Zwei Künstlerinnen, die ihre Werke für eine Benefiz-Auktion des Hamburger Hospiz e. V. spenden, erzählen die Geschichte ihrer Heilung.
Wenn das Sonnenlicht in den großen Gruppenraum im Hamburger Hospiz in Altona fällt, beginnen zwei der für die diesjährige Benefiz-Auktion „neunuhrsechzig“ ausgestellten Kunstwerke zu leuchten: „Licht am Ende des Tunnels“ hat Sieglinde Otte-Lett (73) ihren 2,20 Meter mal 2,20 Meter großen Quilt getauft, bei dem auf tiefblauem Grund die Sterne strahlen. „Sonnenaufgang“ heißt das Bild auf transparentem Acrylglas von Anneke Gräper (45), das mit dem Lichteinfall Wärme und Zuversicht ausstrahlt. Beide Frauen möchten aufgrund eigener Krankheits- und Verlusterfahrung mit ihrer Kunstspende die Hospizarbeit unterstützen.
„Die meisten der beteiligten Künstlerinnen und Künstler haben selbst schon Trauer und Krankheit erlebt oder einen sterbenden Angehörigen begleitet“, sagt Psychologin Angela Reschke, die zum mittlerweile neunten Mal anlässlich des Hospiztages am 9. Oktober und der anschließenden Hospizwoche eine Benefiz-Ausstellung in den Räumen des Hamburger Hospizes organisiert hat. „Und manches Mal erfahren wir auch, dass bei ihnen über die künstlerische Beschäftigung eine Annäherung und Aussöhnung mit dem Thema Tod stattfinden konnte.“
Zwei Krebserkrankungen musste sie verkraften
Die kurz nach Kriegsende geborene Sieglinde Otte-Lett hat sich den Weg zu ihrer Kreativität selbst mühsam bahnen müssen. „Ich bin in der Nachkriegszeit dazu erzogen worden, immer praktisch und nützlich zu handeln“, erzählt die ehemalige Verwaltungsbeamtin, die seit ihrem 13. Lebensjahr gern an der Nähmaschine sitzt. Deshalb konzentrierte sie sich früher darauf, Kleidung für die beiden Töchter zu nähen. Ihre erste Patchwork-Decke entstand in den 1970er-Jahren. Seither sammelte Sieglinde Otte-Lett Stoffe, doch der Beruf ließ ihr kaum Zeit zum Quilten.
Als zwei Krebserkrankungen ihr Leben erschütterten, musste sie zudem verkraften, dass ihre Töchter den Kontakt zu ihr abbrachen. „Das war für mich ein großer Schock“, sagt Sieglinde Otte-Lett. In einer Gesprächstherapie suchte sie vergeblich nach den Gründen und fragte sich, was sie falsch gemacht hatte. Erst eine Kunsttherapie bei der Hamburger Krebsgesellschaft half ihr, mit den eigenen Gefühlen in Kontakt zu kommen. „Dadurch habe ich gelernt, meinen Kopf und den inneren Richter auszuschalten und zu spüren, was wirklich in mir vorgeht“, erinnert sie sich. „Das hat mir geholfen, mich zu sortieren, meinen beruflichen Ehrgeiz loszulassen und den Blick nach vorn zu richten.“
Während der Chemo Ideen für Quilts entwickelt
Noch geschwächt von der Chemotherapie begann sie, ihre vielen Stoffe zu sichten, sich an ihrer Haptik und der Farbvielfalt zu erfreuen und erste Ideen für Quilts zu entwickeln. Seit Sieglinde Otte-Lett 2012 in den vorzeitigen Ruhestand gegangen ist, sitzt sie nahezu täglich für mehrere Stunden an der Nähmaschine und gibt sich dem Flow der künstlerischen Tätigkeit hin. Nachdem die bunte Oberfläche, das Futter und die Rückseite zusammengenäht worden sind, nimmt sie sich die Zeit, um den letzten Arbeitsschritt zu zelebrieren: Dann werden bestimmte Formen, die auf der Decke besonders betont werden sollen, zu klassischer Musik von Hand gequiltet.
„Das ist für mich purer Genuss und meine Art der Meditation“, sagt sie lächelnd. „Aus dem Hobby ist für mich längst eine Therapie geworden. Denn das Quilten vertreibt meine Depressionen und gibt mir jeden Tag das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.“ Alle Kunstwerke, die die heimische Werkstatt verlassen, hat Sieglinde Otte-Lett für soziale Einrichtungen gespendet. Mit ihrem farbenprächtigen Quilt „Licht am Ende des Tunnels“, mit dem sie auch ihre Gefühle im Corona-Jahr verarbeitet hat, ist die Künstlerin bereits zum achten Mal bei einer Benefiz-Auktion im Hamburger Hospiz vertreten.
Das Kind starb kurz vor Geburt im Mutterleib
Neu dabei in diesem Jahr ist die professionelle Künstlerin Anneke Gräper, die in Toulouse Kunst studiert hat. Die Hamburgerin hatte sich bereits einige Jahre mit der Gestaltung von Collagen, Bühnenbildern und Installationen beschäftigt, als 2010 ihr erstes Kind drei Wochen vor dem Geburtstermin im Mutterleib verstarb. „Ich konnte mir damals nicht vorstellen, dass nach Lorenz’ Tod mein Leben weitergeht“, erinnert sie sich. „Mein künstlerischer Ausdruck war total blockiert. Es war, als würde mich ständig ein innerer Kritiker bewerten: So meinst du also, deine Trauer verarbeiten zu können?“ Anneke Gräper fand Trost in der Natur, widmete sich intensiv der Grabbepflanzung und schrieb auf dem Friedhof Gedichte, die sich mit dem Verlust beschäftigten.
Nach einem halben Jahr lernte sie durch die französische Künstlerin und Kunsttherapeutin Nicole Félicia Brémond das „geführte Zeichnen“ kennen. Mit geschlossenen Augen entwickelte Anneke Gräper ein Gespür dafür, wie ihre Hand mit einem Stift über das Papier gleiten möchte. Mit etwas Übung konnte sie schließlich auch mit offenen Augen und unter Einsatz verschiedener Materialien innere Bilder am Bewusstsein und dem inneren Zensor vorbeilotsen und zu Papier bringen. „Beim Resultat hatte ich immer das Gefühl, dass es irgendwie stimmig war und meinen inneren Prozess abbildet“, sagt sie. „Es war erleichternd und heilsam, meine Trauer nicht intellektuell zu bewältigen, sondern durch den kreativen Prozess zu äußern. Dadurch habe ich gelernt, nicht mehr so viel zu wollen. Sondern es geschehen zu lassen, wenn sich etwas aus meinem Inneren ausdrücken möchte.“
Lichtobjekte auf Acrylglas
Anneke Gräper, die inzwischen noch einen siebenjährigen Sohn und eine fünfeinhalbjährige Tochter hat, erlebte so, wie sich mit der Zeit die Trauer um ihren ersten, still geborenen Sohn wandelte: vom Schmerz zu einem warmen Gefühl und einer Sehnsucht nach einem Kind, das sie nie wirklich kennenlernen durfte. Wenn sie sich heute vor dem Malen sammelt und ihre inneren Bilder als spannende Lichtobjekte auf Acrylglas bringt, erlebt sie immer wieder, wie sich diese Sehnsucht Bahn bricht. „Ich sehe diesen Ausdruck in meinem Bild, aber jeder sieht ja in Kunst etwas anderes“, sagt sie. Wenn es durch das einfallende Licht so wirkt, als würde bei ihrem Lichtobjekt „Sonnenaufgang“ tatsächlich eine Sonne hinter einem Berg aufgehen, fühlt sich Anneke Gräper ihrem verstorbenen Sohn ganz nah. „In solch strahlenden Momenten habe ich das Gefühl, dass Lorenz kurz einmal um die Ecke schaut“, sagt sie lächelnd.
Um interessierten Trauernden die Möglichkeit zu geben, ihre Gefühle mit kreativen Methoden zum Ausdruck zu bringen, bietet das Hamburger Hospiz in diesem Jahr am 30. Oktober und am 11. Dezember erneut das kostenfreie Tagesseminar „Trauer in Form und Farbe“ an. „Beim kreativen Gestalten kann ein Selbstgespräch mit großen Überraschungsmomenten entstehen“, sagt Angela Reschke. „So kann zum Vorschein kommen, was in uns verborgen ist oder sich nur schemenhaft zeigt. Im geschützten Rahmen der Gruppe kommt bei Trauernden manches in Fluss.“
Eine Anmeldung für das Seminar „Trauer in Form und Farbe“ ist unter trauer@hamburger-hospiz.de oder Tel. 040/389 07 52 05 möglich.
Die Ausstellung „neunuhrsechzig“ wird am Welthospiztag am 9.10. im Hamburger Hospiz eröffnet und kann bis zum Versteigerungsende am 12.12. in der Helenenstraße 12 oder online unter: auktion.hamburger-hospiz.de/start.php besichtigt werden. Gebote sind möglich ab zehn Prozent des Verkaufspreises.
Der internationale Aktionstag bildet den Auftakt zur Hamburger Hospizwoche vom 10. bis 17. Oktober, bei der zahlreiche kostenlose Veranstaltungen vor Ort oder digital über das Hospizwesen und Palliativarbeit, ehrenamtliche Mitarbeit und alle Fragen rund um die Versorgung am Lebensende informieren. Alle Infos zum Programm unter www.welthospiztag-hamburg.de