Bei Climb erfahren Hamburger Grundschulkinder, wie viel Freude Lernen machen kann – der Abendblatt-Verein unterstützt das Projekt.

Es ist ruhiger als sonst in Hamburg, denn es sind Herbstferien. Doch auf dem Pausenhof vor der Schule auf der Veddel geht es turbulent zu: „Teddybär, Teddybär dreh dich rum …“, singt eine Gruppe Kinder, zwei drehen ein Springtau, die anderen stehen in einer Reihe und hüpfen nacheinander darüber. Andere spielen Fußball oder schaukeln. Ein Junge sagt zur Aufsicht: „Mir ist langweilig.“ Cornelia Raupach geht auf ihn ein und schlägt vor, mit ihm etwas zu spielen. Die Rentnerin ist ein sogenannter „Leuchtturm“, zu dem jeder im Projekt Climb-Lernferien gehen kann, um sich Rat und Beistand zu holen, Kinder oder auch Mitarbeitende. Sie schlichtet Streit und löst Konflikte mit den Teilnehmern.

Raupach ist eine der vielen Mitarbeiterinnen, Werkstudentinnen und Ehrenamtlichen bei Climb, einem Ferienprogramm für Grundschulkinder aus strukturschwachen Stadtteilen. Ins Leben gerufen wurden die Lernferien 2012 von den drei Hamburger Grundschullehrerinnen Jennifer Busch, Charlotte Frey und Hannah Schmidt-Friderichs, die feststellten, dass viele Kinder in der freien Zeit nichts zu tun hatten.

Lernferien in vier Hamburger Standorten

In Hamburg gibt es die Lernferien auf der Veddel, in Wilhelmsburg, Neuwiedenthal und Harburg – immer zwei Wochen in den Oster-, Sommer- und Herbstferien. Climb bedeutet „clever lernen, immer motiviert bleiben“. Das freiwillige Programm, für das Eltern ihre Kinder anmelden können, bietet Lernzeiten in Deutsch und Mathematik, Projekte zu Film, Schauspiel und Tanz. Lernen wird mit Spaß verbunden und soll fast mühelos geschehen. Auch Ausflüge in den Kletterpark oder in die Kunsthalle gehören dazu. Ein gutes Dutzend Städte beteiligt sich bereits an den Lernferien, Tausende Schülerinnen haben bisher davon profitiert. In Hamburg unterstützt der Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ das Climb-Projekt seit Jahren finanziell.

Pro Schule können 45 Kinder betreut werden, dafür sind neun Ehrenamtliche zuständig. Das ergibt dann drei Klassen. Vormittags wird in zwei Lernzeiten Mathe und Deutsch geübt, nachmittags gibt es Projekte zu einem Motto wie auf der Veddel „Traumberufe“. Bei Climb wird vermittelt, wofür man im Leben Mathematik und Deutsch braucht, zum Beispiel, wenn ein Haus gebastelt wird, wo Maße sowie Statik stimmen müssen.

30 Prozent der Schüler verfehlen Mindeststandards in Deutsch

Wie wichtig Unterstützung für viele Grundschüler ist, zeigte erst kürzlich im Oktober das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen in seinem neuen Bildungstrend 2021 im Auftrag der Kultusministerkonferenz. Danach haben Viertklässler in Deutschland immer größere Probleme mit Schreiben verglichen mit vorangegangenen Untersuchungen 2011 und 2016. Bis zu 30 Prozent verfehlen die Mindeststandards in Deutsch.

Sie gestalten den Ferienunterricht: Psychologie-Studentin Jolin Einsiedler, Climb-Referentin Luisa Rösch, Veddel-Projektleiterin Zoe Vassiliadis (v. l.)
Sie gestalten den Ferienunterricht: Psychologie-Studentin Jolin Einsiedler, Climb-Referentin Luisa Rösch, Veddel-Projektleiterin Zoe Vassiliadis (v. l.) © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Der Schwerpunkt bei Climb liegt auf „Stärkenorientierung“, sagt Luisa Rösch, Referentin Kommunikation und Kooperation. „Wir fragen die Kinder: ,Was kannst du richtig gut?‘ Denn sie kommen meist mit einschränkenden Einstellungen über sich selbst in die Schule und denken dann schon im jungen Alter oft, ihre Optionen für die Zukunft seien nur Hartz IV oder Fußballspieler.“

Kinder haben häufig Stress im Elternhaus

Viele dieser Grundschüler leben in ärmlichen Verhältnissen in Stadtteilen, die wenig für Kinder bieten, dazu kommt häufig Stress im Elternhaus, zum Beispiel weil es Jobprobleme gibt und weil der Wohnraum sehr beengt ist. Ein Zoo-, Schwimmbad-, oder Museumsbesuch findet nie statt, Geld für Hobbys ist nicht übrig. Viele kennen nur ihren Stadtteil und machen dann mit Climb ihren ersten Ausflug in die Hamburger Innenstadt und zum Hafen.

Mit der „Sportler“-Klasse, einer Gruppe von fünf Mädchen und vier Jungen aus der Vorschule und der 1. Klasse, machen Sozialmanagement-Studentin Helen Hartmann (21) und Psychologiestudentin Jolin Einsiedler (26) gerade Mathe. Zu Beginn zeigen sie einen Zeichentrickfilm über Teamarbeit, in dem Tiere durch Zusammenarbeit Aufgaben bewältigen oder Gefahren abwehren wie eine Gruppe Pinguine, die sich trickreich vor einem Schwertwal schützt.

Zwischendurch ist immer wieder Bewegung notwendig

Dann erlernen die Kinder spielerisch Formen, spannen mit Gummibändern geometrische Figuren nach Vorlagen auf Holzbretter und biegen Buchstaben, Spiralen und Drei­ecke aus bunten Pfeifenreinigern. Es geht auch ums Teilen und Aufräumen ebenso wie um das Üben von Fingerfertigkeit. Die Lärmkulisse ist zwischendurch hoch, Bewegung wird nötig. Hartmann stellt Musik an, die Kinder tanzen und laufen herum und verharren in ihrer Bewegung, wenn die Musik aufhört. Stopptanz ist wie z. B. auch Meditation ein „Phasentrenner“, um zwei Unterrichtsabschnitte zu gliedern. Bei den Übungen bekommen alle Kinder viel Aufmerksamkeit und positive Verstärkung. Ein Kind wird gelobt: „Oh, du hast sogar zwei Formen gemacht!“, ein anderes sofort ermuntert, es noch einmal zu versuchen, als es sagt: „Das geht nicht!“

Nicht aufgeben, mutig und zuversichtlich sein, durchhalten und es weiter versuchen sind wichtige Lernziele bei Climb. Zoe Vassiliadis leitet das Projekt auf der Veddel. Die 20-Jährige studiert Lehramt für Gymnasien in Kiel und sammelt als Werkstudentin bei Climb Praxiserfahrung. „Im Studium ist Praxis bisher keine Pflicht“, sagt sie und findet das völlig unverständlich. Denn wer Wissen vermitteln möchte, sollte auch mit Kindern gut umgehen können. So sitzt eine kleine Schülerin bockig im Flur vor der Klasse und zerreißt mit grimmigem Gesicht ein Papier. Auch mit ihr werden Wege gesucht, aus der Situation herauszufinden. Alle schreiben einander zum Beispiel Briefe – ein Ausdruck des eigenen Befindens, und es kommt auch dem Schreiben zugute.

Feuer und Flamme für die neue Sprache Deutsch

Jolin Einsiedler will Schulpsychologin werden. Sie und ihre Kolleginnen bei Climb lernen, auch mit verzwickten Situationen umzugehen, und so können aus Lernhindernissen manchmal sogenannte Sternmomente werden: Einige Kinder aus Syrien und der Türkei wollten partout die deutsche Sprache nicht lernen. Grund war, dass sie dachten, sie müssten für immer in Deutschland bleiben, wenn sie Deutsch könnten. Nachdem sie von den Climb-Lehrerinnen viel über Länder und Sprachen in der Welt erfahren hatten, waren sie Feuer und Flamme für die neue Sprache. So haben letztlich Ehrenamtliche, Mitarbeiter und die Kinder jeweils eigene Erfolgserlebnisse und stärken ihre Selbstwahrnehmung.

Jede erfolgreich verstärkte Fähigkeit hat eine Farbe, und weil die Kinder auf der Veddel aus Hamburg sind, bekommen sie ein Blatt Papier, auf welches das Containerschiff „MS Climb“ gedruckt ist. Das können sie während der Lernferien mit verschiedenfarbigen Containern „beladen“, also entsprechend den Fähigkeiten, die sie erworben haben. „Ich habe Rücksicht genommen“, „ein Ziel erreicht“, „geholfen“ sind solche Fähigkeiten. Auch „Pläne umsetzen“ gehört dazu – so wünschen sich manche, endlich das kleine Einmaleins zu beherrschen, und wenn das dann gelingt, stärkt es auch das Selbstbewusstsein.