Hamburg. Der Verein versorgt sterbenskranke Kinder palliativ zu Hause, begleitet die Eltern und sorgt so für deren Entlastung.

Das Foto, das Sonja Heuer an die Mensch-Redaktion schickt, zeigt drei strahlende Frauen. Sophie, die in der Mitte steht, hat gerade ihren Realschulabschluss bestanden. Die ältere Schwester Jana und die Mutter sind sichtlich stolz auf die 16-Jährige. Doch an diesem Tag, dem 28. Juni 2019, klagte Sophie schon über Schwindel und Übelkeit. Ein paar Tage später wurde sie mit dem Rettungswagen ins Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) gefahren.

Die Diagnose: ein unheilbarer Gehirntumor. „Das kam für uns wie aus heiterem Himmel, von den ersten Symptomen bis zur Diagnose vergingen fünf Wochen. Im Sommer konnte Sophie dann schon kaum mehr laufen, es war über Monate ein Auf und Ab, am Schluss war sie blind und nicht mehr sie selbst“, sagt Sonja Heuer (46). Ihr Arbeitgeber stellte die Mutter für die Pflege ihrer Tochter frei, auch Jana (23) kündigte ihren Job, um ganz für ihre Schwester dazu sein.

Ohne den Verein wäre sie zusammengebrochen

Von Anfang an wurde die Familie vom Verein KinderPaCT betreut und bis zum Ende begleitet. „Ohne die Mitarbeiterinnen von KinderPaCT hätte ich die Situation nicht durchgehalten, ich wäre zusammengebrochen. Egal, wann wir sie brauchten, Tag oder Nacht, sie waren immer für uns da“, sagt Sonja Heuer.

Der Hamburger Verein feiert dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen und hat in dieser Zeit 421 lebensbegrenzt erkrankte Kinder versorgt. „Kinder Palliativ Care Team für Hamburg e. V.“ – kurz KinderPaCT – setzt sich für die Versorgung dieser Kinder und Jugendlichen von null bis 25 Jahren in ihrem Zuhause ein. Er ermöglicht mit seinem multiprofessionellen Team, bestehend aus Kinderärzten, Pflegekräften, psychosozialen Mitarbeitern, einem Psychologen und einer Musiktherapeutin, dass die Familien in der letzten Lebensphase ihres Kindes maximal entlastet werden und dass der Patient nicht leiden muss.

Die Eltern haben mehr Zeit mit ihrem Kind

„Uns ist es wichtig, dass wir den Familien dadurch mehr Zeit miteinander geben, Zeit, die sie nutzen und genießen können, um es sich gemeinsam noch einmal schön zu machen“, sagt Kirsten Mainzer, Mitbegründerin und Geschäftsführerin von KinderPaCT, im Podcast „Von Mensch zu Mensch“.

Die ausgebildete Kinderkrankenschwester mit Schwerpunkt Palliativversorgung kümmert sich vor allem um die sozialrechtliche Beratung der Familien, also zum Beispiel um die Anträge bei den Krankenkassen, um Hilfsmittel, das Krankengeld für die Eltern, Atteste für die Schule und den Schwerbehindertenausweis. „Wichtig für die Eltern ist, zu erfahren, was sie alles an Hilfen bekommen können“, sagt die 51-Jährige. Manchmal begleitet KinderPaCT die Familie über drei bis vier Jahre, kommt in akuten Krisensituationen, „aber dann machen wir zwischendurch auch immer mal wieder eine Pause, wenn es gut läuft und die Familie stabil ist“.

Sonja, Sophie und Jana Heuer (v.l.) beim Schulabschluss - Sophie hatte da bereits den Gehirntumor.
Sonja, Sophie und Jana Heuer (v.l.) beim Schulabschluss - Sophie hatte da bereits den Gehirntumor. © Heuer | Heuer

Zu Familie Heuer kamen die Pfleger von KinderPaCT in den letzten Wochen vor Sophies Tod im August 2020 zweimal täglich. „Wir wurden gut von den Ärzten und Pflegern auf Sophies Tod vorbereitet. Es gab ein festes Team, damit sie sich nicht immer an neue Leute gewöhnen musste. Aber ich konnte auch fast alles Pflegerische, das haben mir die Schwestern gezeigt. Für mich war das ein letzter Dienst an Sophie“, sagt Sonja Heuer und kann die Tränen nicht mehr zurückhalten.

Schon mit acht Monaten hatte Sophie einen Gehirntumor

Es war bereits das zweite Mal, dass sie um das Leben ihrer Tochter kämpfen musste, denn schon mit acht Monaten hatte Sophie einen Gehirntumor, lag monatelang im Krankenhaus. „Damals war das ein einziger Kampf mit der Krankenkasse, so kräfteraubend, jetzt wurde mir das alles abgenommen“, sagt die Mutter.

So konnte sie auch in Ruhe mit ihrer Tochter besprechen, wie sie beerdigt werden möchte. Sie liegt nun unter einem großen Baum – einen Großteil der Beerdigungskosten hat der Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ übernommen. „Am schwersten fiel es Sophie, uns loszulassen. Doch sie hat sich zum Schluss auf das Ende gefreut, sie wollte Frieden haben“, sagt ihre Schwester Jana, die regelmäßig Besuch vom KinderPaCT-Psychologen bekam: „Ich konnte alles ansprechen, was ich auf dem Herzen hatte, das half.“

Erinnerungscafé einmal im Jahr

Mit dem Tod der Patientin ist die Betreuung der Familie eigentlich vorbei. „Doch wir halten oft noch Kontakt zu den Eltern, fragen nach, wie es ihnen geht und laden sie vor allem zum Erinnerungscafé ein, das wir einmal im Jahr veranstalten“, berichtet Kirsten Mainzer.

Diesen Termin hat auch Familie Ketelsen jedes Jahr fest im Kalender eingetragen. „Da gehen wir immer hin. Auch unsere drei Kinder lassen alles stehen und liegen, um dabei zu sein. Denn da treffen wir alle Pfleger und Ärztinnen von KinderPaCT wieder, können sie noch mal drücken und Danke sagen“, sagt Stefanie Ketelsen. Und sie erinnern sich dann alle gemeinsam an Pelle, den Sohn der Ketelsens, der im Alter von vier Jahren gestorben ist.

Kirsten Mainzer leitet den Verein KinderPaCT und spricht darüber im Podcast „Von Mensch zu Mensch“.
Kirsten Mainzer leitet den Verein KinderPaCT und spricht darüber im Podcast „Von Mensch zu Mensch“. © Roland Magunia/Funke Foto Services | Roland Magunia

Er wurde mit dem Down-Syndrom geboren, zudem fehlte ein Stück der Speiseröhre. „Er wurde 56-mal operiert, bis wir das gestoppt haben, weil er nicht mehr leiden sollte“, sagt die 50 Jahre alte Mutter. Bei einer dieser OPs erlitt Pelle einen hypoxischen Hirnschaden und ein Multiorganversagen.

Der Kontakt kam über das UKE

Da war er gerade acht Monate alt, ab da ein Palliativ-Patient und damit ein Fall für KinderPaCT. „Der Kontakt kam über das UKE. Wir haben uns erst gewehrt, weil wir dachten, palliative Versorgung heißt Endstation. Aber es bedeutete unsere Rettung – vor allem auch als Familie“, sagt Stefanie Ketelsen.

Denn der Verein organisierte den externen Pflegedienst, die Hilfsmittel wie Spezialkinderkarre und -autositz, kümmerte sich um die vielen Formulare. „KinderPaCT war immer unser erster Ansprechpartner, wenn wir ein Problem hatten“, sagt Ketelsen. Vor allem erfuhren sie und ihr Mann Karl Heinz viel Unterstützung für ihre drei gesunden Kinder, die damals erst fünf, sechs und zehn Jahre alt waren.

Gestorben ist Pelle im Kinderhospiz Sternenbrücke

„Die Mitarbeiter haben ihnen alles erklärt, wofür die Schläuche waren, was mit Pelle los war.“ Denn der kleine Junge bekam immer wieder epileptische Anfälle, war gelähmt, „aber er hat auch viel gelacht“, erinnert sich seine Mutter. Von den Ärzten des Vereins bekam er Medikamente, die ihm halfen, sich zu entspannen. Und sie sprachen der Familie Mut zu, mit allen vier Kindern Ausflüge zu machen. Gestorben ist Pelle dann im Kinderhospiz Sternenbrücke – auch das war eine Entscheidung, die die Familie gemeinsam mit KinderPaCT getroffen hat.