Fanny Boyn, Fan-Beauftragte des Hamburger SV, sorgt dafür, dass auch Menschen mit Behinderung ihren Platz im Stadion finden.
Wenn sich an den Spieltagen die Fans eines Vereins ins Fußballstadion aufmachen und dort zwei Halbzeiten lang mit ihrer Mannschaft fiebern, singen und jubeln, dann wirkt es meist wie eine homogene Masse, die da von den Rängen für eine unvergleichliche Kulisse sorgt. Und doch ist das Gegenteil der Fall: Jeder Fan bringt zum Spiel seiner Mannschaft seine eigene Geschichte mit – und manchmal eben auch eine Behinderung.
Fanny Boyn könnte darüber Stunden erzählen – oder auch kompakt eine gute halbe Stunde, wie in der neuen Folge des Abendblatt-Podcasts „Von Mensch zu Mensch“. Die 45-Jährige arbeitet beim Hamburger Sport-Verein (HSV), ist dort als Fanbeauftragte mit Schwerpunkt Inklusion tätig, und schon an dieser Bezeichnung lässt sich ihre Überzeugung erkennen. Viele Fußballvereine beschäftigen noch heute „Behindertenbeauftragte“, die sich dann meist ehrenamtlich mit barrierefreien Zugängen und anderen Möglichkeiten der Teilhabe beschäftigen.
Jede Menge Aufklärungsarbeit
Doch über diesen Punkt ist der HSV längst hinaus, Fanny Boyn ist fest beim Verein angestellt und kümmert sich 30 Stunden pro Woche nur darum, das Thema Inklusion im Verein selbst und unter den Anhängern voranzutreiben. „Unsere Fans müssen lernen, wie wir Inklusion verstehen, wie wir das leben, dass Inklusion eben nicht immer nur mit einer Ticket-Ermäßigung zu tun hat“, erzählt Fanny Boyn im Gespräch. „Da leisten wir noch immer eine Menge Aufklärungsarbeit, und spätestens dann merkt man auch, dass das Thema auch in der Gesellschaft noch gar nicht so richtig angekommen ist, weil man eher noch den Schwerpunkt darauf legt, das Problem zu sehen und nicht die Lösungen dafür.“
Im Volksparkstadion können bereits heute Menschen mit den verschiedensten sichtbaren und nicht sichtbaren Behinderungen die Heimspiele des Hamburger SV erleben. Für Fans mit einer Sehbehinderung gibt es die Möglichkeit, über Kopfhörer eine beschreibende Reportage zu verfolgen, Zuschauende mit einer Hörbehinderung werden von einem Gebärdendolmetscher begleitet, der nicht nur Fangesänge übersetzt, sondern auch Ansagen des Stadionsprechers.
Rollstuhlfahrer haben eine eigene Tribüne, obwohl auch hier das Ziel sei, den Fans so viele Bereiche wie möglich zugänglich zu machen und sie nicht in einem einzigen Areal zu „ghettoisieren“. Auch für Menschen mit einer nicht sichtbaren Behinderung wie zum Beispiel Autismus, Angststörungen oder Epilepsie gibt es erste Angebote. So soll beispielsweise der Ankerplatz auf der Nordtribüne demnächst als Rückzugsort für Fans zur Verfügung stehen, die sich während eines Spiels überlastet fühlen.
Pionierarbeit im Stadion
Dass der Hamburger SV seit 2017 im Bereich Inklusion im Stadion Pionierarbeit leistet, ist auch und vor allem Fanny Boyn zu verdanken. Die Schulungskonzepte für Ordnerinnen und Ordner, die sie 2017 als eines ihrer ersten Projekte erstellte, sind inzwischen in der Bundesliga und in der 2. Liga standardisiert, selbst im Ausland ist ihre Expertise gefragt. Worum es dabei geht? Im Kern um die Vermittlung von Wissen.
„Damals haben wir Ordner, Volunteers und eben auch die Fans mit Behinderung gefragt, wo gibt es Probleme? Und da kam eindeutig raus, dass viele Fans das Gefühl haben, dass über ihre Behinderungen einfach zu wenig Wissen da ist“, erzählt Fanny Boyn. „Da werde ich zum Beispiel nie vergessen, wie ein Rollstuhlfahrer zu mir sagte: ,Ich habe auch das Recht, am Eingang kontrolliert zu werden.‘“ Ordnerinnen fuhren selbst im Rollstuhl einmal die steile Rampe hinauf oder ließen sich von Kollegen zu ihrem Platz führen, weil sie nichts sahen. Das Echo auf diese Schulungen sei enorm gewesen. „Am Ende geht es ja nur um das eine: Wir müssen für alle die gleichen Bedingungen schaffen, aber trotzdem das Besondere berücksichtigen.“
Den Podcast dazu hören Sie unter: www.abendblatt.de/podcast/von-mensch-zu-mensch