicht jede Schwangerschaft wird ja auch automatisch mit Jubelrufen empfangen, damit fängt es ja schon einmal an.“ Was Güneş Brown dabei auch betont: Die ständige Weiterentwicklung der Pränataldiagnostik sei auch für Hebammen eine große Herausforderung.
Unter diesem Begriff werden Tests zusammengefasst, die gezielt nach Hinweisen auf Fehlbildungen oder Störungen beim ungeborenen Kind suchen. Dazu gehören auch die Trisomien 13, 18 und 21, die vor der Geburt im Mutterleib erkannt werden können – seit Juli dieses Jahres wird diese Diagnostik nun auch von den Krankenkassen übernommen.
Vermehrt Pränataldiagnostik
Dass das Thema Behinderung in der Geburtsvorbereitung ein Tabu darstelle, glaubt Güneş Brown nicht. Viel eher nehme sie die wachsende Bedeutung der Pränataldiagnostik in der Schwangerenvorsorge wahr.
„Denn das wiederum stellt uns Hebammen vor große Herausforderungen, darauf sind wir nämlich eigentlich gar nicht vorbereitet“, sagt Brown. „Wir begleiten ja dann auch die Schwangerschaftsabbrüche, die damit einhergehen – in jedem Schwangerschaftsalter.
Das sind oft Erfahrungen, mit denen man zum Teil selbst kaum klarkommt.“ Auch für werdende Mütter eine oft traumatische Erfahrung, die noch lange in ihnen nachhallt und ein Leben lang präsent bleiben kann.
Eigenes Geburtshaus in Hamm
Anfang des Jahres hat Güneş Brown ein eigenes Geburtshaus im Stadtteil Hamm eröffnet. „Haus für Geburt und Gesundheit“, heißt es – ein Herzensprojekt, das Brown über Monate mit ihren Partnerinnen aufgebaut hat, in ihrer Freizeit und als inzwischen vierfache Mutter. Hier können Geburten stattfinden, aber nicht nur. Es soll auch um andere Themen der weiblichen Gesundheit gehen. „Und da haben wir nicht den Anspruch, alles selber zu machen. In vielen Bereichen holen wir uns Menschen dazu, die viele Dinge viel besser können als wir.“ Warum in Zukunft nicht auch Eltern behinderter Kinder?, überlegt Brown im Podcast.
Literatur zum Thema: „Tim lebt! Wie uns ein Junge, den es nicht geben sollte, die Augen geöffnet hat“ ist ein Buch über ein Kind mit Down-Syndrom, das in der 25. Schwangerschaftswoche abgetrieben wurde – und überlebte. Seine Pflegeeltern Simone und Bernhard Guido haben ihre Zeit mit Tim in bewegenden Texten und Bildern festgehalten. Erschienen ist das Buch 2015 im adeo Verlag, es ist inzwischen nur noch gebraucht zu haben.
Anlaufstellen für Eltern, die während der Schwangerschaft von der Behinderung ihres ungeborenen Kindes erfahren: Verein „Kids Hamburg“ bietet eine kostenlose Beratung für Eltern zum Thema Down-Syndrom an oder auch eine Begleitung bei Fragen zur Pränataldiagnostik. Der Verein ist montags bis donnerstags von 9 bis 14 Uhr erreichbar unter Tel. 38 61 67 80 oder im Internet unter www.kidshamburg.de.
Auch Toumaini e.V. unterstützt die Hebammen im „Haus für Gesundheit“. Der Hamburger Verein ist anerkannter Träger der Eingliederungshilfe und unterstützt Familien mit behinderten Kindern. Wer sich schon vor der Geburt mit dem Thema beschäftigen möchte, findet hier kompetente und vor allem zugewandte Ansprechpartnerinnen. Erreichbar ist der Verein unter www.toumaini-ev.de oder telefonisch unter 0160/95 47 41 32.