Wer Demenzkranke im Sterbe- und Trauerprozess unterstützen möchte, braucht viel Empathieund den Mut, ungewohnte Wege zu gehen
Als Jana Kloss (35) im Winter 2020 im Pflegeheim die ehrenamtliche Begleitung von Isolde Puck (Name geändert) übernahm, war die demenziell erkrankte alte Dame noch ansprechbar. „Frau Puck lebte in ihrer Kindheit und hatte Freude daran, wenn ich ihr aus Kinderbüchern vorgelesen oder von meinem Sportunterricht erzählt habe“, erinnert sich die Grundschullehrerin, die für den ambulanten Hospizdienst der evangelischen Stiftung Bodelschwingh in Winterhude im Einsatz ist. „Dann pflichtete sie mir bei, dass sich Kinder viel bewegen müssen.“
Als die 95-Jährige sechs Wochen später das Bett nicht mehr verlassen konnte und verstummte, erzählte Jana Kloss ihr von ihrem Schulalltag, streichelte ihre Hände und saß die meiste Zeit in stillem Gewahrsein an ihrer Seite. „Ich bin davon überzeugt, dass ein Mensch bis zum Schluss spüren kann, wenn ein anderer für ihn da ist“, sagt die Ehrenamtlerin. „Für mich sind solche Momente eine Chance, von der Alltagshektik herunterzukommen und in eine tiefe Ruhe einzutauchen.“ Bis heute denkt sie gern an die dreimonatige Begleitung bis zu Frau Pucks Tod zurück.
Angehörige haben Angst vor der Sprachlosigkeit
Koordinatorin Uta Reimers hat in ihrem Team auch Ehrenamtliche, die sich nicht wie Jana Kloss gern auf die Sterbebegleitung eines Menschen mit fortgeschrittener Demenz einlassen. „Viele haben Angst vor der Sprachlosigkeit und können das Nichtstun schwer aushalten“, sagt sie. Ihre Aufgabe ist es, über Pflegende und Angehörige biografische Daten zum Begleiteten einzuholen, die zum Gerüst für die Begegnung werden können.
Denn wer die Vorlieben und Wünsche seines Gegenübers kennt, kann leichter eine Atmosphäre des Wohlbefindens schaffen und Sicherheit vermitteln. Außerdem begleiten die Ehrenamtlichen bei Bedarf auch Angehörige, die bei der Sterbebegleitung ihrer demenziell erkrankten Verwandten leicht zu Extremen neigen: Entweder ziehen sie sich – wie auch die beiden Kinder von Frau Puck – ganz zurück oder sie neigen zur Selbstaufopferung, weil sie den Erkrankten nicht loslassen möchten.
Demente können jahrelang immobil sein
„Wer demenziell Erkrankte begleitet, braucht einen langen Atem. Er sollte gut für sich sorgen und sich frühzeitig Unterstützung holen, um nicht auszubrennen“, sagt die Hamburger Diplomgerontologin Margret Schleede-Gebert, die seit vielen Jahren medizinisches Personal, Ehrenamtliche und pflegende Angehörige unter anderem zum Thema „Sterbebegleitung von Menschen mit Demenz“ schult. Sie betont, dass bei Erkrankten das Sterben der Persönlichkeit und die Trauer über den Verlust der Fähigkeiten oftmals lange Zeit vor dem eigentlichen Tod stattfinden.
„Demenziell Erkrankte sterben in dem Sinne anders, dass sie sich dessen nicht bewusst sind“, sagt sie. „Und sie können abhängig von der Art der Demenz manchmal über Jahre immobil und sprachlos sein. Mein wichtigster Appell ist: Gehen Sie zu den Menschen! Regen Sie die Sinne an, geben Sie Sicherheit und kreieren Sie eine freundliche, helle Atmosphäre. Und lassen Sie Sorgen, Angst und Hektik möglichst draußen vor der Tür. Denn die Erkrankten sind in der Lage, mit ihren feinen Antennen all unsere Stimmungen wahrzunehmen.“ Man könne gemeinsam Musik hören, mit sanftem Streicheln „Handgespräche führen“, das Haar kämmen oder – sofern keine Schluckbeschwerden vorliegen – ein wenig von der Lieblingseiscreme auf die Lippen geben.
Ein vertrautes Miteinander schaffen
Margret Schleede-Gebert erzählt, dass sich ein Sohn täglich zum Zeitunglesen zu seiner schwer dementen Mutter setzte: Das Rascheln des Papiers und ab und zu ein Kommentar zum Tagesgeschehen bildeten den Rahmen für ein vertrautes Miteinander. „Der Begleiter sollte intuitiv vorgehen und aufmerksam beobachten: Er wird immer über Mimik, Gestik und Körperspannung eine Rückmeldung bekommen, ob der Kontakt angenehm ist. Ein demenziell Erkrankter kann sich nicht verstellen, er ist immer echt.“
Außerdem können genaue Beobachtungen dabei helfen zu beurteilen, ob ein Erkrankter, der sich nicht mehr äußern kann, unter Schmerzen leidet. Ein Leitfaden dazu gibt es im Internet zum Herunterladen unter www.paic15.com.
Oftmals keine Traueranzeichen
Wenn im Umfeld des Demenzkranken ein vertrauter Mensch wie etwa der Partner oder die Partnerin stirbt, kann nur für jeden Einzelfall entschieden werden, ob und wie die Nachricht überbracht werden soll. In einem frühen Stadium der Erkrankung zeigen Betroffene ganz normale Trauerreaktionen. Wenn eine Alzheimer-Demenz fortgeschritten ist, lebt der Erkrankte – oft in Gesellschaft mit längst verstorbenen Eltern oder Geschwistern – in der Vergangenheit und kann das Geschehen nicht reflektieren. Wohl aber kann er beim Gegenüber die Trauer wahrnehmen und mit Irritation und Anspannung bis hin zu Verhaltensauffälligkeiten reagieren, wenn dieses Gefühl überspielt wird.
Bei einer vaskulären Demenz mit partiellen Ausfällen kann der Erkrankte eventuell die Todesnachricht begreifen, zeigt aber vielleicht keine Traueranzeichen. „Es gibt bei diesem Thema kein richtig oder falsch“, sagt Margret Schleede-Gebert. „Wenn der Betroffene aufgebracht reagiert, würde ich den Tod kein zweites Mal thematisieren. Es kann gut sein, dass die Nachricht im nächsten Moment bereits vergessen ist. Wenn der Erkrankte immer wieder nachfragt, warum der Verstorbene nicht kommt, sollte das Gegenüber nicht insistieren und ohne zu lügen auf das Gefühl des Vermissens eingehen. Man könnte beispielsweise sagen: ,Ach, wäre es schön, wenn XY jetzt hier bei uns wäre …‘, und einen Raum für das gemeinsame Erinnern schaffen.“
Genauso individuell sollte entschieden werden, ob der demenziell Erkrankte seine Familie auf die Beerdigung begleiten kann. „Angehörige müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie den Dementen nicht mehr fragen können, ob er mitkommen möchte. Sie müssen die Rolle des Entscheiders übernehmen und können beispielsweise Rücksprache mit den Pflegekräften halten“, sagt Margret Schleede-Gebert. „Ich frage Angehörige in solchen Fällen nach ihren schlimmsten Befürchtungen und wie sie in diesen Situationen reagieren könnten. In jedem Fall sollte vor Ort immer eine Person für den Erkrankten da sein und ihm zur Seite stehen, auch um bei Unruhe gemeinsam die Trauerfeier zu verlassen.“
Mit den Sterberitualen vertraut
Anders als bei Kindern oder Menschen mit Behinderung muss demenziell erkrankten alten Menschen der Tod nicht erklärt werden. Trauerrituale und ein Sarg sind ihnen aufgrund der Lebenserfahrung vertraut und können je nach Ausmaß der kognitiven Einschränkung die Möglichkeit bieten, für den Moment den Tod zu begreifen. Im nächsten Moment kann dies schon wieder anders sein. „Demenzkranke haben meist das Glück, nicht mehr um einen geliebten Menschen trauern zu müssen“, sagt Margret Schleede-Gebert.
Die ambulanten Hospizdienste in Winterhude und die Stiftung Bodelschwingh starten Ende Februar 2022 gemeinsam einen neuen Ausbildungskurs für Ehrenamtliche. Infos Tel. 27 80 57 58.
Demenz-Expertin Margret Schleede-Gebert spricht im Podcast Von Mensch zu Mensch über Sterbebegleitung. www.abendblatt.de/podcast/von-mensch-zu-mensch