Eine Scheidung mit 50 ist für viele ein finanzielles Desaster. Vor allem Mütter verlieren – sie sind häufig in der Kümmerfalle.
Ausgerechnet zu Ostern. Warum musste es ausgerechnet an den Feiertagen sein? Ihr Mann hatte noch gestern mit ihr und den Kindern Eier gefärbt und am Abend bei einem Glas Wein die Schokolade für die Kinder versteckt. Sicher, eine gewisse Lieblosigkeit hatte sich eingeschlichen. Im Bett schauten sie lieber Serien, statt Zärtlichkeiten auszutauschen. Und zugegeben, sie hatten in den letzten Jahren mehr oder weniger nebeneinanderher gelebt, er absorbiert von seinem Beruf und sie beschäftigt mit den Kindern und ihrer Teilzeitstelle in einem Kindergarten.
Dennoch war es ein Schock, als er am Ostermontag verkündete: „Ich ziehe aus. Ich bin schon seit letztem Sommer in eine andere verliebt. Ich dachte, wir könnten hier noch etwas retten, aber ich habe mich entschieden. Ich will mit ihr zusammenleben.“ Brigitte, die in Wirklichkeit anders heißt, ist Mitte 40 als ihr Mann geht – und mittendrin in der Kümmerfalle. Ihr bleibt die Luft weg, als ihr bewusst wird, welch hohen Preis sie bezahlen wird dafür, dass sie gut 15 Jahre lang wesentlich mehr Zeit für die Familie aufgewendet hat als er. Sie erkennt, dass nicht nur ihr altes Leben Geschichte ist, sondern dass sie auch vor existenziellen Herausforderungen steht.
Späte Trennung von Paaren betrifft uns alle
Immer mehr Ehen scheitern in Deutschland kurz vor oder nach der Silberhochzeit. Die sogenannte späte Trennung ist ein Phänomen, das erst in jüngster Zeit in den Fokus der Forschung geraten ist. Waren Frauen im Jahr 2007 im Durchschnitt knapp 41 Jahre alt, wenn ihre Ehe auseinanderging, lag dieses Alter 2019 schon bei über 44 Jahren. Die späte Trennung ist eine Entwicklung, die nicht nur persönliche Lebensentwürfe betrifft, sondern uns alle.
Denn mit der Reform des Unterhaltsrechts von 2008 wurde die finanzielle Verantwortung für das Leben danach sofort auch zu denjenigen verschoben, die nicht die ganz Zeit über berufstätig waren, sondern den Laden zu Hause am Laufen hielten, die Kinder großzogen und eventuell auch die Eltern oder Schwiegereltern pflegten – und das sind nach wie vor im überwiegenden Maße Frauen. Und wenn diese es nicht schaffen, nach Jahren oder Jahrzehnten des Kümmerns um andere nun für sich selbst zu sorgen und genug Geld zu verdienen, verschiebt sich diese Verantwortung hin zum Staat. Also zu uns allen.
Dazu kommt, so die Sachverständigen im Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, dass die „Bereitschaft zur nachehelichen Solidarität“ gesellschaftlich gering ausgeprägt ist. Ein Satz, der nachdenklich machen sollte. Beweist er doch, was viele von uns erlebt haben: Das Einstehen füreinander gilt nur, solange eine Ehe besteht. Ist sie vorbei, endet auch die Anerkennung der geleisteten Familienarbeit. Wer, in welcher Form auch immer, für andere gesorgt hat, landet fast unweigerlich in der Kümmerfalle.
Der Arbeitsmarkt hat nicht gewartet
Frauen mit Ende 40, Anfang 50, trifft das besonders hart. Denn der Arbeitsmarkt hat nicht auf sie gewartet, ein Durchstarten, um die entstandenen Lücken in der Erwerbsbiografie zumindest noch etwas zu füllen, ist nur schwer möglich. Hinzu kommt eine in Deutschland weit verbreitete Altersdiskriminierung.
Als sei das nicht alles schon schwer genug, folgt auch noch der passende Vorwurf auf dem Fuß: Frauen, die sich in so einer Situation wiederfinden, seien daran selber schuld. Schließlich hätten sie sich ja freiwillig für eine Art von Arbeit entschieden, die unsichtbar ist, nicht anerkannt wird, nirgends als Wert an sich abgebildet ist.
Mutterschaft als lebenslange Strafe
„Motherhood Lifetime Penalty“, also lebenslange Strafe der Mutterschaft, nennen das die Forscher der Bertelsmann-Studie „Wer gewinnt? Wer verliert? Über die Absicherung von Lebenseinkommen durch Familie und Staat“ aus diesem Jahr. Ihre Ergebnisse auf den Punkt gebracht: Ein westdeutscher Mann, der heute Mitte 30 ist, kann mit einem mehr als doppelt so hohen Lebenseinkommen rechnen wie eine gleichaltrige Frau mit Kind.
Mütter verdienen auf ein ganzes Erwerbsleben gesehen ganze 62 Prozent weniger als Männer. Übrigens unabhängig davon, ob diese Väter werden oder nicht. Im Gegenteil: „Männer mit Kindern können sich über das gesamte Erwerbsleben über fast alle Geburtsjahrgänge hinweg durchschnittlich bis zu 20 Prozent mehr als kinderlose Männer erarbeiten“, ist in der Studie zu lesen. Und solange Mütter verheiratet sind, profitieren sie von dieser Einkommenssteigerung. Sobald aber die Ehe zerbricht, sind sie diejenigen, die im Regen stehen.
Entscheidung häufig für die Familie statt für das Geld
Ja, es ist richtig: Frauen treffen Entscheidungen für Familie und gegen eine Vollzeiterwerbstätigkeit. Aber sie tun es nicht aus Blauäugigkeit oder gar Feigheit oder Faulheit. Sie tun das, weil sie die Frage nach einem sinnerfüllten Leben anders beantworten. Weil ihnen ihre Liebsten wichtig sind, weil sie Zeit mit Kindern und gegebenenfalls auch unterstützungsbedürftigen Familienangehörigen verbringen wollen. Diese Entscheidung so zu treffen ist aber alles andere als ein Selbstverwirklichungstrip nach Bali oder ein Sabbatical für die Weltumsegelung. Mit dieser Entscheidung übernehmen sie Verantwortung für die Schwächsten unserer Gesellschaft. Diejenigen, die sich noch nicht oder nicht mehr selber helfen können.
Wir alle sollten ihnen dafür einen roten Teppich ausrollen. Stattdessen werden sie bedauert oder verlacht. Denn der Anspruch heute lautet: Bringt doch einfach Familie und Beruf unter einen Hut. Und klärt ganz nebenbei in eurer Partnerschaft auch noch, dass beides gerecht unter euch als Eltern aufgeteilt wird. Wer das nicht hinbekommt, erntet schnell Kopfschütteln. Hätte sie sich halt besser organisieren, durchsetzen, aufstellen müssen. Dass die Strukturen für eine echte Vereinbarkeit immer noch fehlen, dass auch im Jahr 2022 nicht genügend Kita-Plätze für unter Dreijährige und keine Ganztagsschulen zur Verfügung stehen, davon hört man mittlerweile wenig. Die Politik hat es geschickt geschafft, die Diskussion ins Private, in die Partnerschaften zu verlagern. Sollen eben beide mitanpacken, dann geht das schon.
Kümmer-Arbeit als Job anerkennen
Nein, geht es eben nicht. Immer noch ist die Elternarbeitszeit – 30 Stunden für Mütter und Väter – ein Utopie in vielen Unternehmen. Und immer noch übernehmen zu wenig Männer Verantwortung im Haushalt und reduzieren ihre Arbeitsstunden signifikant. Meist aus berechtigter Angst vor Karriereeinbußen.
Was also tun? Die dringendste Forderung: Kümmer-Arbeit endlich als Arbeit anerkennen und absichern. Es gibt schon lange Forderungen, in das deutsche Sozialversicherungssystem einen Kinderfaktor einzubauen, damit diejenigen abgesichert sind, die unser aller Steuer- und Rentenzahler von morgen groß ziehen.
Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Parallel dazu müssen die Bedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf endlich verbessert werden. Ganztagsschulen, kostenlose, qualitativ hochwertige Betreuungsangebote und Kindergärten ohne Schließzeiten sind das Mindeste. Und da durch das neue Unterhaltsrecht auch die Ehe keine Sicherheit mehr bietet, müssen sich auch Paare neu aufstellen, Stichwort Ehevertrag.
Sie müssen festlegen, wie die Person, die den größeren Teil der Sorgearbeit übernimmt, privat abgesichert wird. Und eine Idee ganz zum Schluss: Spätestens seit der Corona-Pandemie ist klar, dass Familien in Deutschland immer noch massiv benachteiligt werden. Wie wäre es deshalb, wenn die Regierung in Zukunft alle ihre Entscheidungen daraufhin überprüfen muss, welche Auswirkungen sie auf Frauen und Kinder haben? Andere Länder, Beispiel Neuseeland, machen das schon. Warum nicht auch wir?
Susanne Garsoffky, Britta Sembach: Die Kümmerfalle. DVA, 2022, 270 Seiten, 18 Euro
Der ganze Podcast mit Susanne Garsoffky unter www.abendblatt.de/podcast/Von-Mensch-Zu-Mensch