An der Hamburger Elbinselschule lernen alle Schüler, wie gewaltfreie Kommunikation funktioniert – unterstützt vom Abendblatt- Verein.
Es ist kurz nach 12 Uhr mittags. Auf dem Schulhof der Elbinselschule in Wilhelmsburg rufen Jungen und Mädchen laut durcheinander, verschiedene Gruppen rangeln miteinander. Aus Hinterherlaufen und Festhalten wird schnell Geschubse, schließlich landet ein Schüler unsanft auf dem Boden. Eine Lehrerin, die Aufsicht führt, greift ein und klärt die Situation, bevor ein Streit entsteht: Denn auch kleine Menschen fühlen schon viel Ärger, können dafür aber selten Worte finden und ihre Gefühle adäquat ausdrücken. Das mündet oft in Tätlichkeiten und so gehört Schulsozialarbeit dauerhaft an jede Schule. An der Elbinselschule ist deswegen ein Projekt zu gewaltfreier Kommunikation gestartet, finanziell unterstützt vom Verein Hamburger Abendblatt hilft e. V.
Lehrerin Petra Verhoeven wandte sich an den Abendblatt-Verein, weil sie das Projekt „Gewaltfreie Kommunikation mit der Giraffensprache“ nach dem Modell des Psychologen Marshall B. Rosenberg – weiterentwickelt von Evi und Sven Schöllmann – flächendeckend in der gesamten Schule einführen möchte. „In vier Schritten lernen die Kinder, ihre Konflikte selbstverantwortlich und nachhaltig zu klären. Die Giraffe, die von allen Landtieren das größte Herz besitzt, ist dabei das Symboltier für eine Sprache, die sich an Gefühlen und Bedürfnissen orientiert und Verbindung schafft. Mit dem Wolf versuchen die Kinder der anderen Seite ihren Standpunkt zu erklären.“ Die vier Schritte dabei sind Beobachtung: „Was ist geschehen?“, Gefühl: „Wie geht es mir?“, Bedürfnis: „Was brauche ich?“ und die Bitte: „Wie kann mein Bedürfnis erfüllt werden?“
Es gibt Giraffen- und Wolfssprache
Angefangen hat Verhoeven schon mit ihren Schülern der 3. Klasse, die nun im dritten von zehn Schulungsmodulen die Giraffen- und Wolfssprache kennenlernen sollen. Nach dem Mittagessen geht es los für die zwölf Mädchen und sechs Jungen: Sie bilden einen Sitzkreis. In dessen Mitte liegen Handpuppen – ein Wolf und eine Giraffe – und einige umgedrehte Zettel. Zunächst fragt Verhoeven: „Was macht der Wolf?“ Er greife an, beschuldige und schimpfe, ärgere sich und andere, sagen die Schüler. Das drücken sie auch selber lebhaft aus, mit Gesten, Rufen und Geräuschen. Und die Giraffe? „Sie stellt Fragen, zum Beispiel ,Wie geht es dir?‘ oder ,Was brauchst du?‘, und wenn es ihr nicht gut geht, sagt sie ,Ich bin traurig‘ oder ,verwirrt‘.“ Das haben die Kinder aus der letzten Lernstunde schon behalten.
Nun lesen einige Schüler nacheinander jeweils einen der Zettel vor und ordnen ihn einer Sprache zu: Die aggressiven werden unter „Wolfssprache“ an eine Magnettafel geheftet, die verständnisvollen unter „Giraffensprache“. Den Spruch „Nie lasst ihr mich mitspielen. Ihr seid gemein“ will Mohammed unter „Giraffensprache“ heften, da gibt es gleich Protest und Diskussion. Schließlich einigen sich die Kinder, dass diese Worte besser zum Wolf passen. Auch das Wort „lahm“ landet beim Wolf, was Eftelya begründet: „Das Wort sagt man nicht so oft zu anderen, das ist unhöflich.“
Und alle erkennen sofort, dass Aussagen mit „bitte“ zur Giraffe gehören. Begeistert nehmen die Schüler die Handpuppen zu Hilfe und lassen diese scheinbar die Sätze sprechen. Abdul liest laut: „Ich wünsche mir, dass du beim nächsten Spiel den Ball öfter abgibst.“
Er hat die Wolfspuppe über die Hand gezogen – doch schnell muss er zur Giraffe wechseln. Alle wollen drankommen und vorlesen bei den Übungen, allein oder in einer Gruppe. Lehrerin Verhoeven motiviert und lobt: „Ihr habt schon sehr gut erkannt, wann die Giraffe spricht und wann der Wolf.“
Fußmatten mit Herzen drücken Gefühle aus
Mit weiteren Materialien – Fußmatten wie einer roten mit aufgedrucktem Herz, mit Pflanzen und Stühlen mit Giraffenmotiven – sollen bald überall in der Schule kleine Rückzugsecken für die Streitschlichtung entstehen, mit oder ohne Lehrerinnenbeteiligung – finanziert vom Abendblatt-Verein. Viktorija findet die Giraffenecke zur Streitklärung wichtig: „Am liebsten mit einer Lehrerin – einer ist Wolf, einer Giraffe.“
Emilia sagt: „Die rote Matte steht für Gefühle und hilft uns, mit anderen zu kommunizieren.“ Für Melike kommt heftiger Streit auch unter besten Freundinnen vor, und sie sagt, „da hilft die Giraffensprache auch schon ein bisschen“. Ceylin findet die Giraffenecke besonders gut zum Klären des typischen Streitthemas „Eine Schülerin will immer bestimmen“.
Tatsächlich gibt es in der „Walklasse“ von Petra Verhoeven an diesem Tag einen Streit um das Schubsen zwischen Schülerinnen, der in der Ecke außerhalb der Klasse geklärt werden soll. Doch der Ärger sitzt noch zu tief bei den beiden Neunjährigen. Verhoeven beendet die Diskussion schließlich und besteht zum Abschluss auf einem zustimmenden „Ja“ von beiden Mädchen, damit ihre Entscheidung gilt.
„Die Sprache ist ein großes Problem“, sagt sie. „Weil die Kinder sich nicht richtig ausdrücken können, werden sie aggressiv.“ Darum besteht ein Großteil von Verhoevens pädagogischer Arbeit im Erklären von Wörtern. Fruchtbar ist dies auch für das Projekt zur gewaltfreien Kommunikation, von dem die Schüler durchweg angetan sind. Sie machen bei jeder Übung eifrig und aufmerksam mit. Eftelya hat gelernt: „Man sollte nicht sofort angreifen.“
Hilfsbereitschaft ist auch wichtiges Thema
Höflichkeit, Respekt, gute Umgangsformen waren schon vorher wichtige Lernziele für Petra Verhoeven. Und Hilfsbereitschaft ist auch ein wichtiges Thema. Sümeyra fegt den Klassenraum, Emilia räumt mit auf und hakt auf einem Klemmbrett die einzelnen Aufgaben ab. Das machen Schüler der Walklasse regelmäßig und freiwillig.
Nun wird auch noch mehr Empathie füreinander durch das Projekt „Von der Wolfssprache zur Giraffensprache“ angeregt und gestärkt – mit viel Spaß, Körperübungen und Reflektieren darüber, wie die Schüler am besten Konflikte miteinander lösen können.